Montag, 29. April 2024

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Flüchtlingsgipfel
"Ein vernünftiger Kompromiss"

Mit der Einigung zwischen Bund und Ländern beim Flüchtlingsgipfel habe der Staat gezeigt, dass er handlungsfähig sei, sagte der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) im DLF. Die Schlüsselfrage sei jetzt, wie man die Menschen, die hier sind, integrieren könne.

Volker Bouffier im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.09.2015
    Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU, M) spricht am 22.09.2015 im Landtag in Wiesbaden (Hessen). Ministerpräsident Bouffier gab unter dem Motto "Hessen packt's" eine Regierungserklärung zur Flüchtlingspolitik ab.
    Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (dpa / picture alliance / Fredrik von Erichsen)
    Man habe sich in wichtigen Fragen geeinigt: eine Pauschale, schnellere Entscheidung bei Asylverfahren, eine halbe Milliarde Euro für den Sozialen Wohnungsbau und das sei "ein vernünftiger Kompromiss". Zwar decke das Geld des Bundes immer noch nicht die Ausgaben der Länder, so Bouffier im DLF, aber man werde jetzt sicher nicht als erstes rufen: Wir brauchen noch mehr Geld.
    Zugleich forderte Hessens Regierungschef unter anderem Maßnahmen wie Hotspots an den Außengrenzen der EU und ein Abkommen mit der Türkei. Insgesamt bleibe es eine Herausforderung von historischer Dimension: "Sie wird uns fordern, aber nicht überfordern", sagte Bouffier. Scheitern sei für ihn keine Alternative.
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    Das Interview in voller Länge:
    Christoph Heinemann: Ungarn ist bald vollständig eingezäunt. Die EU will einigen Nachbarländern von Syrien mehr Geld für die Unterbringung von Flüchtlingen zur Verfügung stellen. Brennpunktzentren, sogenannte Hotspots, sollen in Italien und Griechenland eingerichtet werden, in denen Flüchtlinge registriert werden sollen. Und die Bundesregierung stellt den Ländern weitere Milliarden zur Verfügung. Das hat Angela Merkel gestern den Ministerpräsidenten zugesagt.
    Wir haben vor wenigen Minuten mit Volker Bouffier (CDU) telefoniert. Ich habe den Ministerpräsidenten des Landes Hessen gefragt: Bekommen die Länder jetzt genug Geld?
    Volker Bouffier: Man kann nie genug haben. Das was wir gestern miteinander vereinbart haben, war ein vernünftiger Kompromiss, sowohl vom Inhalt wie von der Summe. Und was mir wichtig ist: Die wesentlichen Dinge haben wir vorangebracht. Wir wollten immer, dass die Verfahren endlich schneller entschieden werden, damit wir wissen, wer kann im Land bleiben, wer muss wieder zurück. Das ist die Schlüsselfrage für die eigentliche Aufgabe, denn die eigentliche Aufgabe ist ja, dass wir die Menschen, die hier bleiben, so integrieren, dass wir gemeinsam erfolgreich sind. Das beginnt mit dem Spracherwerb, das geht über die Frage, wer kann wie arbeiten, das geht über die Frage, wie können wir zum Beispiel organisieren, dass wir auch Wohnungen bekommen. Wir haben gestern einen ganz wichtigen Punkt mit gelöst, indem der Bund sich verpflichtet hat, in den nächsten Jahren eine halbe Milliarde zusätzlich für den sozialen Wohnungsbau zu geben. Das sind wichtige Elemente.
    Und zum anderen: Die Summe, die jetzt gefunden wurde, ist ein wichtiger Beitrag. Aber kein Zweifel: Das deckt natürlich nicht die Aufwendungen, die die Länder und auch die Kommunen haben. Aber es ist eine nationale Aufgabe und so verstanden ist es ein vernünftiger Kompromiss.
    Heinemann: Das heißt, Sie brauchen noch mehr Geld?
    Bouffier: Nein. Wir werden jetzt nicht, nachdem wir lange, lange gerungen haben, als Erstes rufen, jetzt will ich noch mehr Geld. Das ist falsch, sondern diese 4,1, - 4,2 Milliarden, die der Bund jetzt zur Verfügung stellt, ist ein wichtiger Beitrag, der uns, die Länder in den Stand versetzt, die Aufgabe besser zu erfüllen. Aber unsere eigenen Anstrengungen bleiben.
    "Eine zivilgesellschaftliche Aufgabe"
    Heinemann: Die Aufgabe hat die "FAZ" neulich mal so formuliert: "Aus Flüchtlingen müssen Beitragszahler und Verfassungspatrioten werden." Was ist schwieriger?
    Bouffier: Das Zweite. Das Erste mit dem Beitragszahler, das kann man einigermaßen planen. Die Menschen, die zu uns kommen, sprechen nahezu kein Deutsch. Also erste Aufgabe Deutsch. Nur wer die deutsche Sprache kann, hat eine Chance, eine Ausbildung zu bestreiten oder qualifiziert in einem Beruf zu arbeiten. Das kann man hinbekommen, auch nicht in zwei Tagen, das wird länger dauern, aber das, denke ich, kann gelingen.
    Das Zweite, Verfassungspatriotismus, das kann man nicht verordnen, sondern das muss gelebt werden und das muss in vielen, vielen Bereichen dann auch geschehen. Das ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, das können Sie auch nicht als Regierung verordnen, sondern die Menschen, die dann vor Ort irgendwo sind. Das muss man so gestalten, dass aus Flüchtlingen dann Mitbürger werden. Das beginnt über die Kitas, das geht über die Schulen, das geht über den Sport, das geht über zivilgesellschaftliche Einrichtungen. Der Prozess wird sicher länger dauern.
