Samstag, 04. Mai 2024

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Flüchtlinge, G20-Gipfel & Co.
Fotojournalisten zwischen den Fronten

Bei der Flüchtlingsberichterstattung oder beim G20-Gipfel geraten Journalisten manchmal in Interessenskonflikte. Dann können sie selbst in Gefahr kommen und zum Kreis der Beschuldigten gezählt werden. Teilweise werden sie mit realen oder vermeintlichen Straftaten in Verbindung gebracht und häufig sogar angezeigt.

Von Ralf Hutter | 11.10.2017
    Mazedonische Flüchlinge flüchten durch das Wasser
    Der Fotograf Björn Kietzmann musste bei der Berichterstattung über die Balkanroute eine Geldstrafe wegen des irregulären Grenzübertritts bezahlen. (Björn Kietzmann)
    Kurzerhand zog mich der Berliner Polizeiführer in den Kessel, obwohl ich mehrere Meter davon entfernt gestanden und zudem mein Aufnahmegerät gut sichtbar vor mir gehalten hatte. Schauplatz war das Kohlekraftwerk Schwarze Pumpe in Brandenburg. Ich begleitete an Pfingsten 2016 die "Ende-Gelände"-Proteste gegen die Kohleverstromung. Mehrere Hundert Menschen hatten soeben das Kraftwerksgelände gestürmt, waren aber schon wieder rausgekommen. Nun kesselte die Polizei einen Teil, und obwohl ich abseits stand, traf es auch mich.
    BKA bestätigt Vorwürfe an Fotografen
    Diese Erfahrung hat in mir zwei Fragen ausgelöst: Wie normal ist es, dass die Polizei ohne Not Journalisten belästigt, oder gar schädigt? Und inwieweit ist es erlaubt, dass ein Journalist Menschen bei einer Gesetzesübertretung begleitet und so selbst das Gesetz bricht, sei es beim Eindringen auf ein Privatgelände oder beim Überschreiten einer Staatsgrenze?
    Zur ersten Frage ist seit dem G20-Gipfel in Hamburg erschreckendes bekannt geworden. Zum Beispiel im Fall des Stuttgarter Fotografen Alfred Denzinger, dem 2011 Hausfriedensbruch vorgeworfen worden war: "Es war in einem offenen Kircheninnenhof. Da waren Protestierende in einer Diskussion mit einem Pater von den Pius-Brüdern verstrickt, und das hab ich dokumentiert. Und wurde dann festgenommen."
    Der Untersuchungsrichter habe ihn freigelassen, berichtet Denzinger. Doch unter seinem Namen gespeichert wurde nicht nur der angebliche Hausfriedensbruch, sondern auch weitere Delikte: "Körperverletzung, Sachbeschädigung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und noch 'ne Reihe weiterer Vorwürfe. Fakt ist, dass alles frei erfunden war."
    Das habe ihm das Bundeskriminalamt (BKA) mittlerweile schriftlich bestätigt. Doch im Juli beim G20-Gipfel waren diese und weitere ähnliche Vorwürfe dem BKA Grund genug, Denzinger nicht ins Medienzentrum zu lassen. Auch anderen Journalisten wurde die bloße Anwesenheit auf Demos oder bei anderen politischen Aktionen zum Verhängnis. Ihre Namen wurden jahrelang im Zusammenhang mit Straftaten, oder auch bloßen Verdachtsfällen, gespeichert. Das ARD-Haupstadtstudio hat zwölf dieser Fälle untersucht und kam zu dem Schluss: Alle Vorwürfe waren falsch.
    Fotografen können Geschehnisse nur dokumentieren, wenn sie Grenzen übertreten
    Doch was ist, wenn ein Delikt nicht ganz von der Hand zu weisen ist? Der Berliner Fotograf Björn Kietzmann schildert das Beispiel seiner Berichterstattung über Flüchtlinge auf der Balkanroute. Er ging mit Flüchtlingen über die griechisch-mazedonische Grenze.
    "Es ist'n Regelüberschritt, dass man halt irgendwie sagt: Okay man passiert diese Grenze an einem nicht-regulären Grenzposten, aber anders hätt ich die Situation halt nicht dokumentieren können. An nem bestimmten Punkt stellt sich die Frage: Berichte ich als Journalist über dieses Thema, oder überlass ich die Menschen, über die ich gerade berichte, ihrem Schicksal? Ich hab' mehrere Monate rund um die Balkanroute berichtet, und es war ein wichtiges zentrales Element, was auch jetzt nach wie vor die Gerichte beschäftigt."
    Kietzmann sagt, es handele sich um einen der wenigen dokumentierten Fälle, wo Flüchtlinge sofort wieder aus dem Land gejagt wurden, ein illegaler sogenannter "Pushback". Er selbst wurde damals von der mazedonischen Polizei in Gewahrsam genommen, aber nicht angeklagt. Der Vorfall ist nun aber bei deutschen Behörden gespeichert und war einer der Gründe dafür, Kietzmann beim G20-Gipfel als Sicherheitsrisiko zu bezeichnen. Der Journalist Arnd Henze vom ARD-Haupstadtstudio arbeitet den Skandal der entzogenen Akkreditierungen auf und hat festgestellt, dass es bei der journalistischen Aktivität eine rechtliche Grauzone gibt.
    "Wenn man sich die lange Liste von Delikten, die offensichtlich immer wieder für Fotografen aufgeführt werden, ansieht, dann gibt es Situationen, in die sie gar nicht vermeiden können, reinzugeraten, aber die dazu führen, dass immer wieder Personalien festgestellt werden und daraus dann ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wird, das dann selbst, wenn es eingestellt ist, in diesen Dateien immer wieder auftaucht. Das ist Hausfriedensbruch, das ist Verstoß gegen das Versammlungsgesetz, das ist Verstoß gegen das Urheberrecht, wenn sie mal Polizisten fotografieren, die das nicht toll finden. Und da muss es, glaub ich, mal 'ne Klärung geben - wahrscheinlich vom Bundesverfassungsgericht - dass gesagt wird: Wenn zum Beispiel ein Fotograf in den Braunkohletagebau mitgeht, weil da Tausende von Demonstranten reinziehen, aber das ist natürlich Privatgelände - dürfen das Fotografen?"
    Normalerweise werden solche Verfahren gegen Presseleute eingestellt. So kann es nicht zu einer höchstrichterlichen Klärung kommen, die dem Journalismus Sicherheit bieten würde.