Dienstag, 23. April 2024

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Flüchtlingsdebatte
Migrationsforscher: Diskussionen stark durch Unkenntnis geprägt

Obwohl die Zahl der Asylsuchenden in Deutschland stark zurückgegangen sei, habe sich die Debatte über Einwanderung verschärft, sagte der Migrationsforscher Jochen Oltmer im Dlf. Dies liege auch an Unkenntnis und fehlenden Analysen zum Thema. Statt auf Abwehr müsse stärker auf Integration gesetzt werden.

Jochen Oltmer im Gespräch mit Anja Reinhardt | 17.06.2018
    Jochen Oltmer, Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück.
    Jochen Oltmer, Professor am Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien an der Universität Osnabrück. (picture alliance / dpa / Soeren Stache)
    Obwohl die Zahl der Menschen, die an deutsche Grenzen gelangen und Asyl suchen, deutlich zurückgegangen sei, und die im Koalitionsvertrag festgehaltene maximale Zahl an Flüchtlingen mit großer Wahrscheinlichkeit eingehalten werde, stehe das Thema "Asyl" in der politischen und gesellschaftlichen Diskussion in Deutschland immer noch im Vordergrund, sagte der Migrationsforscher Jochen Oltmer im Dlf.
    Vor diesem Hintergrund habe man eigentlich erwarten können, dass das Thema "Integration" viel stärker nach vorne rücke - das aber sei nicht passiert. Im Gegenteil: Viel stärker als noch in den Jahren 2015 und 2016 werde auf eine Abwehr von potenziellen Fluchtbewegungen gesetzt.
    Vereinfachung durch Unkenntnis
    Die europäische Diskussion sei in den vergangenen Monaten ganz explizit durch eine Verschärfung ausgezeichnet gewesen. Dazu komme eine sehr starke Vereinfachung der Diskussion in Europa, die auch nach Deutschland hinein wirke.
    Eine Vereinfachung sei beispielsweise die Annahme, die Flüchtlingskrise sei Ergebnis einer Grenzöffnung durch die Bundeskanzlerin. Was fehle, meint Oltmer, sei eine Debatte darüber und eine Analyse dessen, was 2015 tatsächlich geschehen sei.
    Die Diskussionen die geführt würden, seien stark durch Unkenntnis geprägt. Ihr liege ein sehr schlichtes Verständnis von Migration zu Grunde, nämlich dass diese sehr leicht passiere und dass es in der Weltbevölkerung einen sehr hohen Prozentsatz an Migranten gebe. Nach Informationen der UN seien nur drei Prozent der Weltbevölkerung Migranten.
    "Es soll ein Stück weit aufgeräumt werden"
    Dass die Debatten über das Thema in Deutschland relativ kenntnislos geführt würden, liege auch daran, dass Migration lange Zeit nur eine geringe Bedeutung in der Forschung gehabt habe. Das Interesse in Forschung und Gesellschaft sei einfach lange sehr gering gewesen. Der Blick auf Zuwanderung ändere sich permanent.
    Dass der Bundesinnenminister Horst Seehofer die Chefin des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Jutta Cordt entlassen habe, sei als Signal zu deuten, dass in dieser sehr aufgeladenen Situation ein Stück weit aufgeräumt werden solle. Es solle der Eindruck vermittelt werden, man sei im hohen Grade handlungsfähig. Es würde jedoch an Begründungen fehlen, so Oltmer. Auch vermisse er die Rolle des BAMF als Integrationsagentur. Dieser Aspekt habe in den vergangenen Jahren kaum eine Rolle gespielt.