
Dirk-Oliver Heckmann: Am Telefon begrüße ich jetzt Michael Gahler von der CDU. Er ist Mitglied des Ausschusses für Auswärtige Angelegenheiten des Europaparlaments. Ihn erreichen wir derzeit im polnischen Kattowitz bei der Klausur des Vorstands der EVP-Fraktion. Schönen guten Abend, Herr Gahler.
Michael Gahler: Guten Abend, Herr Heckmann.
Heckmann: Jean Asselborn schämt sich für Viktor Orbán. Sie auch?
Gahler: Ich mach mir die sachlichen Äußerungen von der Bundeskanzlerin zu eigen. Ich denke, Herr Orbán hat zwar recht, wenn er sagt, die Menschen wollen alle nach Deutschland, aber dadurch wird es kein deutsches Problem und schon gar nicht ein von Deutschland verursachtes Problem. Wir müssen gemeinsam diese große Herausforderung meistern als Europäer und das heißt, unter anderem, dass wir den Menschen, die aus dem Krieg fliehen, Obdach gewähren und dass wir aber auch die Außengrenze gemeinschaftlich unter Kontrolle bringen. Da hat er ja einen Punkt, der Herr Orbán. Er fühlt sich wohl auch von der EU ein Stück allein gelassen. Auch andere Länder haben das ja schon in der Vergangenheit beklagt und ich denke, wir haben allen Anlass, gemeinschaftlich die Außengrenze zu schützen als alleine unsere Binnengrenzen.
Heckmann: Die Flüchtlingskonvention gilt für alle europäischen Mitgliedsstaaten, also auch für Ungarn, mahnt Angela Merkel.
Gahler: Richtig.
Heckmann: Die Regierung Viktor Orbán tritt die Menschenrechte und internationales Recht beim Umgang mit den Flüchtlingen praktisch mit den Füßen?
Gahler: Wir müssen darauf achten und sie darauf hinweisen, was ihre Verpflichtung ist. Das hat die Kanzlerin getan, das tun wir alle. Es gibt da einen breiten Konsens. Von daher, denke ich, wird er auch wie in anderen Fragen - wir erinnern uns an Verfassungsänderungs-Erfordernisse bei anderen politischen Dingen -, er wird, denke ich, im Ergebnis beidrehen. Aber wir als Europäer müssen auch als Gemeinschaft dafür sorgen, dass wir den Mitgliedsstaaten, die besonders unter Druck sind, weil sie draußen liegen, helfen.
Und wir müssen auch sehen, dass Ungarn ja das zweite Land ist, wo die Menschen in der Regel in die EU kommen, denn sie waren ja vorher schon in Griechenland und da ist ja auch einiges im Argen und auch da müssen wir gemeinschaftlich helfen, weil es in Griechenland ganz offensichtlich ist, dass die es nicht alleine schaffen.
Und wir müssen auch sehen, dass Ungarn ja das zweite Land ist, wo die Menschen in der Regel in die EU kommen, denn sie waren ja vorher schon in Griechenland und da ist ja auch einiges im Argen und auch da müssen wir gemeinschaftlich helfen, weil es in Griechenland ganz offensichtlich ist, dass die es nicht alleine schaffen.
Heckmann: Ihre Kritik kommt relativ zurückhaltend herüber. Man muss aber sagen, kein Wasser, keine Nahrung, keine Kleidung, keine Unterkünfte.
Gahler: Das geht nicht.
Heckmann: Man hat den Eindruck, Ungarn behandelt die Flüchtlinge so schlecht, damit wirklich niemand bleiben möchte. Kann man denn sagen, das ist ein christliches Verhalten, und kann man mit einer solchen Partei, mit der Fidesz-Partei eine Fraktionsgemeinschaft bilden im Europaparlament, so wie Sie es tun?
Gahler: Wir sind mit der Fidesz in der Tat in einer Fraktion und in der gleichen Partei. Dadurch, dass wir das sind, haben wir auch Einfluss. Ich verweise auf die Vergangenheit. Im Ergebnis hat die ungarische Regierung bei den früheren Streitigkeiten alles das erledigt, was die Europäische Union getan hat, und das wird sie im Ergebnis auch hier wieder tun. Da bin ich zuversichtlich und das haben wir besser in der Hand, wenn wir sie bei uns in der Fraktion haben. Die Aufgaben sind wahrlich nicht gering, die ganz unmittelbar vor uns liegen.
Ungarn hätte Menschen bei sich behalten müssen
Heckmann: Kommen wir mal zu der Äußerung von Viktor Orbán, das Flüchtlingsproblem sei kein europäisches, sondern ein rein deutsches Problem. Die meisten wollten ja schließlich auch nach Deutschland. Da muss man vielleicht auch mal die Frage stellen, ob Deutschland nicht in der Tat die Lage verschärft hat, denn mit der Äußerung, dass Flüchtlinge aus Syrien nicht mehr wieder zurückgeführt werden in das Land der EU, das sie zuerst betreten haben, da muss man sich doch nicht wundern, dass das als Fanal wirkt, oder?
