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Flüchtlingspolitik
Uhl: Merkels Aussage zu Grenzsicherung ist widersprüchlich

Es sei "hoch widersprüchlich", dass Angela Merkel die deutsch-österreichischen Grenzen durch Zäune nicht für schutzfähig halte, die EU-Außengrenzen jedoch schon, sagte Hans-Peter Uhl (CSU) im DLF. Mit nationalen Grenzen könne man den sozialen Frieden in Deutschland sichern und entscheiden, mit wem man den erarbeiteten Wohlstand teilen wolle.

Hans-Peter Uhl im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 08.10.2015
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion
    Hans-Peter Uhl, früherer Vorsitzender der Arbeitsgruppe Innenpolitik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion (picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka)
    Dirk-Oliver Heckmann: Eine Stunde lang stellte sich gestern Angela Merkel den Fragen von Anne Will in der ARD. Sie äußerte Verständnis für Menschen, die Deutschland für überfordert halten. Ansonsten aber blieb sie bei ihrer Haltung, wie gerade gehört, dass die Herausforderung zu meistern sei, die mit der Flüchtlingskrise verbunden ist.
    Am Telefon begrüße ich Hans-Peter Uhl von der CSU, außenpolitischer und langjähriger innenpolitischer Experte der Unionsbundestagsfraktion. Schönen guten Tag, Herr Uhl.
    Hans-Peter Uhl: Grüß Gott, Herr Heckmann.
    Heckmann: Angela Merkel hat sich eine Stunde lang erklärt und ihre Überzeugungen bekräftigt, hat immer wieder wiederholt, wir schaffen das. Hat sie Sie damit überzeugt?
    Uhl: Ich habe mir das Interview natürlich auch aufmerksam angehört und abermals den Satz "Wir schaffen das!" gehört. Nun habe ich von Anfang an gesagt, diese Botschaft ist ebenso inhaltsarm, wie sie auch missverständlich ist. Wir ist denn wir? Ist das die Europäische Union oder ist das Deutschland oder sind es die Kommunen? Und was schaffen wir alle? Die ganze Welt aufzunehmen, die gesamte Armut dieser Welt in Deutschland zu lindern? Das sind Dinge, mit denen wir nicht weiterkommen.
    Fluchtursachen müssen beseitigt werden
    Heckmann: Sie halten die Kanzlerin nach wie vor für planlos? Sie sagt ja selber, sie hat einen Plan, aber der hängt natürlich nicht nur von ihr selber ab.
    Uhl: Da habe ich auch besonders genau zugehört. Wie sieht der Plan aus? Und da muss ich zunächst mal sagen: Richtig ist ihr Plan, die Fluchtursachen zu beseitigen. Das muss ein wichtiger Beitrag der Deutschen sein, aber auch der Europäischen Union. Da haben wir viel zu wenig getan. Insoweit volle Zustimmung.
    Und die Flüchtlinge, die bei uns in Europa angelandet sind, gerechter zu verteilen in Europa, auch da volle Zustimmung. Das sind zum Teil Visionen, die langfristig wirken, aber das derzeitige Problem des ungezügelten Zustroms von sieben bis 10.000 Menschen pro Tag nach Deutschland nicht lösen.
    Heckmann: Aber auch dazu hat sie sich ja geäußert. Sie hat gesagt, ein Aufnahmestopp, den kann es nicht geben, weil man die Grenzen nämlich gar nicht schließen kann. Wir haben den O-Ton gerade gehört. Tausende von Kilometern Grenze, darum müsste man schon einen Zaun herum bauen, und wir haben ja in Ungarn gesehen, sagt die Kanzlerin, was dann passiert. Die Menschen, die suchen sich dann einen anderen Weg.
    Uhl: Ja. Da ist interessant der Auftritt von Frau Merkel und Herrn Hollande gestern Morgen im Europäischen Parlament. Zum Thema Zaun und Grenzsicherung hat Herr Hollande eine ganz klare Position, nämlich unsere bisherige gemeinsame Position vorgetragen. Er sagt, wir müssen die EU-Außengrenzen schützen, um den Personenverkehr im Schengen-Raum zu erhalten.
    Heckmann: Das sagt die Kanzlerin ja auch, dass die Außengrenzen geschützt werden müssen.
    Uhl: Das sagt sie auch. Das finde ich auch lobenswert, dass sie die EU-Außengrenzen schützen will. Sie gibt dann aber merkwürdige Erklärungen ab zur Schutzfähigkeit von Grenzen durch Zäune. Sie meint, die bayerisch-österreichische Grenze oder die deutsch-österreichische Grenze könnte man mit Zäunen nicht schützen. Bei der EU-Außengrenze erweckt sie aber den Eindruck, dass die griechische Inselwelt mit irgendwelchen Zäunen oder was auch immer geschützt werden kann. Das ist ja hoch widersprüchlich.
    Heckmann: Das heißt, Sie sind der Meinung, dass die Grenze zwischen Deutschland und Österreich durchaus durch einen Zaun gesichert werden sollte?
