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Flüchtlingshilfswerk lobt privates Engagement in Syrien

Das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR in Damaskus lobt das Engagement der syrischen Bevölkerung bei der Betreuung von Flüchtlingen aus dem Libanon. "Syrien hat bisher eine sehr, sehr großartige Hilfe geleistet", sagte UNHCR- Sprecherin Annett Rehrl. Die Libanesen würden von den Syrern als Gäste empfangen.

Moderation: Silvia Engels |
    Silvia Engels: Die 48-Stunden-Frist, in der Israel die Luftangriffe im Libanon etwas zurückgefahren hatte, sind abgelaufen. Die Kämpfe haben in der Nacht wieder an Intensität zugenommen. Was bedeutet das für die Zivilisten, die nach wie vor in der Region unterwegs sind? In der syrischen Hauptstadt Damaskus bin ich nun verbunden mit Annett Rehrl, Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen, kurz UNHCR, in Damaskus.

    Guten Morgen, Frau Rehrl!

    Annett Rehrl: Guten Morgen, Frau Engels!

    Engels: Wie hat der UNHCR die zeitweilige Unterbrechung der israelischen Luftangriffe im Libanon zur Versorgung der Flüchtlinge, die vor allen Dingen im Libanon ja auch unterwegs sind, nutzen können?

    Rehrl: Wir haben die Zeit genutzt, wie wir sie bisher überhaupt genutzt haben, das hat für uns keinen großen Unterschied gemacht, für die Flüchtlinge allerdings schon. Denn die Flüchtlinge, die wir bisher vom Libanon schon empfangen haben, sind während dieser 48 Stunden zurück in den Libanon, um neue Menschen dort aufzulesen, entweder Verwandte oder Freunde. Das haben sie uns zumindest erzählt, als sie wieder zurückgekommen sind. Man muss dazu wissen, dass viele der Flüchtlinge mit ihren eigenen Autos oder mit Taxis in Syrien eingereist sind. Die, die mit eigenen Autos hier waren, haben wie gesagt die Zeit genutzt, um zurückzufahren und neue Leute zu holen.

    Engels: Was erzählen diese Flüchtlinge aus dem Libanon über die Situation dort?

    Rehrl: Das sind ganz grauenvolle Geschichten. Im Großen und Ganzen sind die Flüchtlinge von hier auf jetzt gegangen. Ich habe schon mit vielen gesprochen. Die meisten von ihnen sind zum ersten Mal in ihrem Leben überhaupt Flüchtling und haben mitbekommen, wie ein Nachbardorf oder eine Straße in unmittelbarer Nähe angegriffen worden ist. Sie haben Tote gesehen. Sie haben die Zerstörung ihrer Häuser miterlebt und sind einfach ins nächste Auto gesprungen und haben ihre Kinder gepackt, sind ins nächste Auto gesprungen mit nicht sehr viel mehr als das, was sie auf dem Leib tragen, nämlich ihren Kleider, und sind davon gefahren. Das sind zumindest die Geschichten, die wir von Flüchtlingen aus dem Südlibanon haben und auch aus der Gegend um Baalbek.

    Engels: Hat der UNHCR auch Hilfslieferungen in den Libanon hineinbringen können, oder geht es vor allen Dingen darum, Flüchtlinge dort hinauszuholen?

    Rehrl: Im Libanon sind derzeit rund eine Millionen Flüchtlinge, also Binnenvertriebene. Viele dieser Binnenvertriebene kommen nach einem gewissen Zeitpunkt in Syrien als Flüchtlinge an. Denn der erste Schritt ist der, dass man sich zunächst im nächsten Dorf oder in der nächsten größeren Stadt Hilfe erhofft oder mehr Sicherheit erhofft. Viele der Flüchtlinge, die wir hier empfangen haben, sind vorerst in zwei, drei verschiedenen Stellen innerhalb vom Libanon vertrieben gewesen, bis sie dann hierher gekommen sind. Wir bringen derzeit keine Menschen aus dem Libanon hinaus. Wir haben Konvois, die Hilfsgüter in den Libanon hinein transportieren. Wenn die wieder zurückfahren und wir Menschen sehen, die das Land verlassen möchten, dann nehmen wir sie mit. Aber es gibt keinen organisierten Transport für Flüchtlinge aus dem Libanon hinaus.

    Engels: Wie ist der Zustand der Flüchtlinge, die es über die Grenze zu Ihnen schaffen? Woran fehlt es am meisten?

    Rehrl: Derzeit fehlt es am meisten an Milch für die Babys. Es sind sehr viele Mütter dabei, die Babys haben, also zwischen ein paar Tagen alt und einem Jahr, und sie haben keine Milch. Die Mütter, die ihren Kindern die Brust gegeben haben, können das nicht mehr tun, weil sie durch das Trauma und den Schock jegliche Milchproduktion eingestellt haben. Und das ist das, was wir bisher gehört haben, was sie am meisten brauchen: Milch für die Babys und für die Kleinkinder. Und dann fehlt es ihnen auch an Kleidung und an Unterwäsche. Denn wie gesagt, sie sind mit dem gekommen, was sie auf dem Leib hatten und haben sich nicht die Zeit genommen, erst noch mal einen Koffer zu packen.

