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Flüchtlinge
Tschechien sagt Nein

"Ich werde keinem ausländischen Massenzustrom applaudieren" - sagt der tschechische Innenminister offen. Die Regierung zeigt Flüchtlingen die kalte Schulter, und Hilfsorganisationen kritisieren: Die Politik wisse genau, dass viele Tschechen keine Ausländer wollen.

Von Stefan Heinlein | 08.01.2015
    Prag mit Blick auf die Burg und die Mánes-Brücke im Februar 2010.
    Prag mit Blick auf die Burg und die Mánes-Brücke. (PHOTO AFP / Michal Cizek)
    Das „U Hrocha" ist eine tschechische Insel im touristischen Meer der Prager Kleinseite. Versteckt in einer Seitengasse trotzt die Bierstube seit Jahrzehnten dem Wandel der Zeit. Ausländische Besucher werden hier nur widerwillig bedient. Die Gäste bleiben gerne unter sich – nicht nur in der Kneipe:
    "Die Einwanderungspolitik in Europa ist falsch. Jetzt bedroht der Islam unsere nationalen Interessen. Man muss diese Zuwanderung stoppen. Wir wollen keine radikalen Muslime in Tschechien."
    Innenminister Milan Chovanec kann die Stammtische jedoch beruhigen. Auch 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs liegt der Ausländeranteil in Tschechien mit nur 4 Prozent weit unter dem EU-Durchschnitt. Anders als das große Nachbarland Deutschland hat Tschechien bislang keinerlei Probleme mit der Versorgung und Unterbringung einer wachsenden Zahl von Flüchtlingen. Und dies soll auch so bleiben meint der Sozialdemokrat:
    "Tschechien ist tatsächlich eine Insel. Manche fordern deshalb, wir sollten mehr Flüchtlinge aufnehmen und in unsere Gesellschaft integrieren. Von mir als Innenminister kann man jedoch nicht erwarten, das ich einem ausländischen Massenzustrom applaudiere."
    Weniger als 1.000 Flüchtlinge
    Tatsächlich hat sich die Zahl der Asylanträge in Tschechien in den vergangenen Jahren kaum verändert. Anders als etwa Italien, Spanien oder Polen hat das mitteleuropäische Land keine EU-Außengrenze. Tschechien ist zudem für die meisten Flüchtlinge nur eine Zwischenstation auf dem Weg nach Deutschland oder Skandinavien. Nicht einmal eintausend Menschen suchten 2013 deshalb in Tschechien dauerhaft Schutz vor Gewalt und Vertreibung.
    Dennoch blockiert die Mitte-Links-Regierung bislang alle Forderungen aus Brüssel zumindest die Syrien-Flüchtlinge gerecht auf alle EU-Länder zu verteilen. Die Asylpolitik müsse in der Hand der nationalen Regierung bleiben, so Ministerpräsident Sobotka:
    "Tschechien unterstützt die verfolgten Menschen direkt vor Ort. Der Aufbau von Flüchtlingslagern in Europa ist keine Lösung der humanitären Krisen in den vom Krieg zerstörten Ländern."
    Auch aus finanziellen Gründen sei sein Land mit der Aufnahme weiterer Flüchtlinge überfordert. Die landesweite Kapazität in den Übergangsheimen sei auf 700 Plätze begrenzt. Regierung und Opposition warnen zudem gemeinsam vor möglichen Bedrohungen durch Flüchtlinge aus islamischen Ländern. Sollten Terroristen und IS-Kämpfer nach Tschechien kommen, sei die innere Sicherheit in Gefahr. Eine gefährliche Argumentation, kritisiert Martin Rozumek, Direktor der Flüchtlingshilfsorganisation OPU:
    "Die tschechischen Politiker wissen, dass ihre Wähler keine Ausländer hier wollen und Angst vor dem Islam haben. Sie machen deshalb eine Politik ganz nach der Meinung der Mehrheitsgesellschaft."
    Viele sagen: Die Ausländer sind Schuld
    Laut Umfragen sind fast 60 Prozent der Bevölkerung überzeugt – die Ausländer sind verantwortlich für die steigende Arbeitslosigkeit und die Kriminalität im Lande. Jeder zweite Tscheche ist der klaren Meinung, es leben zu viele Ausländer in ihrer Heimat. Nicht nur in den Prager Bierstuben werden deshalb die Pegida-Proteste im nahen Dresden aufmerksam verfolgt
    "Ich verstehe die Gefühle der Deutschen und ihre Angst vor der islamischen Gewalt. Der Import der radikalen Muslime muss verhindert werden. Wir müssen diese Gefahr begrenzen."
    Die offene Sympathie vieler Tschechen für die Parolen der Pegida ist für den Flüchtlingshelfer Martin Rozumek keine Überraschung. Die Sorge vor einer Überfremdung werde in Ost- und Mitteleuropa geteilt. In der Bevölkerung aller post-kommunistischen Länder gebe es eine große Angst vor fremden Kulturen.:
    "Die Situation in der ehemaligen DDR ist sehr ähnlich mit der Stimmung bei uns. Beide Gesellschaften sind sehr homogen. Anders als im Westen gibt es kaum Erfahrungen und Kontakte mit Ausländern. Die ablehnende Haltung gegenüber Flüchtlingen ist deshalb nahezu deckungsgleich."
    Nur wenige Politiker stellen sich gegen die Mehrheitsmeinung
    Doch die warnende Stimme der Hilfsorganisation vor einer dauerhaften Islam- und Ausländerfeindlichkeit in Tschechien wird in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Nur wenige Politiker sind bereit sich der Mehrheitsmeinung entgegen zu stellen. Auf Dauer jedoch müsse sich auch sein Land den Herausforderungen der veränderten internationalen Situation stellen, so der Regierungsbeauftragte für europäische Angelegenheiten Tomas Prouza:
    "Migration ist ein Thema das wir in Tschechien gerne vermeiden. Wir versuchen es zu verdrängen und machen die Augen zu vor den steigenden Flüchtlingszahlen. Wir müssen aber endlich damit aufhören uns wie eine einsame Insel in Europa zu benehmen."