Gahler: Ich denke, dass ja das erste Land in aller Regel Griechenland gewesen ist und wie gesagt Ungarn auch nur das zweite Land erst. Dass Griechenland nicht in der Lage ist, das zu bewerkstelligen, das ist uns, glaube ich, klar und dass wir Menschen da nicht zurückschicken, auch. Von daher gilt das aber nicht nur für Deutschland. Auch wenn die nach Schweden kommen, werden die dann nicht zurückgeschickt, vor allen Dingen nicht nach Griechenland oder in ein anderes Land. Das ist die Praxis und von daher, glaube ich, müssen wir dieser Situation Herr werden.
Heckmann: Aber, Herr Gahler, der Vorwurf war ja, dass die deutsche Bundesregierung das falsche Signal gegeben hat und damit die Lage in Ungarn selbst noch erheblich verschärft hat.
Gahler: Die ungarische Regierung war nicht verpflichtet, die Menschen weiterzuschicken. Ganz im Gegenteil! Sie hätte sie nach dem Dublin-Übereinkommen bei sich behalten müssen. Dass sie sich da jetzt einen "schlanken Fuß" gemacht hat, um den Menschen ihren Willen zu geben, das kritisiere ich auch. Aber wir haben aus unserer, aus meiner Sicht da wirklich keinen Vorschub geleistet. Wir erfüllen unsere humanitäre Verpflichtung und ich glaube, dafür sollten wir nicht kritisiert werden.
Heckmann: Herr Gahler, Sie halten sich ja derzeit in Polen auf. Auch Polen weigert sich ja, einer festen Quote zur Verteilung von Flüchtlingen zuzustimmen. Der EU-Kommissar Günther Oettinger, der hat heute Früh bei uns hier im Deutschlandfunk gesagt, die Quote, die werde kommen. Da sei er sich sicher im Herbst, auch gegen den Willen einzelner Länder. Sind Sie sich da auch sicher?
Gahler: Ich bin mir sicher, dass schon in der nächsten Woche während der Rede zur Lage der Union, die Herr Juncker am Mittwoch halten wird, dass er dort konkrete Gesetzentwürfe vorstellen wird: zum einen für eine verbindliche Quote, aber auch im Hinblick auf eine Liste von sicheren Drittstaaten. Und dann geht das in die Diskussion, sowohl im Parlament als auch im Rat.
Heckmann: Und die Diskussion, die ist ja schon mal gescheitert, und zwar an den Egoismen einzelner Länder.
Gahler: Ich glaube, wir müssen bei diesem Thema weiter diskutieren. Wir haben heute die polnische Ministerpräsidentin Ewa Kopacz bei uns gehabt. Sie hat zum einen auch gesagt, es ist ein Unterschied, wer aus wirtschaftlichen Gründen wie vom Balkan kommt, oder die anderen Flüchtlinge. Sie sieht schon unterschiedliche Kategorien und Dringlichkeiten. Sie hat sich gegen die allgemeine Quote ausgesprochen, aber es ist nicht mehr diese generelle Verweigerungshaltung, die wir vor einigen Wochen noch hatten.
Ich glaube, da ist die permanente Diskussion und auch die Entwicklung und die Dringlichkeit hilfreich dazu, dass einige Staaten, die bisher noch gänzlich abweisend gewesen sind, sich in die richtige Richtung bewegen. Es ist ja auch wirklich eine Herausforderung, von der wir alle im Umfang überfordert und überrascht worden sind, und Dublin II, das hat für die normale Zeit funktioniert, aber bei dieser Situation eben nicht. Da müssen wir neue Antworten geben und die Diskussion auch ein Stück weit verschärft mit den Partnern führen, um da eine Solidarität im Ergebnis herbeizuführen. Das kann man ja nicht nur theoretisch, das kann man ja auch zum Beispiel über Mittelverlagerungen der Europäischen Union bewerkstelligen. Wer zum Beispiel mehr tut, kann auch mehr europäische Mittel bekommen, oder von den Geldern, die für andere Zwecke vorgesehen sind, wird das umgewidmet. Das kann man auch mit Mehrheit machen. Da muss nicht jeder zustimmen. Dass diejenigen, die sich absolut weigern, dann auch vielleicht bestimmte Gelder aus dem EU-Haushalt erst dann wieder bekommen, wenn sie das dann tun, das sind Debatten, die wir dann zu führen gezwungen sind. Das will ich eigentlich nicht, aber ich denke, wir können den Haushalt auch so umschichten, dass wir dann denen, die mehr tun als sie müssten, auch zusätzliche europäische Mittel zur Verfügung stellen.
Heckmann: Wir werden das weiter beobachten. Bisweilen besten Dank an Michael Gahler, CDU-Europaparlamentarier.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.