    Uhl: Natürlich nicht! Ich bin kein Verkäufer von Zäunen, sondern es geht mir um die Ordnung meiner Gedanken. Wollen wir Grenzen schützen oder nicht? Wie halten wir es mit Grenzen? Leben wir in einer entgrenzten Gesellschaft? Leben wir in einem Zeitalter der Grenzenlosigkeit? Da gibt es von mir eine ganz klare Antwort: Wir haben nationale Grenzen, wo Deutschland begrenzt wird zum Schutz der Menschen, die hier leben, um unseren, von uns erarbeiteten Wohlstand gemeinsam zu verwalten, und entscheiden, wer diesen Wohlstand mit uns Deutschen teilt.
    Heckmann: Und das heißt ganz konkret, Herr Uhl, Sie schließen sich der Forderung des bayerischen Innenministers an, dass geprüft werden soll, dass an der Grenze zwischen Österreich und Bayern auch Flüchtlinge durchaus zurückgewiesen werden sollen, weil die ja schließlich aus einem sicheren Staat kommen?
    Uhl: Das ist der entscheidende Punkt.
    Grenzen sollen Frieden sichern
    Heckmann: Und damit kippt man das Problem den Nachbarn auf den Tisch?
    Uhl: Langsam! Das ist der entscheidende Punkt. Wir in Deutschland sind ein Nationalstaat, der europaoffen ist, und in dieser Europaoffenheit haben wir uns verständigt, dass wir Binnengrenzen abschaffen im Vertrauen auf die Sicherung der EU-Außengrenzen. Und wenn jetzt allgemeine Meinung geworden ist, dass diese Geschäftsgrundlage nicht mehr existiert, muss Deutschland, muss Österreich, müssen alle europäischen Staaten dafür sorgen, dass in ihrem Bereich wieder Ordnung herrscht, um nicht Nationalstaaten wieder auf Dauer zu haben, sondern um aus dieser Ordnung heraus so ein neues europäischen Gefüge der Solidarität, der gemeinsamen Verantwortung wieder entstehen zu lassen. Das ist der Punkt, da sind wir angekommen. Auf diese Frage der friedensstiftenden Funktion von Grenzen, die Konflikte vermeiden hilft, sozialen Frieden sichern hilft, darauf gibt es derzeit keine Antwort aus dem Kanzleramt.
    Heckmann: Und keine Antwort von Ihnen.
    Uhl: Meine Antwort ist kristallklar. Wir müssen natürlich an der deutsch-österreichischen Grenze diejenigen, die kein Recht haben, zu uns zu kommen, wieder zurückweisen, und Österreich wird dasselbe tun müssen.
    Heckmann: Notfalls mit Gewalt?
    Uhl: Dazu braucht man nicht dringend Gewalt, aber es gibt kein Recht auf weltweite Niederlassungsfreiheit von jedwedem, der sich entschlossen hat, nach Deutschland zu kommen. Dieses Recht kenne ich nicht, das gehört auch nicht zur europäischen Werteordnung.
    Heckmann: Horst Seehofer hat Notwehrmaßnahmen angekündigt gestern im Fall der Fälle. Was sollen das denn eigentlich konkret für Notfallmaßnahmen sein, zum Beispiel eine Einrichtung von Transitzonen dann auch an der Grenze, die laut EU-Kommission gegen geltendes europäisches Recht verstoßen?
    Uhl: Geltendes europäisches Recht ist längst ausgehebelt. Der Schengen-Vertrag wird nicht mehr praktiziert.
    Heckmann: Aber Sie sagen ja, man muss zurück zum geltendes Recht.
    Uhl: Ja. Natürlich muss man zurück, sobald wie möglich. Aber solange geltendes europäisches Recht nicht mehr wirkt, muss nationales Recht wieder für Schutz und Sicherheit sorgen.
    Heckmann: Das heißt, man richtet im Zweifelsfall dann solche Transitzonen ein, obwohl auch sie gegen geltendes europäisches Recht verstoßen?
    Uhl: Noch einmal: Das geltende europäische Recht, der Schengen-Vertrag wird täglich tausendfach missbraucht und nicht angewandt.
    Heckmann: Interessante Position für einen CSU-Politiker, dazu aufzurufen, geltendes europäisches Recht in Zukunft nicht mehr so in dem Maße zu beachten.
    Uhl: Das habe ich nicht gesagt! Ich habe gesagt, wenn geltendes europäisches Recht nicht mehr wirkt, was ja zu besichtigen ist an jeder Grenze, dann müssen wir dafür sorgen, dass wir über die nationale Aufrechterhaltung unserer Grenze zur Ordnung und zur Sicherheit kommen, die wir brauchen, um wieder eine europäische Übereinkunft zu finden, die dann aber auch von allen europäischen Staaten respektiert wird.
    Heckmann: Wir werden sehen, wie die Diskussion weiter erfolgt. - Eine Frage habe ich noch, Herr Uhl. Morgen wird ja der Friedensnobelpreis vergeben. Angela Merkel wird in den Wettbüros übrigens hoch gehandelt. Was machen Sie eigentlich, wenn sie tatsächlich den Preis bekommt?
    Uhl: Dann muss sie beglückwünscht werden. Aber im Augenblick sagt sie ja selbst, dass sie sich mit dem Thema nicht befasst. Warum soll ich mich jetzt mit dem Thema befassen?
    Heckmann: Wir werden am Freitag sehen, wie es ausgeht. Hans-Peter Uhl war das, der CSU-Politiker. Schönen Dank für das Gespräch und schönen Tag.
    Uhl: Bitte schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.