    Heinemann: Herr Bouffier, Horst Seehofer spricht über Obergrenzen, Thomas de Maizière über Kontingente. Das wird wahrscheinlich schwer durchzusetzen sein. Wenn jetzt immer mehr Menschen kommen, oder lange Zeit viele, muss man in letzter Konsequenz das Asylrecht ändern?
    Bouffier: Darum geht es jetzt nicht. Unser Asylrecht ist ja nun eine grundgesetzliche Regelung. Die wollen wir jetzt auch nicht verändern. Aber in diesem Zusammenhang muss man auf eines hinweisen, was am Mittwochabend gelungen ist, das ich für sehr wichtig halte. Wir müssen den Menschen, die jetzt sich auf den Weg machen nach Europa, eine Perspektive aufzeigen, dass das nicht die einzige Lösung ist, und das beginnt damit, dass wir die Verhältnisse in den Flüchtlingslagern in Jordanien und im Libanon etc. verbessern. Deshalb hat die Europäische Kommission dazu einiges beschlossen, kostet auch eine Menge Geld, ist aber richtig.
    Das Zweite: Wir wollen an Europas Außengrenzen sogenannte Hotspots machen. Das heißt, diese Auffangzentren, damit wir überhaupt in der Lage sind, geordnet einmal zu registrieren und dann auch zu steuern und zu verteilen. Das soll in Griechenland geschehen, in Bulgarien, in Italien. Wenn man weiß, wie schwierig das in Europa ist, sind das wichtige Entscheidungen.
    Zum Dritten: Wir brauchen eine Vereinbarung mit der Türkei. Der Unterschied liegt doch in folgendem: Die Menschen, die Angst haben müssen, dass sie umgebracht werden, dass die Frauen vergewaltigt werden und ähnlich schlimme Dinge, die sind auf der Flucht und denen müssen wir helfen. Das sind Verfolgte. Die anderen, die in einem Land sind, jetzt sage ich mal zum Beispiel an der Ägäis-Küste in der Türkei, die müssen diese Sorgen nicht haben. Die haben, was ich menschlich verstehen kann, den Wunsch, ein anderes, perspektivreicheres Leben in Europa zu führen, aber das ist kein Asylgrund und das muss man auseinandernehmen.
    Zum Dritten haben wir die aus dem Westbalkan, die alle nicht verfolgt sind, sondern die in einer zugegebenermaßen wirtschaftlich schwierigen Lage sind. Dort muss man anders helfen und das haben wir ja nun gestern auch beschlossen, dass wir einen Korridor bilden wollen für diejenigen, die geeignet sind, die einen Arbeitsplatz hier nachweisen können, dass die legal zureisen können. - Also es ist eine ganze Fülle von ganz unterschiedlichen Dingen.
    "Diese Herausforderung ist eine von historischer Dimension"
    Heinemann: Und da sind einige Lösungen gefunden worden. - Wieso lässt Horst Seehofer eigentlich kaum einen Tag aus, um Angela Merkel zu kritisieren?
    Bouffier: Ich habe jetzt mit Horst Seehofer und Angela Merkel, ich glaube, alles in allem 20 Stunden zusammengesessen. Ich kann das nicht bestätigen.
    Heinemann: Wir hören immer wieder, die Öffnung der Grenzen sei ein Fehler gewesen, sagt Seehofer, der uns noch lange beschäftigen wird. Das klingt ja nicht nach Lob.
    Bouffier: Die Bundeskanzlerin hat in einer konkreten Lage eine Entscheidung getroffen, von der ich auch nicht wüsste, wie man sie anders treffen könnte. Das kann natürlich nicht eine Dauerlösung sein. Und am Ende bleibt, diese Herausforderung ist eine von historischer Dimension. Sie wird uns fordern, aber, wenn wir es klug machen, nicht überfordern, und sie wird uns Jahre beschäftigen. Da sollten wir keine Illusionen haben. Insofern halte ich wenig davon, jetzt zurückzublicken und zu fragen, was war richtig oder falsch. Wir müssen die Aufgaben lösen und das haben wir gestern mit einem, wie ich finde, sehr ordentlichen Kompromiss ein ganzes Stück nach vorne gebracht.
    Heinemann: Spricht Seehofer auch für Teile der CDU?
    Bouffier: Horst Seehofer spricht als Vorsitzender der CSU und als bayerischer Ministerpräsident und der Umstand, dass wir gestern einstimmig alle 16 Länder mit sehr unterschiedlichen politischen Verhältnissen plus Bundesregierung ein so breites Werk gemeinsam verabschiedet haben, ich glaube, das ist das wichtigere Signal. Der Staat ist handlungsfähig, wir sind einigungsfähig und wir laufen jetzt hier nicht weg und sagen, wir haben alle Probleme gelöst. Aber wir haben einen wesentlichen Teil nach vorne gebracht.
    Heinemann: Könnte Angela Merkels Kanzlerschaft an der Aufgabe der Integration so vieler Menschen scheitern?
    Bouffier: Scheitern ist keine Alternative. Ich glaube das nicht.
    Heinemann: Könnte es?
    Bouffier: Schauen Sie, das ist jetzt reine Spekulation. Ich sehe das nicht.
    Heinemann: Das Gespräch mit Volker Bouffier (CDU), dem Ministerpräsidenten des Landes Hessen, haben wir gegen acht Uhr aufgezeichnet.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.