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Flüchtlingsgipfel
"So wird Integration in den Sand gesetzt"

Es sei falsch gewesen, die Unterbringungszeit bestimmter Flüchtlinge in Erstaufnahmestellen auf bis zu sechs Monate auszuweiten, sagte Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, im DLF. Ihnen drohten menschenunwürdige Zustände: Flüchtlingsfamilien müssten dann in Hallen mit 700 Menschen leben, obwohl es eine Wohnung für sie gäbe, so Burkhardt.

Günter Burkhardt im Gespräch mit Bastian Brandau | 25.09.2015
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl
    Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl, kritisiert die Beschlüsse des Bund-Länder-Gipfels. (Imago)
    Bastian Brandau: Alle 16 Ministerpräsidenten waren da und das gesamte Bundeskabinett, als gestern die weitere Flüchtlingspolitik der Bundesregierung beschlossen wurde. Herausgekommen ist eine Lösung, die mehr Geld beinhaltet, mehr Geld für die Länder und Kommunen, die sich um die Aufnahme und Versorgung der Flüchtlinge kümmern. Auch für jugendliche Flüchtlinge und für den sozialen Wohnungsbau gibt es mehr Geld. Gleichzeitig sollen Albanien, Kosovo und Montenegro zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden. Asylverfahren von Menschen aus diesen Ländern sollen so schneller bearbeitet werden. Das ist der Kompromiss zwischen Bund und Ländern.
    Am Telefon mitgehört hat Günter Burkhardt. Er ist Geschäftsführer von Pro Asyl. Herr Burkhardt, ich grüße Sie!
    Günter Burkhardt: Hallo!
    Brandau: Herr Burkhardt, mehr Geld für die Aufnahme und Unterkunft von Flüchtlingen. Die Kommunen können jetzt sicher planen. Das ist sicher ein Ergebnis, das Sie begrüßen?
    Burkhardt: Ja, ja! Man setzt aber nur auf eine Notunterbringung. Man hat kein Konzept entwickelt, wie Menschen aus diesen Notunterkünften, den Erstunterkünften rauskommen. Das wird sich langfristig rächen, denn die sollen ja länger dort drin bleiben, auch alle Syrer, Afghanen, Iraker, die Angehörige in Deutschland haben, bis zu sechs Monate. So wird Integration in den Sand gesetzt. So fährt er krachend gegen die Wand. Wir werden menschenunwürdige Zustände haben, Frauen mit Babys, die in Hallen mit 700 Menschen leben müssen, obwohl es draußen eine Wohnung für sie gäbe, obwohl sie bei Angehörigen unterkommen könnten.
    Verlängerung der Erstaufnahmezeit ist Fehler
    Brandau: Und dem könnte durch das zusätzliche Geld nicht entgegengewirkt werden?
    Burkhardt: Nein! Weil es ist ja vorgesehen, dass man die Dauer der Erstaufnahme, wo man zwangsverpflichtet ist, in solchen großen Unterkünften zu leben, verlängert. Von sechs Wochen auf bis zu sechs Monate soll das gehen. Das ist der große Fehler, der begangen wurde, dass man nicht auf Integration setzt, obwohl drei Viertel aller Ankommenden aus Kriegs- und Krisengebieten stammen und hier bleiben werden.
    Brandau: Wo sehen Sie die positiven Aspekte? Was haben die Flüchtlinge in Deutschland von diesem Kompromiss?
    Burkhardt: Recht wenig. Die Asylverfahren werden nicht schneller, sie werden bürokratischer. Man schaltet quasi dem Verfahren vor eine Bescheinigung über die Meldung als Asylsuchender. Das wird legalisiert. Damit laufen dann die Menschen vor einem Verfahren wochenlang herum. Wir kennen Fälle von jetzt bis zu einem Jahr. Nur das wird jetzt auf legale Füße gestellt und das verhindert schnelle Entscheidungen. Wir wollen faire Entscheidungen, schnelle Entscheidungen, aber dazu müsste zum Beispiel geregelt werden, dass man auch sagt, die Person, die einen anhört, die entscheidet. Es kommt ja auf die Glaubwürdigkeit an. Man muss aufhören zu überlegen, ob man etwa afghanische Flüchtlinge nach Ungarn schicken könnte, auch all die, die Frau Merkel hat einreisen lassen. Da rüttelt der Innenminister nicht dran, sondern im Prinzip setzt er sein ordnungspolitisches Denken durch, auf Kosten der Flüchtlinge und auf Kosten der Menschenrechte.
    Rückführung nach Ungarn kann keiner verantworten
    Brandau: Stichwort schnellere Bearbeitungszeit. Da soll ja auch die Anzahl der Mitarbeiter beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge verdoppelt werden.
    Burkhardt: Das hilft aber doch nichts, wenn ich nicht sorgfältig frage, warum ist jemand geflohen, sondern nur frage, wie war denn der Fluchtweg. Kein Afghane mit Angehörigen in Deutschland hat, wenn er in Griechenland ankommt, eine andere Chance, als über die Balkan-Route, über Ungarn oder Österreich hier herzukommen, und er kann den Fluchtweg nicht offenlegen. Damit verlieren wir alle Zeit und dass wir ihn zurückschicken nach Ungarn, das kann doch im Moment wohl niemand verantworten.
    Pro Asyl kritisiert Ablauf von Asylverfahren
    Brandau: Was schlagen Sie stattdessen vor?