    Engels: Weit über 100.000 Flüchtlinge werden zurzeit in Syrien ja schon betreut. Wie wird das Land damit fertig?

    Rehrl: Syrien hat bisher eine sehr, sehr großartige Hilfe geleistet. Der syrische Aufgehende Halbmond, das ist hier die Schwesterorganisation zu dem, was wir in Deutschland als das Rote Kreuz kennen, nimmt die Flüchtlinge an der Grenze in Empfang. Familien haben sich gemeldet, die Menschen aufnehmen. Die Regierung hat in den ersten zwei Wochen Schulen zur Verfügung gestellt, wir haben ja jetzt hier Ferien, in denen die Flüchtlinge untergebracht wurden. Es gibt hier Jugendlager für Jugendliche, Sommerlager in denen die Flüchtlinge auch untergebracht worden sind. Nun ist es so, dass die Regierung angesichts dessen, dass Mitte September die Schulen wieder eröffnet werden, allmählich dazu übergeht, die Flüchtlinge von diesen Schulen in die Sommerlager umzusiedeln, und es gibt nach wie vor eben sehr, sehr viele Privatfamilien, die nicht nur Freunde oder Verwandte, sondern auch völlig Unbekannte bei sich aufnehmen. Flüchtlinge sind aber auch derzeit in Hotels untergebracht. Das sind alles Spenden kann man so sagen, freiwillige Gesten des syrischen Volkes, die auch innerhalb von Damaskus, da können wir das ganz besonders sehen, Kleidung spenden, die Unterwäsche spenden, Nahrung spenden, es wird für die Flüchtlinge gekocht. Also bis jetzt geht es ihnen im Verhältnis zu dem, was sie sonst durchmachen, eigentlich noch sehr gut. Aber das ist eine Frage der Zeit, wie lange auch die syrische Bevölkerung das durchhalten kann. Bis jetzt sagen sie uns, die Libanesen sind unsere Gäste, und wir möchten sie auch als unsere Gäste weiterhin behandeln.

    Engels: Gibt es denn irgendwo Bestrebungen, die libanesischen Flüchtlingen in der Region zu verteilen, und wird das nicht unvermeidbar sein?


    Rehrl: Für den Augenblick haben wir diese Bestrebungen noch nicht. Es sind natürlich sowohl im Libanon, als auch in Syrien Verhandlungen mit den Regierungen permanent im Gange. Im Moment sind wir dabei, hier in Syrien für UNHCR drei weitere Büros zu eröffnen. Im Norden, in Aleppo, in Homs und in Tartus, weil wir vor allem vom Nordlibanon auch sehr viele Flüchtlinge in Syrien empfangen, die dann dort sehr viel besser betreut werden können.

    Engels: Das heißt, die Forderung, die ja derzeit in Deutschland zum Teil erhoben wird, Europa als Anlaufstation für libanesische Flüchtlinge zu öffnen, teilen Sie nicht?

    Rehrl: Wir sind hier so unmittelbar mit dem beschäftigt, was sich hier täglich vor Ort abspielt, dass wir uns jetzt im Augenblick mit diesen Fragen nicht beschäftigen. Wir wissen, dass es reiche Libanesen gibt, das muss man auch dazu sagen, das gehört auch noch zum Allgemeinbefinden der Flüchtlinge hier. Viele Libanesen, vor allem diejenigen aus Beirut, die hierher gekommen sind, sind Mittelklasse-Bürger. Die fühlen sich vollkommen überwältigt, dass sie sich jetzt in einer Situation befinden, in der sie ein gekochtes Essen serviert bekommen und Unterwäsche gespendet bekommen. Viele von denen haben auch ihr Geld zurückgelassen. Sie haben nicht mehr ihren Pass oder ihre wesentlichen Papiere mitgenommen. Manche haben es geschafft und sind irgendwo anders innerhalb Europas oder sonst wo hin in der Welt ausgereist, haben sich ein Flugticket gekauft. Aber von uns aus, unsere Aufgabe hier ist, die Flüchtlinge zu betreuen mit Hilfe der, vielmehr nicht mit Hilfe, sondern wir helfen der syrischen Regierung in all ihren Bestrebungen, die Flüchtlinge hier so gut wie möglich zu betreuen, und wo einzelne dann vielleicht innerhalb Europas hin möchten oder so, dass ist derzeit nicht unser unmittelbarstes Problem.

    Engels: Annett Rehrl war das. Sie ist die Sprecherin des Flüchtlingshilfswerks der Vereinten Nationen UNHCR in Damaskus. Ich bedanke mich herzlich für Ihre Eindrücke und für Ihre Arbeit. Alles Gute!