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Flüchtlingspolitik
Katholiken-Präsident sieht in Aufnahmezentren keine Stigmatisierung

Sachsen will dem Vorbild Bayerns folgen und Aufnahmezentren für Flüchtlinge mit nur geringen Chancen auf Asyl einrichten. Von dort sollen sie schneller abgeschoben werden können. In der Folge hatte es bundesweit sowohl Kritik als auch Zuspruch gegeben. Der Präsident des Zentralkomitee der deutschen Katholiken, Alois Glück, verteidigte im DLF den Vorstoß und nannte das Vorhaben durchaus christlich.

Alois Glück im Gespräch mit Thielko Grieß | 05.08.2015
    Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück.
    Der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Alois Glück. (picture alliance / dpa / Jan Woitas)
    Eine Stigmatisierung vermag der CSU-Politiker und frühere Präsident des Bayerischen Landtags jedenfalls darin nicht zu sehen. Das betonte er und führte aus, vielmehr könne man durch die Konzentration der Menschen auf mehrere Zentren rascher zu Entscheidungen in deren Asylverfahren kommen. Und das sei wichtig. Man dürfe keine keine unredlichen Hoffnungen wecken über die Möglichkeit, in Deutschland zu bleiben.
    Für Glück ist diese Ehrlichkeit auch eine christliche Haltung. Bei Flüchtlingen vom Westbalkan gebe es eine Anerkennungsquote von unter einem Prozent, führte der CSU-Politiker aus. Deutschland könne nicht alle Menschen in allen Ländern der Welt, in denen es einen inneren Druck gibt, sagen: "Ihr habt bei uns alle Platz." Das könne die Bundesrepublik auch gar nicht bewältigen, warnte der CSU-Politiker. Hier sei Ehrlichkeit notwendig.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Keine zusätzliche Einwanderung, gesonderte Zentren für Asylbewerber aus Balkanländern, mehr Staaten zu sicheren Herkunftsstaaten ernennen: Die CSU-Politik in Bayern ist reich an Vorschlägen, den sogenannten Strom von Flüchtlingen zu begrenzen. Das ist Politik. Aber ist das christliche Politik einer christsozialen Partei? Das sind Fragen, die man stellen kann, und deswegen haben wir Alois Glück zum Interview gebeten, gestern Abend, haben dieses Interview aufgezeichnet. Alois Glück hatte hohe Ämter in der CSU inne und ist aktuell Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken, einer Vertretung katholischer Verbände und katholischer Laien. Also, Herr Glück, Frage an Sie: Aus der CSU kommt ja nun der Vorschlag, und es wird auch umgesetzt, Flüchtlinge nicht nach individuellem Schicksal, sondern nach Herkunftsländern zu sortieren. Wie sehr stigmatisiert das diese Menschen?
    Alois Glück: Ich sehe darin keine Stigmatisierung, sondern es ist möglich, hier durch Konzentration in mehreren Zentren rasch zu Entscheidungen zu kommen, übrigens ein Vorschlag, der mittlerweile auch aus anderen Bundesländern aufgegriffen wird.
    Grieß: Aber das Copyright kommt ja aus München.
    Glück: Das ist schon richtig. Aber deswegen ist es nicht von vornherein falsch, und es wird auch nicht richtiger, wenn der Herr Kretschmer es dann aufgreift beispielsweise. Es geht ja konkret darum, dass wir hier bei den Flüchtlingen aus dem Westbalkan eine Anerkennungsquote für Asyl unter einem Prozent haben. Und wir haben ein riesen Problem jetzt im Gesamtkontext Flüchtlinge, dass die Verfahren so lange dauern, viel zu lange dauern, und damit erstens für viele betroffene Menschen ja unerträglich lange Zeiten der Ungewissheit da sind.
    Grieß: Ja, aber Herr Glück, nun ist ja das Asylrecht ein Individualrecht und kein Kollektivrecht. Und das bedeutet, eigentlich kann man nicht die Gruppe Westbalkan aufmachen und dort sozusagen sehr schnell entscheiden, ohne Prüfung des Einzelschicksals.
    Glück: Nein, nein. Darum geht es ja nicht. Natürlich muss nach Recht und Gesetz, müssen Einzelfallprüfungen stattfinden. Es ist ja selbstverständlich. Man kann die Leute [nicht]* deswegen pauschal abweisen, weil sie aus einer bestimmten Region kommen. Aber man kann dort konzentrierter - es geht ja immer um bestimmte Sachbearbeiter, die bestimmte Regionen kennen müssen - [sachgerecht urteilen]*. Wir müssen es aus der lebenspraktischen Situation sehen. Und deswegen müssen die Menschen genauso respektvoll behandelt werden wie alle Flüchtlinge, egal, wo sie herkommen. Das ist unbedingt der Maßstab und auch christlicher Maßstab. Es ist aber auch richtig, so zügig wie möglich alle Beteiligten zu einer Entscheidung zu führen. Das ist nur ein Weg von anderen Wegen.
