Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Flüchtlinge
"Das Grundgesetz sieht nicht vor, dass Deutschland die Welt rettet"

Für ihren Umgang mit der Flüchtlingskrise musste Bundeskanzlerin Angela Merkel parteiintern viel Kritik einstecken. Die Krise spalte die CDU aber nicht, sondern sorge für eine "gute Diskussion", sagte der Innenexperte der Partei, Armin Schuster, im Deutschlandfunk. Dem Koalitionspartner SPD warf er dagegen vor, der Bundesregierung Knüppel zwischen die Beine zu werfen.

Armin Schuster im Gespräch mit Christiane Kaess | 21.09.2015
    Armin Schuster (CDU), Obmann der Unionsfraktion im Innenausschuss des Bundestages
    Armin Schuster (dpa / Paul Zinken)
    Die Entscheidung Merkels, in einer einmaligen Aktion tausende Flüchtlinge ins Land zu lassen, sei richtig gewesen, sagte Schuster weiter. "Jeder in Deutschland hätte das genauso gemacht". Er stimmte aber der Ansicht seines Parteikollegen Wolfgang Bosbach zu, dass die Aufnahmekapazität und Integrationskraft Deutschlands nicht unbegrenzt sei. Im Grundgesetz sei zwar verankert, dass es keine Obergrenzen für Asylsuchende gebe. Aber: "Aber ich glaube, dass die Asylgesetzgebung im Grundgesetz sich natürlich daran orientiert, dass Deutschland nicht alleine die Welt rettet."
    Die aktuelle Situation sei nicht vorhersehbar gewesen. Den Umgang der Bundesregierung mit den Flüchtlingen hält Schuster deswegen für angemessen. "Wenn jemand die Flüchtlingskrise in der Bundesrepublik gut managt, dann ist es Thomas de Mazière", sagte er. Mit großer Geschwindigkeit würde nun ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, um die Krise in den Griff zu bekommen.
    Wenn der Bürger die Flüchtlingspolitik der Koalition als planlos empfinde, liege das nicht daran, dass die Politik planlos sei, sondern daran, "dass wir politisch ständig übereinander herfallen". Dabei kritisierte er besonders den Koalitionspartner SPD wegen "unqualifizierter Vorschläge".

