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Flüchtlingsgipfel
Merkel hofft auf Leidensdruck

Auch wenn die Beschlüsse des jüngsten EU-Gipfels zur Flüchtlingsfrage wenig Handfestes gebracht haben, Bundeskanzlerin Merkel gibt sich hoffnungsvoll: Je stärker die bisher noch blockierenden Staaten unter Druck gerieten, desto schneller könnten sich die Mitgliedsländer auf verbindliche Maßnahmen in der Flüchtlingskrise einigen.

Von Peter Kapern | 18.12.2015
    Bundeskanzlerin Angela Merkel und die EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini auf dem EU-Gipfel in Brüssel.
    Bundeskanzlerin Merkel setzt darauf, dass die EU sich in der Flüchtlingsfrage einigt - nicht zuletzt, weil der Druck einfach immer weiter wächst. (AFP / Belga / Danny Gys)
    Kurz vor Mitternacht war es, da wurde im Brüsseler Pressesaal ein Papier verteilt, auf dem die Beschlüsse des EU-Gipfels in Sachen Flüchtlingskrise zusammengefasst waren. Ein großes Deja Vu machte sich breit. Nichts Neues stand da zu lesen. Nur die schon vor Wochen und Monaten gefassten Beschlüsse, versehen mit der Beteuerung: Jetzt müssen sie aber wirklich umgesetzt werden. Eine halbe Stunde später, kurz nach Mitternacht, erklärte die Kanzlerin dann, wie das Papier zu verstehen sei. Und zwar: Was nach nichts aussieht, muss nicht unbedingt nichts sein. Oder anders ausgedrückt:
    "Auch wenn vielleicht noch aus Ihrer Sicht viele spezifische Lösungen nicht völlig klar sichtbar sind, so muss ich doch sagen, dass gegenüber dem letzten Rat und unseren letzten Diskussionen die Erkenntnis doch gewachsen ist, ..."
    Die Erkenntnis nämlich, dass die Existenz des Schengenraums auf dem Spiel steht, wenn die Zahl der Flüchtlinge nicht drastisch reduziert wird. Und damit dies gelingt, bedürfe es, so die Kanzlerin, eines ganzen Bündels von Maßnahmen, die nun dringend umgesetzt werden müssen. Die sogenannten Hotspots – Auffanglager für Flüchtlinge in den Ankunftsländern - müssen endlich aufgebaut werden und ihre Arbeit aufnehmen. Den Ländern an den Außengrenzen muss wirksam bei der Bearbeitung von Asylanträgen und bei den Abschiebungen geholfen werden. Die bereits beschlossene Umverteilung von 160.000 Flüchtlingen muss vorangetrieben werden. Bislang sind ganze 200 Flüchtlinge von Griechenland in andere EU-Länder gebracht worden.
    "Vertrauen auf die Existenz der Exponentialkurve"
    Am Ende der Aufzählung dieser und weiterer Maßnahmen blickte Angela Merkel in skeptische Journalistengesichter. Warum, so brachte eine Kollegin die Zweifel auf den Punkt, sollte jetzt möglich sein, was bislang immer nur verschoben, blockiert und verhindert worden ist. Die Antwort wies die Kanzlerin als in der Mathematik versierte Physikerin aus:
    "Man kann nur vertrauen auf die Existenz der Exponentialkurve."
    Soll heißen: Mit dem Leidensdruck wächst unter den EU-Staaten mit zunehmender Geschwindigkeit die Bereitschaft, die eigenen Beschlüsse umzusetzen. Dass andernfalls die EU in unterschiedliche Lager zu zerfallen droht, das hat auch ein Minigipfel verdeutlicht, der am Mittag vor dem eigentlichen EU-Gipfel stattgefunden hatte. 11 EU-Mitgliedsländer waren dort vertreten, die sogar bereit wären, der Türkei große Flüchtlingskontingente abzunehmen, was bei den übrigen EU-Staaten auf eine Mischung aus Desinteresse und Ablehnung stößt. Angela Merkel bemühte sich in der Nacht, die Wogen, die diese initiative ausgelöst hatte, zu glätten. Bis zur Aufnahme von Flüchtlingskontingenten sei es noch ein weiter Weg.
    "Wir können nur ein solches freiwilliges Programm machen, also legale Migration, wenn die illegale Migration deutlich, sehr reduziert wird. Da sind wir noch nicht."
    Cameron hoffnungsvoll bezüglich guten Deals mit der EU
    Kürzer könnte der Weg zur Umsetzung der Kommissionsvorschläge zur Grenzsicherung sein. Frontex-Grenzschützer könnten die Kontrolle von EU-Außengrenzen übernehmen, wenn die betreffenden Länder mit der Aufgabe überfordert seien. Und das notfalls auch gegen das Votum der jeweiligen Mitgliedstaaten. So die Idee der Kommission, auf die einige Länder wie Polen etwa unmittelbar mit Ablehnung reagiert hatten. Einen Verlust der Souveränität über die eigenen Grenzen wollen diese Staaten nicht hinnehmen. Gestern Abend aber, in der Gipfelrunde, da hörte sich das nach den Worten von Angela Merkel schon anders an:
    "Eine Stimme war vielleicht zu dieser Frage der Souveränität, alle anderen haben das im Grundsatz begrüßt..."
    ... und beschlossen, dass der Kommissionsvorschlag bis Juni 2016 mehr oder weniger umgesetzt sein soll.
    Schneller sollen in einem anderen Bereich Ergebnisse erzielt werden. Und zwar schon bis Februar. Bis dahin soll klar sein, ob die EU Großbritanniens Forderungen nach einer Neuverhandlung seiner Mitgliedschaft entgegenkommt. Beim Abendessen hatte David Cameron seine Forderungen erläutert. Und am Ende des ersten Gipfeltages hatte er dann für seine Landleute gute Nachrichten. Es gebe einen Pfad hin zu einer Vereinbarung:
    "I would say the good news is that there's a pathway to an agreement. But the truth is this: It will be very hard work."
    Die schlechten Nachrichten, die er hinterherschob: Es liege noch eine Menge harter Arbeit vor ihm. Und dabei geht es vor allem um seine Forderung, die Zuwanderung aus der EU auf die Insel zu begrenzen. Ein Kompromiss sei machbar, sagte die Kanzlerin, die Freizügigkeit dürfe dadurch aber keinen Schaden nehmen.