    Grieß: Herr Glück, ist es denn auch christlich, oder ist es katholisch, wie auch immer Sie das interpretieren, so zu handeln, wie die Behörden es vorschlagen? Muss man nicht als Christ auch andere Maßstäbe zugrunde legen?
    Glück: Als Christ muss ich den Maßstab zugrunde legen, dass jeder respektvoll behandelt werden muss. Aber das ist wie im Alltag. Das heißt, es müssen gleichzeitig oft harte und unbequeme Entscheidungen getroffen werden. Wir müssen ja auch in anderen Alltagssituationen gelegentlich Entscheidungen treffen, die Menschen wehtun. Aber wenn sie sachlich notwendig sind und auch nach dem Gebot der Gerechtigkeit. Und darum geht es. Aber es ist nachvollziehbar, was sie hierher bewegt, und wir haben sie mit Respekt zu behandeln, aber auch Entscheidungen zu treffen.
    Grieß: Und wo ist der Respekt gegenüber denen, die zum Beispiel als Roma sich verfolgt fühlen in den Ländern des Balkans?
    Glück: Wir werden trotzdem nicht alle Menschen in Regionen, in Ländern der Welt, in denen es einen inneren Druck gibt, aus welchen Gründen auch immer, sagen können, ihr habt bei uns alle Platz. Wir würden damit ganz schnell unredliche Hoffnungen wecken, die wir dann doch nicht erfüllen können. Und wir würden es auch am Ende nicht bewältigen.
    "Ehrlichkeit im Umgang notwendig"
    Grieß: Noch einmal die Frage, Herr Glück. Wir sprechen ja hier auch unter den Vorzeichen derjenigen, die christlichen Parteien angehören, die christlich geprägte Politik machen. Schauen sie in die Bergpredigt. Da steht nichts von Ausschluss, da steht nichts von Einschränkungen, da steht kein Westbalkan.
    Glück: Da steht aber trotzdem in den notwendigen Entscheidungen im Alltag, was ist real möglich, keine falschen Hoffnungen wecken, und dann braucht es Maßstäbe. Die Maßstäbe sind die gesetzlichen Maßstäbe, und alles andere ist nicht denkbar. Wir können ja auch nicht Willkürentscheidungen treffen, wer ist uns sympathisch oder weniger sympathisch. Und von daher gesehen ist Ehrlichkeit im Umgang notwendig und Respekt im Umgang. Und die Ehrlichkeit besagt auch, den Menschen, die nach allen Verfahren unter einem Prozent eine Chance auf Aufenthalt haben, ihnen das auch möglichst deutlich und rasch zu vermitteln, ohne sie deswegen schlecht zu behandeln.
    Grieß: Sie argumentieren als Realpolitiker, und ich frage Sie auch noch ...
    Glück: Nein, ich argumentiere ...
    Grieß: Ja, doch, Sie sagen, man muss auch Entscheidungen treffen, Bergpredigt hin oder her.
    Glück: Ja, aber wir haben nicht zu unterscheiden - ich brauche keine Entscheidungen treffen, also kann ich irgendwelche Traumschlösser schmieden, oder ich kann mit christlichem Pathos sprechen. Aber ich drücke mich vor Entscheidungen. Ich muss auch als einzelner Bürger schon Maßstäbe nehmen, die auch real in Ordnung sind, wenn es um Entscheidungen geht, und nicht das Unangenehme nur den anderen überlassen.
    Grieß: Ja, aber die Gefahr ist doch, dass ich das Vokabular und die Argumentation derjenigen übernehme, die überhaupt gar keinen christlichen Hintergrund haben und auch nicht so argumentieren wollen, denen Barmherzigkeit nun wirklich fremd ist.
    Glück: Barmherzigkeit heißt, sich den Menschen zuwenden. Aber Barmherzigkeit heißt auch, ehrlich zu sagen, was ist für uns lösbar, und was ist nicht lösbar. Und von daher gesehen können wir nie die Sprache übernehmen, die meinetwegen bei Pegida und anderswo - und dürfen wir auch nicht. Und unser Maßstab muss immer sein gegenüber solchen Gruppen, welches Menschenbild haben sie. Die haben ein rassistisches, die werten ab, weil Menschen einen anderen Glauben oder eine andere Religion haben oder eine andere kulturelle Prägung. Das ist indiskutabel, da müssen wir klare Grenzen ziehen.
