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Flüchtlingsgipfel
"Das Problem ist noch nicht vom Tisch"

Die beim Bund-Länder-Gipfel vereinbarten zusätzlichen Gelder für die Flüchtlingshilfe seien ein Schritt in die richtige Richtung, sagte Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen im DLF. Das reiche aber nicht. Vor allem müsse jetzt Wohnraum geschaffen werden, ansonsten drohe mittelfristig vielen Flüchtlingen die Obdachlosigkeit.

Andreas Wohland im Gespräch mit Daniel Heinrich |
    Flüchtlinge laufen an einer Erstaufnahmeeinrichtung entlang
    Flüchtlinge in der Erstaufnahmeeinrichtung in Leipzig in Sachsen (picture alliance / dpa/ Peter Endig)
    Daniel Heinrich: Am Ende hat er doch länger gedauert als gedacht, der Bund-Länder-Gipfel zur Asylpolitik im Kanzleramt. Auf der Agenda: Asylrecht, Betreuung und Integration von Asylsuchenden, Sachleistungen für Flüchtlinge, Gesundheitskarte. So lassen sich wohl in eher bürokratischen Stichworten Maßnahmen umreißen, die das Schicksal von Menschen regeln sollen, die bei uns auf eine bessere Zukunft hoffen.
    Am Telefon bin ich jetzt verbunden mit Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen. Herr Wohland, 670 Euro pro Flüchtling pro Monat, reicht das?
    Andreas Wohland: Guten Abend! - Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, reicht aber nicht. Zum einen muss man sagen, dass nach unseren Erkenntnissen die Aufwendungen für die Flüchtlingsbetreuung höher sind als die 670 Euro pro Flüchtling und Monat, und zum anderen sollen diese Zahlungen ja nur für ein halbes Jahr geleistet werden und was passiert nach diesem halben Jahr.
    "Es geht darum, den Leuten ein Dach über den Kopf zu verschaffen"
    Heinrich: Lassen Sie uns gleich darauf zurückkommen. Noch mal zu diesen 670 Euro. Für was wird denn das Geld verwendet?
    Wohland: Das Geld muss für die Laufzeit des Asylverfahrens verwendet werden, für die Unterbringung und Betreuung der Flüchtlinge. Das heißt, es geht zunächst mal schlicht darum, den Leuten ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, ein Bett zu verschaffen, die Flüchtlinge mit Nahrung, mit Essen zu versorgen, einen Sicherheitsdienst zu organisieren, aber auch die Kinder natürlich zu betreuen, eine schulische Versorgung sicherzustellen. Der gesamten Strauß der öffentlichen Daseinsvorsorge, der muss abgedeckt werden.
    Heinrich: Sie haben es gerade angesprochen: Für die ersten sechs Monate scheint ja die finanzielle Geschichte geklärt zu sein. Ist denn damit das Problem jetzt erst mal vom Tisch?
    Wohland: Das Problem ist damit nicht vom Tisch. Die finanzielle Seite ist die eine Seite der Medaille. Uns geht es in erster Linie im Moment um die Nöte bei der operativen Versorgung der Flüchtlinge.
    Heinrich: Das heißt?
    Wohland: Das heißt, die Leute brauchen ein Bett und eine Matratze, auf der sie schlafen können. Da ist das Geld sozusagen im Moment mal der zweite Aspekt erst. Wir brauchen im Prinzip im Moment kein Geld, sondern schlicht und ergreifend Unterbringungsplätze.
    "Wir fühlen uns ein Stück weit allein gelassen"
    Heinrich: Fühlen sich denn da die Kommunen vom Bund ordentlich unterstützt?
    Wohland: Wir fühlen uns hier ein Stück weit von Bund und Land allein gelassen. Das ganze System der Flüchtlingsbetreuung wäre längst in sich zusammengebrochen, wenn die Kommunen nicht in so vorbildlicher Weise hier organisatorische Kraftakte stemmen würden. Der Bund hat bis vor sechs oder acht Wochen im Prinzip sich sehr zurückgehalten bei der Flüchtlingsbetreuung und auch das Land hat die Kommunen häufig innerhalb weniger Stunden dazu angehalten, Nothilfe zu leisten, weil auch das Land in seinen Erstaufnahmeeinrichtungen komplett überfordert war.
    Heinrich: Nun scheint man ja auf Bundesebene das Problem überrissen zu haben. Die Länder bekommen jetzt erst mal das Geld. Wie ist eigentlich sichergestellt, dass das Geld, das die Länder bekommen, auch unten, da wo es die Leute betrifft, bei den Kommunen, dass das wirklich ankommt?