    Das Interview in voller Länge:
    Christiane Kaess: Viele feiern Bundeskanzlerin Angela Merkel derzeit als Heldin in der Flüchtlingskrise. Zwar folgten ihrem Beschluss, Tausende Flüchtlinge ins Land zu lassen, erst einmal Grenzkontrollen, aber Merkel hat kurz darauf klar gemacht, das Asylrecht kennt keine Obergrenze. In der eigenen Partei und erst recht in der Schwesterpartei CSU hören einige das nicht so gern. Der Druck auf die Regierung steigt. Das Krisenmanagement sei nicht ausreichend, so der Vorwurf, der immer stärker an Innenminister Thomas de Maizière geht. Auch beim Koalitionspartner SPD wird der Ton schärfer. SPD-Vize Ralf Stegner, der forderte de Maizières Rücktritt, falls der in der obersten Asylbehörde nicht rasch aufräume. Und Vizekanzler Gabriel lehnt den Vorschlag des Innenministers zu begrenzten Kontingenten für Flüchtlinge in Europa ab. - Am Telefon ist jetzt Armin Schuster von der CDU. Er ist Obmann der Unions-Fraktion im Innenausschuss des Bundestages. Guten Morgen!
    Armin Schuster: Guten Morgen, Frau Kaess.
    Kaess: Herr Schuster, der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses, Ihr Parteikollege Wolfgang Bosbach, der sagt, wenn Angela Merkel sagt, unser Asylrecht kenne keine Obergrenze, bedeute das nicht, dass die Aufnahmekapazität und Integrationskraft unseres Landes unbegrenzt sei. Überfordert Angela Merkel ihr Land?
    Schuster: Nein, das sehe ich so nicht. Wolfgang Bosbach hat recht: Was Angela Merkel sagt ist bei uns grundgesetzlich verankert. Aber ich glaube, dass die Asylgesetzgebung im Grundgesetz sich natürlich daran orientiert, dass Deutschland nicht alleine die Welt rettet. Niemand musste davon ausgehen, als wir dieses Asylrecht gemacht haben, dass die Staaten rund um uns herum sich eher Mühe geben, nicht attraktiv zu sein, sodass wir die Flüchtlingsfrage fast alleine lösen müssen mit den Skandinaviern. Das war nicht vorherzusehen und darüber müssen wir neu verhandeln.
    Kaess: Hätte Angela Merkel das schon mal stärker klar machen sollen?
    Schuster: Angela Merkel macht das stark klar.
    "Wir werden die Attraktivität deutlich reduzieren, zu uns zu kommen"
    Kaess: Wo denn?
    Schuster: Ich mache mal ein Beispiel. Wir machen jetzt in einer fast noch nie gekannten Geschwindigkeit einen Gesetzentwurf, der diese Woche mit den Ministerpräsidenten verhandelt wird, nächste Woche im Kabinett und dann binnen drei Wochen durch den Bundestag von der ersten bis dritten Lesung geht, zirka 40 bis 60 Rechtsänderungen, nur um die Flüchtlingslage beherrschbar zu machen in Deutschland. Und das muss ich auch klar sagen: Das ist Handschrift der Union. Wir werden die Attraktivität deutlich reduzieren, zu uns zu kommen.
    Kaess: Herr Schuster, das können wir gleich noch vertiefen. Ich möchte Sie erst noch fragen: Der Beschluss von Angela Merkel, Tausende ins Land zu lassen, der ist ja in der CSU als völlig falsches Signal innerhalb Europas bezeichnet worden. Wie viele in der Fraktion teilen diese Sicht?
    Schuster: Ich glaube, dass die CSU eine politisch grundsätzlich richtige Auffassung hat, und ich hielt auch die Aktivitäten der CSU am vergangenen Wochenende für richtig. Was ich nicht für richtig finde ist, dafür die einmalige Aktion von Frau Merkel als Argument zu benutzen. Entschuldigung, das geht ein bisschen zu weit. Die Menschen sind auf dem Track. Die Menschen sind zu Hunderttausenden unterwegs. In Afghanistan werden Pässe gedruckt. Diese einmalige Aktion, die ich übrigens für richtig halte - jeder, der in ihrer Situation gewesen wäre in Deutschland, hätte so auch entschieden mit den Informationen -, diese einmalige Aktion hat die Lage keineswegs verschlimmert. Vielleicht hat sie sie etwas beschleunigt, aber die Menschen sind auf dem Weg und sie fühlen sich nirgendwo in Europa wohl. Sie sind fast nirgendwo willkommen und deswegen wollen sie zu uns.
    Kaess: Und die Fraktion ist darüber gespalten offenbar?
    Schuster: Gespalten würde ich nicht sagen. Wir sind eine Volkspartei und ich sage mal, die Meinungspole gehen bei uns von wir können uns nicht abschotten bis hin zu wir können aber auch nur das Machbare tun. Ehrlich gesagt, finde ich das eine gute Diskussion. Wir werden wie immer zu einer Lösung kommen. Und ich muss Ihnen auch eines sagen: Planlos sind wir ganz und gar nicht, seit Jahren nicht in der Union. Wir müssen uns politisch mit Parteien einigen, die eine andere Auffassung haben und sich dann wie die SPD ständig korrigieren müssen im Laufe der Jahre. Aber das Planlose, was der Bürger zurecht moniert im Moment, das liegt wohl eher daran, dass wir politisch ständig übereinander herfallen. Ich sage mal, unqualifizierte Äußerungen wie aus Schleswig-Holstein von der SPD, daran haben wir uns zwar gewöhnt, aber das ist ein Unding in dieser Zeit. Wir machen Flüchtlings-Krisenpolitik mit Notfallplänen in einer Situation, die niemand vorhersehen konnte, und dann kriegen wir von unserem Koalitionspartner regelrecht Knüppel zwischen die Beine geschlagen, weil da politische Spielchen gemacht werden. Dass das die Bürger für planlos halten, das verstehe ich.
    "Wenn jemand diese Flüchtlingskrise in der Bundespolitik gut managt, dann ist es Thomas de Maizière"
    Kaess: Und das sind auch politische Spielchen, wenn Vizekanzler Gabriel den Vorschlag von Bundesinnenminister Thomas de Maizière ablehnt, begrenzte Kontingente für Flüchtlinge in Europa?
    Schuster: Sigmar Gabriel hat wie heute Morgen auch der Parlamentspräsident Schulz in Brüssel gesagt, er kenne den Plan noch nicht so richtig, den de Maizière hat, und deswegen hat er, glaube ich, kritisiert. Ich vermute, das wird sich ab Mitte der Woche ändern, wenn die beiden gesprochen haben. Ich kann jedenfalls sagen: Wenn jemand diese Flüchtlingskrise in der Bundespolitik gut managt, dann ist es Thomas de Maizière. Ich kann mir überhaupt gar keinen anderen vorstellen, der in der Lage wäre, ressortübergreifend so viele Politikfelder zu beherrschen, wie er es tut.
    Kaess: Und zu diesem guten Management, Herr Schuster, gehört auch - Sie haben es gerade vorhin schon angesprochen -, das Dublin-System funktioniert nicht und dann ist die Lösung von Herrn de Maizière, die Flüchtlinge nur noch mit Reiseproviant in andere EU-Länder zurückzuschicken?
    Schuster: Nein. Das was de Maizière möchte, ist aus meiner Sicht vollkommen richtig. Er will die Europäische Union letztlich dazu zwingen, gemeinsame Kontingente zu beschließen.
    "Wenn dieses Gesamtpaket wirkt, sind die Kontingente richtig"
    Kaess: Auf Kosten der Flüchtlinge durch solche Maßnahmen?
    Schuster: Nein, nein. Ich behaupte mal, wenn Europa alles das leistet, was zum Beispiel Deutschland machbar macht, und wenn wir in der Geschwindigkeit Menschen wieder in ihre Länder zurückbringen, die gar kein Asylrecht haben - Grußadresse an Schleswig-Holstein: Wenn Sie sich darum mal kümmern würden, dann wäre auch viel gewonnen; oder an andere Länder -, wenn wir das haben, schnelle Verfahren, die abgelehnten Asylbewerber wieder zurück und Europa auf dem Niveau Deutschland das Machbare tut, dann müssen wir gar nicht über Begrenzungen sprechen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir dann an Grenzen kommen.
    Kaess: Sondern?
    Schuster: Ich gehe davon aus, dass das, was an Flüchtlingsarbeit zu leisten ist, dann Europa auch leisten kann. Denken Sie an die noch zu schaffenden Hotspots. Denken Sie daran, was jetzt entwicklungs- und außenpolitisch in den Krisenländern und Anrainerstaaten gemacht werden soll. Wenn dieses Gesamtpaket wirkt, glaube ich, sind die Kontingente richtig und wir werden niemanden abweisen, der berechtigt um Asyl nachfragt.
    Kaess: Und wir werden auch die Diskussion darüber weiter verfolgen. Danke für das Gespräch, Armin Schuster von der CDU. Er ist Obmann der Unions-Fraktion im Innenausschuss des Bundestages.
    Schuster: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.