    "Wir müssen in unserer Sprache klar sein und Menschen nicht abwerten"
    Grieß: Aber Sie wissen auch, Herr Glück, was los ist in sozialen Netzwerken zum Beispiel. Da wird ja sehr schnell anders - na ja, argumentiert kann man schon gar nicht mehr richtig sagen, da wird gehetzt, da wird von Hass gesprochen. Und meine These, die ich Ihnen vorhalte, ist, dass, wer realpolitisch argumentiert, das zumindest auch erleichtert. Und meine Frage ist, ist es nicht auch oder wäre es nicht ein wohltuendes Zeichen vonseiten derjenigen, die sich christlich und politisch engagiert nennen und bezeichnen, zunächst einmal anders zu argumentieren, nämlich mit offenen Türen, mit Barmherzigkeit, mit dem Ausüben von Gerechtigkeit.
    Glück: Das wäre unehrlich, wenn man gleichzeitig weiß, dass es nicht möglich ist, damit allen Raum zu geben und alle aufzunehmen. Das wäre verlogen, nicht christlich. Aber wir müssen in unserer Sprache klar sein und Menschen nicht abwerten. Und darum geht es, und ich halte es auch für eine unchristliche Haltung, zu sagen, ich brauche nicht entscheiden, also wir beschwören unser gutes Herz und demonstrieren unser gutes Herz, und die Entscheidungen müssen halt andere treffen. Der Christ ist ja auch Staatsbürger. Und ich kann nicht trennen zwischen christlicher Überzeugung und meiner Rolle als Christ, als Staatsbürger. Beide Dinge müssen wir schon miteinander sehen.
    Grieß: Dass das schwierig ist, das gestehe ich ja auch zu. Das ist aber ein selbst gewähltes Schicksal. Niemand zwingt CSU-Politiker, zugleich Christ zu sein und zugleich in der CSU.
    Glück: Es geht nicht um Christen und CSU oder irgendeine Partei, sondern es geht darum, dass ich als Christ auch ein Verantwortungsbewusstsein haben muss als in der Rolle als Staatsbürger und für das, was im Gemeinwesen möglich ist, und nicht eine bequeme Rolle einnehme, indem ich das Schöne beschwöre, weil es mir menschlich auch so wünschenswert ist, aber gleichzeitig weiß, dass das real so nicht möglich ist. Ich erlebe konkret, wie es vor Ort in den Kommunen, wie wir kämpfen, um Quartiere zu bekommen. Und wir erleben, dass die Menschen in einer Weise mitmachen, wie das vor zehn, 15 Jahren undenkbar war. Und wir erleben natürlich auch andere Strömungen. Aber wir erleben eben nicht nur die negative Seite des Hasses in den Netzen oder von Demonstrationen. Wir erleben sehr, sehr viel mehr Menschen, die sich jetzt ehrenamtlich und freiwillig um Flüchtlinge kümmern und sich ihnen zuwenden. Und beides ist Wirklichkeit im Lande. Und wir müssen vor allen Dingen als Christen fördern dieses Engagement für die Menschen.
    Grieß: Herr Glück, wo ist die Leitplanke, wo ist der Schutz dagegen, dass das Asylrecht in vielleicht mittlerer Zukunft, wenn der Zustrom, wenn die Einwanderung weiter anhält, nicht immer weiter eingeschränkt wird und die Realpolitik immer weitere Argumente findet, die Türen immer weiter zu schließen?
    Glück: Die Gefährdung sehe ich jetzt nicht im Bereich des Asylrechts. Die Menschen, die aus Bürgerkriegsgegenden beispielsweise kommen, haben eine Anerkennungsquote bei 90 Prozent und mehr.
    "Wir werden trotzdem nicht für alle diese Millionen hier Platz haben"
    Grieß: Aber Sie erinnern sich, wenn ich kurz unterbrechen darf, Herr Glück, Sie erinnern sich an die Debatte in den 90ern: Ähnliche Zahlen, etwas niedriger als inzwischen heute, und - zack - das Asylrecht ist eingeschränkt worden.
    Glück: Wir haben aber heute eine ganz andere Stimmungslage in der Bevölkerung gegenüber den Flüchtlingen und den Asylsuchenden. Wir werden allerdings gegenüber denjenigen, die Asyl brauchen, weil sie verfolgt sind, weil sie gefährdet sind, weil sie aus Kriegsgebieten kommen, auch womöglich in noch größerer Zahl, auf Dauer nur helfen können, wenn wir auch die Unterscheidung treffen, und das ist ein ganz schwieriges Thema insbesondere gegenüber der Fluchtbewegung aus Afrika, aus Ländern, in denen es keine innere Verfolgung gibt, aber für junge Menschen keine Zukunftsperspektive - wir werden trotzdem nicht für alle diese Millionen hier Platz haben. Und das muss man ehrlich benennen, und dann braucht es politische Konsequenzen, wie es eine gemeinsame Politik braucht der Europäischen Union, um den Menschen dort mehr Chancen zu geben.
    Grieß: Die Unterschiede zwischen Parteipolitik und christlichem Glauben, herausgearbeitet heute mit Alois Glück.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
    (* Die in eckigen Klammern gesetzten Passagen wurden nach Rücksprache mit Alois Glück ergänzt.)