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Flüchtlingsabkommen EU-Türkei
Die Diplomaten ringen - die Flüchtlinge hoffen

Die EU-Kommission will in Brüssel eine Zwischenbilanz ziehen, inwieweit das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei funktioniert. Aus Kreisen der türkischen Regierung kommen dazu zwar recht unterschiedliche Signale, im Alltag scheint es sich aber zu bewähren.

Von Thomas Bormann | 15.06.2016
    Die Flaggen Deutschlands, der Türkei und von Europa wehen am 12.01.2015 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin.
    Die Flaggen Deutschlands, der Türkei und von Europa wehen am 12.01.2015 vor dem Bundeskanzleramt in Berlin. (dpa / picture alliance / Bernd Von Jutrczenka)
    Abdulkadir, ein 56-jähriger Flüchtling aus Syrien, bekommt jetzt schon Hilfe dank des Flüchtlingsabkommens zwischen der EU und der Türkei. Abdulkadir lebt mit seiner Frau in einer kleinen Wohnung in der südosttürkischen Stadt Diyarbakir. Jeden Monat bekommen die beiden von einer Hilfsorganisation 100 Lira, das sind umgerechnet 30 Euro, auf eine Geldkarte geladen. Damit kann Abdulkadir im Supermarkt einkaufen: Zucker, Tee, Reis, Öl, was man in der Küche so braucht – kauft er mit dem Geld, das letztlich von der EU stammt: Die EU hat in dem Abkommen zugesagt, drei Milliarden Euro beizusteuern, damit syrische Flüchtlinge in der Türkei versorgt werden können. 200 Millionen Euro davon hat die EU bereits für bestimmte Projekte bewilligt: für den Bau von Schulen für Flüchtlingskinder oder eben für ein Hilfsprogramm, um arbeitslosen Flüchtlingen wie Abdulkadir durch den Alltag zu helfen.
    Hier klappt das Flüchtlingsabkommen schon. An anderen Stellen aber hapert es gewaltig: Zum Abkommen gehört, dass die Türkei Flüchtlinge aus Griechenland zurücknimmt - und - dass im Gegenzug türkische Bürger künftig ohne Visum in EU-Länder reisen können. Dazu aber stellt die EU Bedingungen - und die seien unfair, behauptete gestern der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim: "In letzter Minute haben sie uns noch eine Bedingung gestellt. Die EU macht das immer so. Die verstecken ihre allerletzte Bedingung und packen sie erst aus, wenn quasi schon alles auf einem guten Wege vorangeht. Jetzt sollen wir das Anti-Terror-Gesetz entschärfen. Und wie sollen wir es entschärfen? Man sagt uns: Wir sollen die Terrorbekämpfung aufgeben. Wir sollen die Terroristen mal machen lassen."
    "Dann eben nicht"
    Die Terroristen mal machen lassen, fordere die EU. Da hat Ministerpräsident Yildirim ziemlich dick aufgetragen in der Fraktionssitzung der türkischen Regierungspartei AKP. Die EU fordert von der Türkei natürlich nicht, die Terrorbekämpfung aufzugeben. Die EU fordert nur, dass die Türkei zwei, drei Paragrafen in ihren Anti-Terror-Gesetzen abändert, damit künftig nicht mehr bloße Meinungsäußerungen bestraft werden können in der Türkei.
    Aber Ministerpräsident Yildirim bleibt hart: "Wir werden das Anti-Terror-Gesetz nie und nimmer abändern, auch wenn dafür die Visa-Freiheit auf dem Spiel steht. Dann eben nicht." Wenn die Visa-Freiheit nicht kommen sollte, dann will die Türkei auch keine Flüchtlinge mehr von Griechenland zurücknehmen – das Flüchtlingsabkommen würde in sich zusammenbrechen. Nun, hinter den Kulissen arbeiten Spitzenbeamte der EU und der Türkei daran, bis Oktober doch noch einen Kompromiss zu finden und das Abkommen zu retten.
    Syrische Flüchtlinge müssen weiter hoffen
    Der türkische EU-Minister Ömer Celik deutete an, dass sich die Chancen dafür leicht verbessert hätten, nachdem der Botschafter der EU in der Türkei, Hansjörg Haber, gestern zurückgetreten ist. Minister Celik ließ nämlich durchblicken, dass die Chemie zwischen Botschafter Haber und der türkischen Regierung nicht mehr stimmte. Die Türkei fühlt sich eh von der EU unehrlich behandelt. Der jüngste Nadelstich kam vom britischen Premier David Cameron, der nämlich sagte: Er rechne damit, dass die Türkei etwa im Jahr 3000 EU-Mitglied werden wird.
    Präsident Erdogan reagierte empört: "Die Türkei ist nicht irgendein Land. Was soll das eigentlich bedeuten - die Türkei könne erst im Jahre 3000 Mitglied werden? Seit 53 Jahren hält man uns hin." Nämlich seit dem Assoziierungsabkommen zwischen der damaligen EWG und der Türkei im Jahr 1963. Ja, es gibt viel Streit zwischen Ankara und Brüssel. Abdulkadir, der syrische Flüchtling in der türkischen Stadt Diyarbakir, hofft, dass der Streit beigelegt wird und dass das Flüchtlingsabkommen nicht scheitert: "Nach Syrien können wir nicht zurück. Hier haben wir aber auch keine Zukunft. Wir haben unsere Namen auf eine Liste setzen lassen zur Umsiedlung nach Europa. Wir warten jetzt auf eine Antwort."
    Die EU ist bereit, insgesamt 72.000 syrische Flüchtlinge aus der Türkei zu übernehmen. Abdulkadir und seine Frau könnten dazu gehören. Aber: Auch das aber kann nur klappen, wenn das Flüchtlingsabkommen voll und ganz in Kraft tritt.