    Wohland: Da müssen wir dann politisch drauf achten. Das ist im Moment erst mal noch nicht sichergestellt. Das sind politische Versprechungen und Beschlüsse zunächst mal.
    Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass eine Landespolitik es durchhalten würde zu sagen, hier knapsen wir noch Geld für den Landeshaushalt ab und geben das Geld nicht weiter an die Kommunen, so wie es eigentlich vereinbart worden ist.
    Heinrich: Also keine festen Regelungen, sondern mehr oder weniger der Druck von außen, von der Öffentlichkeit?
    Wohland: So ist das. Wir werden natürlich als kommunale Spitzenverbände auch diesen Druck weiter erhöhen, damit das Geld auch wirklich dort ankommt, wo es gebraucht wird.
    Heinrich: Sie haben am Anfang vom Interview die Unterbringung der Flüchtlinge schon angesprochen, das Thema Wohnungen. Wenn wir jetzt darauf gucken und sehen, dass vor allem die Anzahl der Sozialwohnungen in Deutschland rückläufig ist, wo sollen denn eigentlich diese ganzen Menschen langfristig untergebracht werden?
    Wohland: Das ist ein großes Problem, was wir sehen. Wir haben im Moment das Problem, den Leuten überhaupt ein Dach über dem Kopf zu verschaffen, das heißt, sie vor Obdachlosigkeit zu schützen. Das gelingt uns nur oder häufig nur in Provisorien mit Turnhallen oder Traglufthallen, die aufgebaut werden.
    Mittelfristig müssen wir natürlich die Menschen, die auch eine Bleibeperspektive haben, weil ihr Asylantrag anerkannt wird, irgendwo dezentral unterbringen, das heißt, in Wohnungen unterbringen, und in vielen Landesteilen zum Beispiel in der Rheinschiene ist jetzt schon bezahlbarer Raum sozusagen Mangelware. Da konkurrieren dann natürlich mittelfristig die Flüchtlinge mit den Menschen auf dem Wohnungsmarkt, die jetzt keine Spitzenmieten zahlen können.
    Heinrich: Ist es denn eine reale Gefahr, dass Flüchtlinge dann obdachlos werden?
    Wohland: Ich will das nicht ausschließen, wenn die Zahl der neu ankommenden Flüchtlinge weiter so hoch bleibt, wie sie ist, und wenn gleichzeitig natürlich ein großer Prozentsatz der Flüchtlinge, die schon zu uns gekommen sind, weiter bleiben können.
    "Das wird eine riesige Herausforderungfür die Gesellschaft werden"
    Heinrich: Herr Wohland, zum Schluss. Die Versorgung von Flüchtlingen, die ist ja eine Sache und kurzfristige Maßnahmen. Das scheint ja jetzt momentan zu laufen. Aber Integration ist jetzt wirklich keine Sache, die einfach per Dekret zu beschließen ist. Wie verhindern wir denn eigentlich mittelfristig gesehen, dass wir hier sogenannte Parallelgesellschaften entwickeln lassen, wie es bei den Gastarbeitern passiert ist?
    Wohland: Das wird eine riesige Herausforderung für die Gesellschaft werden, für die Kommunen vor Ort werden, die sozusagen ja mit den Menschen umgehen und arbeiten müssen und für die Integration zuständig sind. Hier wird sehr viel Kraft und auch Einsatz von Personal notwendig sein, um die Menschen zu integrieren. Das fängt mit den Deutschkursen an, das fängt mit der Betreuung der Kinder der Flüchtlinge in Kitas an, das geht mit der schulischen Ausbildung weiter.
    Wir müssen schauen, wie die Berufsausbildungen anerkannt werden, was die Menschen an Fähigkeiten mitbringen. Das ist eine riesige Herausforderung, die mit deutlich zusätzlichem Personal zu schultern sein wird, und ob das gelingen wird, das vermag eigentlich heute noch keiner zu sagen.
    Heinrich: Also hat die Kanzlerin nicht Recht, wenn sie sagt, wir schaffen das?
    Wohland: So optimistisch sieht das jedenfalls die kommunale Familie nicht.
    Heinrich: Das sagt Andreas Wohland vom Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen. Herr Wohland, vielen, vielen Dank für das Gespräch.
    Wohland: Nichts zu danken. Einen schönen Abend noch.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.