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Flüchtlinge
Sackgasse Südtirol

Seit Österreich und Deutschland ihre Grenzen wieder streng kontrollieren und das Dublin-Abkommen verstärkt angewendet wird, gleicht Südtirol einer Sackgasse. Viele Flüchtlinge kommen an der deutschen Grenze nicht weiter, das nördliche Tirol sieht sich an seiner Aufnahmegrenze. Also bleibt nur die Rückkehr nach Südtirol.

Von Susanne Lettenbauer | 10.08.2017
    Brenner: An den Bahnhoefen in Suedtirol stranden seit Monaten jede Woche Hunderte Fluechtlinge. Wer es ueber das Meer bis nach Italien geschafft hat, versucht, rasch weiter in Richtung Norden zu kommen, meist werden sie dabei von deutsch-Oesterreichisch-italienischen Polizeistreifen aus den Zuegen geholt. Am Bahnhof in Bozen und am Brenner werden sie von Helfern versorgt. Viele der Fluechtlinge wollen nach Deutschland und Skandinavien. Der Brenner ist nur ein Etappenziel. Hier im Bild Fluechtlinge unter Polizeibewachung am Bahnhof Brenner.
    Die Migranten, die von Deutschland oder Österreich zurückgeschickt werden, fallen nicht unter die Erstaufnahme und können somit auch nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen. (imago stock&people)
    In dem schattigen, mediterranen Park am Bozener Bahnhof sitzen einige Afrikaner in Gruppen zusammen. Stumm beobachten sie das Treiben um sich herum. Auf dem Bahnsteig im Bahnhof unterhalten sich andere ausgelassen. Polizeibeamte beobachten die Grüppchen aus der Ferne. In den vergangenen Monaten haben immer wieder einige Flüchtlinge versucht, auf den in Bozen länger haltenden Güterzügen bis nach Deutschland zu kommen, 100 haben es laut deutscher Bundespolizei im Juli geschafft, in den Monaten zuvor von Januar bis Juni waren es 20:
    "Das sind Leute, die autonom in der Provinz Bozen angekommen sind." Erklärt Luigi Gallo von der Flüchtlingsberatungsstelle der Caritas gleich neben dem Bahnhof: "Es gibt auch viele Leute, die aus Deutschland kommen oder aus Nordeuropa wegen Dublin-Verfahren."
    Die also zurückgeschickt wurde. Rund 1.800 Migranten betreuen Gallo und seine sieben Kollegen in Bozen. Weitere 200 sollen illegal in Südtirols Hauptstadt leben. Entweder weil sie nicht in Italien registriert werden möchten, sondern in Deutschland oder Skandinavien. Oder weil sie bereits wieder aus dem Norden zurückkommen und erst nach einer Wartezeit einen Asylantrag stellen können. Ein Teufelskreis, meint Flüchtlingsberater Luigi Gallo: "Das Land und die Stadt haben einen Konflikt, wer zuständig ist für diese Personen und in diesem Moment bleiben diese Leute leider auf der Straße. Praktisch müssen sie prekär bei Freunden bleiben oder landen unter der Brücke."
    Erst kürzlich räumte die Polizei ein Obdachlosen-Schlaflager unter einer Brücke. Zum wiederholten Male.
    Ohne Asylantrag keine Unterstützung
    Das Problem: Die Migranten, die von Deutschland oder Österreich zurückgeschickt werden, fallen nicht unter die Erstaufnahme und können somit auch nicht in die Erstaufnahmeeinrichtungen, erklärt Franz Kripp, Leiter der Bozener Caritas. Stellen sie einen Asylantrag, was ihnen dringendst von den Beratern empfohlen wird, bekommen sie zumindest Essensgutscheine für die Caritas-Kantine und Duschmöglichkeiten. Und nach zwei Monaten auch eine Arbeitserlaubnis: "Natürlich können sie weiterhin versuchen, nach Österreich, nach Deutschland zu gehen - mit hohem Risiko. Das heißt, wir machen sehr, sehr deutlich, dass bei uns ein illegales Weiterreisen mit Mitteln, sei es über die Berge, sei es über die Bahn oder mit LKW, dass das mit hohem Risiko verbunden ist für Leib und Leben. Und das ist etwas, was ich hier sagen will: Es tauchen ja Postings auf in Österreich und Deutschland, wo man davon spricht, dass hunderte die Grenze passieren. Das ist blanker Blödsinn, die sind sehr engmaschig die Kontrollen."
    Die Polizeikontrollen seien enorm verstärkt worden, sagt auch Franz Kompatscher, Bürgermeister von Gossensass direkt am Brenner. Seine Gemeinde lehnt eine Flüchtlingsunterkunft im Ort strikt ab. Dass Migranten per Bus von Südtirol über die Grenze gebracht würden, wie unlängst zu lesen war, seien Falschnachrichten.
    "Wir haben so am Brenner, will mal sagen, zehn bis zwanzig Flüchtlinge am Tag, mehr nicht, wobei der Großteil wieder zurückgeschickt wird. Also die italienische Polizei kontrolliert ja nicht erst am Brenner, sondern schon vorher, sogar hier in Gossensass auf dem Bahnhof und die werden dann wieder zurückgeschickt. Natürlich wird es immer Leute geben, die das versuchen, da können wir auch eine zwanzig Meter hohe Mauer bauen, dann werden sie es auch versuchen. Aber die Zahlen halten sich absolut in Grenzen."
    "Es wird nicht mehr durchgewunken"
    Und das hat, glaubt Südtirols sozialdemokratischer Landeshauptmann Arno Kompatscher, noch andere Gründe: Nicht nur, dass die Asylbewerber nach zwei Monaten arbeiten dürften, entschärfe die Situation. Mit dem neuen italienweiten Projekt SPRAR (Sistema di Protezione per Richiedenti Asilo e Rifugiati), das die Verteilung der Flüchtlinge besser koordinieren soll, müssten die Gemeinden nur mehr weniger Migranten aufnehmen, 95 Prozent der Kosten übernehme der italienische Staat. Er sei als Verantwortlicher für den Brenner ganz eng eingebunden in die Beratungen der Regierung in Rom, betont Kompatscher.
    "Italien hält sich wirklich derzeit eindeutig an die Vereinbarungen auf europäischer Ebene. Es wird nicht durchgewunken, die Menschen bleiben in Italien, sie werden in Italien registriert. Aber das bedeutet dann natürlich eine entsprechende Aufteilung auf die Regionen Italiens, dass auch wir immer neue Quoten zugewiesen bekommen würden und deshalb ist auch unsere Forderung ganz klar: Das mit der illegalen Zuwanderung übers Mittelmeer muss aufhören."
    Derzeit sei Italien auf einem guten Weg, mit Libyen ein entsprechendes Abkommen zu schließen, sagt Südtirols Landeshauptmann. Und das sei notwendig.