    Burkhardt: Wir wollen, dass faire und zügige Verfahren durchgeführt werden. Wir wollen, dass man einem Menschen an der Grenze sagt, ich brauche ein Asyl, ich will Asyl, dass ab dann schnell das Verfahren läuft und nicht dann vorgeschaltet zwei andere Behörden hier zu Gange sind. Wir wissen ja, dass im Moment bei Syrien, Irak, auch Eritrea und Somalia Menschen nicht zurückkehren können, kollektiv quasi verfolgt sind. Das kann man beschleunigen, indem man nicht mehr den einzelnen Fall, was ihm alles widerfahren ist, würdigen muss. Es gibt Verfahrenstechniken, Pro Asyl hat sie vorgelegt. Nur sie stoßen nicht auf Gehör bei dem Innenministerium.
    Brandau: Vereinbart wurde ja außerdem, dass für Menschen aus den Westbalkan-Staaten der Weg in den deutschen Arbeitsmarkt erleichtert wird. Das findet auch zum Beispiel der Ministerpräsident der Grünen-Politiker von Baden-Württemberg gut. Wir hören mal kurz rein:
    O-Ton Winfried Kretschmann: "Ich bin auch sehr zufrieden, dass es zu diesem Kompromiss gekommen ist. Jeder muss die Dinge schlucken, die für ihn schwierig waren. Aber es hat an der konstruktiven Atmosphäre nichts geändert und sie war wirklich sehr, sehr konstruktiv bei allen Beteiligten."
    Brandau: Konstruktive Atmosphäre - sehen Sie das auch so, Herr Burkhardt?
    Burkhardt: Wenn Daimler-Benz Arbeitskräfte braucht und es kommen Menschen aus den Balkan-Staaten, die geeignet sind, in Baden-Württemberg oder woanders arbeiten zu wollen und zu können, dann ist es sinnvoll, sie zu lassen. Das hat aber mit dem Schutz von Flüchtlingen nichts zu tun. Es ist richtig, aus volkswirtschaftlicher Sicht, aus migrationspolitischer Sicht, alternative Zugangswege nach Deutschland zu öffnen. Diese Überlegung, zu sagen, wir wollen, dass aus Balkan-Staaten Menschen kommen und in den Arbeitsmarkt gehen, ist in Ordnung.
    Nur bitte schön, warum darf ein Afghane nicht so einen Weg gehen, dass er in den Arbeitsmarkt wechselt? Und es hat, noch einmal formuliert, nichts damit zu tun, dass es in diesen Balkan-Staaten immer noch Verfolgung gibt. Im Kosovo sind 5000 KFOR-Soldaten stationiert. Es herrschen mafiöse Strukturen vor in Albanien, in Montenegro. Wir reden von einem Staat, der nicht wirklich existiert, wo Journalisten bedroht werden, wo Homosexuelle stark unter Druck stehen, von Roma gar nicht zu reden. Da kann ich nicht von einem sicheren Herkunftsland reden. Klar kommen aus Balkan-Staaten auch Menschen, die arbeiten möchten, und das ist der Hauptgrund, aber es kommen auch Menschen, die Schutz brauchen, und das muss in einem individuellen Verfahren herausgearbeitet werden. Da macht es sich Herr Kretschmann zu einfach mit seiner pauschalen Zustimmung, das sind angeblich sichere Herkunftsstaaten.
    Keine Klarheit auf Kosten der Menschenrechte schaffen
    Brandau: Aber kann es nicht auch die öffentliche Diskussion entlasten, wenn hier Klarheit geschaffen wird?
    Burkhardt: Aber ich kann doch nicht Klarheit schaffen auf Kosten der Menschenrechte. Es spricht doch nichts dagegen, dass man eine Migration erlaubt, dass es eine Einwanderungsmöglichkeit gibt. Unabhängig davon ist ein Asylrecht. Da kommt es nicht darauf an, ist jemand nützlich, sondern braucht jemand Schutz.
    Brandau: Die Frage stellt sich ja auch. Frau Merkel hat gesagt, wir haben keine Obergrenze. Aber irgendwann wird sich die Frage in der öffentlichen Diskussion vermutlich auch stellen, wie viele Menschen können wir aufnehmen. Was denken Sie denn, wie viele können wir stemmen? Gibt es eine Obergrenze?
    Burkhardt: Es kann keine geben. Wir leben in Europa, hier gilt uneingeschränkt die europäische Menschenrechtskonvention. Jeder, der hier an Europas Tür anklopft, also auch bei Herrn Orbán in Ungarn, oder in Griechenland, wenn er an dem Grenzzaun steht in der Nordregion und sagt, ich brauche Schutz, ich bin verfolgt, hat das Recht, europäischen Boden zu betreten, und er hat das Recht, dass sein Asylantrag geprüft wird. Und da ist eben nicht das Grundgesetz maßgebend - insofern eine leichte Änderung zur Aussage von Frau Merkel, die insgesamt recht hat -, sondern die Europäische Menschenrechtskonvention. Und die Kritik des Bundesinnenministers gestern Abend an der Kanzlerin geht an der Sache vorbei. Die Menschen fliehen aus Syrien, Irak, Afghanistan doch nicht, weil Frau Merkel gesagt hat, wir sind human, sondern weil sie wissen, Europa schließt die Tore, bald ist der Weg über den Balkan zu.
    Europa versucht, die Türkei dazu zu bekommen, die Grenzen zu schließen. Das löst Torschlusspanik aus. Es gibt ja keine legalen Wege, um etwa aus der Türkei hier herzukommen, selbst wenn ich Syrer bin und Angehörige in Deutschland leben, zum Teil deutsche Staatsbürger sind.
    Brandau: Das sagt Günter Burkhardt, Geschäftsführer von Pro Asyl. Herr Burkhardt, ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch.
    Burkhardt: Gern geschehen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.