Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

Flüchtlingskatastrophe in Südostasien
"Das müssen entsetzliche Bedingungen sein"

8.000 Flüchtlinge sollen sich in Südostasien zurzeit auf dem Meer befinden. Davon geht der Sprecher der Internationalen Organisation für Migration in Asien, Joe Lowry, aus. Die Menschen müssten dringend an Land und versorgt werden, forderte Lowry im DLF. Die Schmuggler würden sie verhungern lassen und setzten sie unmenschlichen Bedingungen aus.

Joe Lowry im Gespräch mit Christoph Heinemann | 15.05.2015
    Angehörige der muslimischen Minderheit Rohingya in einer Notunterkunft in Aceh, Indonesien.
    Bei den Flüchtlingen, die Malaysia wieder zurück aufs offene Meer geschleppt hat, soll es sich um Mitglieder der Rohingya-Volksgruppe aus Myanmar sowie um Flüchtlinge aus Bangladesch handeln. (Imago / ZUMA Press)
    Christoph Heinemann: Wie viele Menschen müssten zurzeit gerettet werden?

    Joe Lowry: Wir rechnen damit, dass sich zur Zeit 8.000 Menschen auf dem Meer befinden.

    Heinemann: Wo befinden sich zurzeit die meisten Boote?
    "Trinken Meerwasser, um zu überleben"
    Lowry: Schwer zu sagen, im nördlichen Teil des Golfs von Bengalen zwischen Myanmar und Bangladesh und vermutlich vor den Küsten von Malaysia, Indonesien und Thailand.

    Heinemann: Unter welchen Bedingungen leben die Menschen auf den Booten?

    Lowry: Wir wissen zumindest von einem Schiff mit 350 Menschen, die seit nunmehr vier Tagen weder über ausreichend Lebensmittel noch Wasser verfügen. Das müssen entsetzliche Bedingungen sein, sie trinken vermutlich Meerwasser, um überleben zu könne, wenn sie noch leben.

    Das Schlimme ist, dass diese Boote nirgendwo landen können. Wir können nur hoffen, dass die Regierungen in der Region ihnen das erlauben und dabei helfen werden, auch mit medizinischer und sonstiger humanitärer Hilfe, die dringend benötigt wird.
    "Die Zeit wird definitiv knapp"
    Heinemann: Die Zeit wird knapp?

    Lowry: Die Zeit wird definitiv knapp. Einige Menschen sind seit Anfang März unterwegs. Sie durften aber nur begrenzt Lebensmittel und Wasser auf die Boote mitnehmen. So sind die Bedingungen auf den bekannten Schmuggel-Routen. Wir wissen, dass einige Boote führungslos herumtreiben. Die Menschen müssen dringend an Land und versorgt werden.

    Heinemann: Was wissen Sie über die Organisation der Netzwerke des Menschenhandels in der Region?
    Schmuggler sind "skrupellos"

    Lowry: Sie sind sehr mächtig und wohlhabend – 250 Millionen Dollar pro Jahr in dieser Region. Sie sind skrupellos. Sie erpressen Lösegeld, sind verantwortlich für Vergewaltigungen und Mord. Sie lassen Menschen verhungern oder setzen sie unmenschlichen Bedingungen aus. Keine netten Leute.

    Heinemann: Wie ist der jüngste Anstieg der Migrationsbewegung in dieser Region zu erklären?

    Lowry: Es handelt sich hier um eine etablierte Schmuggelroute für Menschen, die vor allem nach Malaysia gelangen möchten. In den letzten drei Jahren ist die Zahl angestiegen. Der Grund für die gegenwärtige Krise ist, dass die thailändische Regierung scharf gegen die bisherigen Schmuggelrouten vorgegangen ist. Thailand ist praktisch dicht für Schmuggler, die immer über die bekannten Wege operieren. Das bedeutet für die Menschen, die sich auf See befinden, dass sie nicht landen können. Sie können sich auch nicht weiterbewegen. Sie sind in einem verzweifelten Schwebezustand gefangen.
    "Migration ist die älteste Strategie der Welt gegen Armut"
    Heinemann: Und bisher gibt es keine Such- und Rettungsoperation?

    Lowry: Wir gehen davon aus, dass es das gibt, aber das muss aufgestockt werden. Nichtregierungsorganisationen oder wir als Internationale Organisation für Migration können das nicht leisten, da wir über keine Hubschrauber oder Schiffe verfügen. Stellen Sie sich das vor: In diesen Gewässern verkehren hunderttausende Fischerboote. Wir suchen nach einigen bestimmten Schiffen. Das ist wie mit der Nadel im Heuhaufen, nur das es dort eben hunderttausend Nadeln gibt.

    Heinemann: Migration gibt es weltweit. Warum sind fast alle Länder so schlecht darauf vorbereitet?

    Lowry: Das kann man so nicht unbedingt sagen. Gut gestaltete Migration ist gut für Staaten. Da gibt es gute Beispiele in Asien und Europa und anderen Teilen der Welt, wo der Bedarf nach Arbeitskräften abgestimmt wird mit dem Angebot für Leute, die Träume haben und in bestimmte Länder kommen wollen, um ihr Leben und das ihrer Familien zu verbessern.

    Migration ist in der Welt die älteste Strategie, um Armut zu verringern. Menschen ziehen weg, um neue Chancen zu finden. Es gibt viele unterschiedliche politische Ansätze, um Migration in den Griff zu bekommen. Aber wenn es plötzlich und unerwartet sehr vielen Menschen sind, die kommen, etwa in ländliche Gegenden, wie in Indonesien, dann kann das kaum bewältigt werden, dann dauert es, bis verantwortlich gehandelt werden kann.
    "Kurzzeit-Visa würden sofort wirken"
    Heinemann: Was müsste auf der internationalen politischen Ebene geschehen?

    Lowry: Vieles. Was sofort wirken würde, wären Kurzzeit-Visa. Arbeitsmöglichkeiten für Saisonarbeiter, etwa in der Ernte. Damit diese Menschen für ihre Familien zu Hause Geld verdienen können, ohne für immer oder illegal auswandern zu müssen. Das würde auf internationaler Ebene wirklich sehr helfen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


    Das Originalinterview mit Joe Lowry können Sie hier nachhören.