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Flugexperte: Gewitterzellen versucht jeder Pilot zu vermeiden

Volker Thomalla, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Flug Revue", glaubt, dass durch die Auswertung von geborgenen Wrackteilen des auf dem Flug von Rio de Janeiro nach Paris abgestürzten Airbuses wichtige Erkenntnisse über die Unglücksursache gewonnen werden können. Ein Blitz könne einem Flugzeug normalerweise keinen Schaden zufügen. Außerdem würden Piloten Gewitterzellen umfliegen, betonte Thomalla.

Christian Schütte im Gespräch mit Volker Thomalla |
    Sandra Schulz: Über dem Atlantik verloren die Flugsicherheitsbehörden plötzlich jeden Kontakt zu der Unglücksmaschine der Air France auf ihrem Weg von Rio de Janeiro nach Paris, aber bisher sind es wenige Gewissheiten, die wir über das Schicksal der 228 Menschen an Bord haben, auch wenn inzwischen bestätigt ist, dass die Teile, die gestern im Atlantik gefunden wurden, Wrackteile der verschwundenen Maschine waren. 26 der Passagiere sollen Deutsche gewesen sein, aber bestätigt hat das das Auswärtige Amt bislang noch nicht. Aber jetzt schon wird das Unglück als schwerste Katastrophe in der Geschichte der Air France gehandelt. In den kommenden Tagen will der französische Präsident Nicolas Sarkozy die Angehörigen im Elysée-Palast empfangen.

    Einschätzungen zu dem Flugzeugunglück hat vor der Sendung mein Kollege Christian Schütte eingeholt, im Gespräch mit Volker Thomalla, dem Chefredakteur der Fachzeitschrift "Flug Revue". Seine erste Frage: Die Flugroute ist bekannt für schwere Unwetter. Welches Ausmaß nehmen die an im Vergleich zu dem, was wir als gewöhnliches Gewitter kennen?

    Volker Thomalla: Die Unwetter auf dieser Route - und ich habe sie selber bei vier Flügen erlebt - sind schon gewaltig. Man muss sich vorstellen, dass die Wolken bis in über 15.000 Meter Höhe gehen. Hier in unseren Breiten sind 10.000 Meter so das Maximale, was Unwetter erreichen. Es ist so, dass dort erhebliche Turbolenzen auftreten, und die Unwetter sind auch verbunden mit wirklich Regen, wie wir ihn eigentlich nur in ganz außergewöhnlichen Wettersituationen in unseren Breiten kennen.

    Christian Schütte: Welche konkreten Informationen hat denn der Pilot darüber, dass er entscheiden kann, entweder durch ein Gewitter hindurchzufliegen, oder doch darum herum?

    Thomalla: Es gibt zwei Wettervorhersagen, die für den Piloten ganz wichtig sind. Einmal hat er vor dem Flug eine Wettervorhersage von doch durchaus sehr guten Meteorologen und im Flug hat er die Informationen auf seinem Bildschirm vom Wetterradar. Da kann er genau sehen, wo sind die Zonen, in denen die Gewitter am stärksten sind, und deswegen kann er dann rechts oder links vorbeifliegen.

    Schütte: Wenn er sich dann entscheidet, nicht rechts oder links vorbeizufliegen, sondern mitten hinein, worauf kommt es dann an?

    Thomalla: Die meisten Piloten werden sich nicht entscheiden, durch das Gewitter hindurchzufliegen, weil die Gewitter doch eben aufgrund der Turbolenzen und aufgrund von Blitzschlag gefürchtet sind. Es kommt darauf an, wenn er dann tatsächlich durchfliegt, dass dieses Gewitter eine relativ geringe Ausdehnung hat. Eine Gewitterzelle mit einer kleinen Ausdehnung ist für einen Piloten kein Problem, obwohl es sicher nicht angenehm ist, da durchzufliegen, und eine Gewitterzelle von einer größeren Ausdehnung versucht jeder Pilot absolut zu vermeiden.

    Schütte: Wir haben Bilder von Wetterstationen gesehen, ein gigantisches Wolkenband. Kann ein Pilot das überhaupt umfliegen?

    Thomalla: Ja, es gibt auch in den Zonen durchaus Korridore in den Gewitterzellen, zwischen den einzelnen Gewitterzellen, wo man durchfliegen kann. Da ist zwar auch eine Turbolenz, aber die ist nicht so stark wie in der Gewitterzelle selber.

    Schütte: Sind Gewitter nur unangenehm für die Passagiere, oder besteht doch ein Risiko?

    Thomalla: Es besteht auf jeden Fall ein Risiko. Das ist einmal die Turbolenzgefahr. Es gibt dort Windscherungen, die haben ganz erhebliche Windgeschwindigkeiten, und zwar vertikale. Das heißt, auf der einen Seite fällt die Luft wasserfallartig runter und auf der anderen Seite wird sie wirklich wie im Fahrstuhl nach oben geschossen. Das hat einfach mit der Dynamik innerhalb einer Gewitterzelle zu tun. Da kann es eben sein, dass ein Flugzeug zum Beispiel in einen Sturzflug gezwungen wird, und das sind Sachen, die ein Pilot auf keinen Fall haben möchte, weil die nicht nur unangenehm sind, sondern die können auch gefährlich werden.

    Schütte: Das heißt, der Blitzschlag an sich ist eigentlich gar nicht das Problem?

    Thomalla: Der Blitzschlag ist technisch nicht das Problem. Es gibt ein Problem, das mit dem Blitzschlag verbunden ist, und das ist eine Blendgefahr. Das heißt, es hat auch mal einen Absturz in Deutschland gegeben bei Mühlheim, da sind die Piloten von dem Blitz, der in das Flugzeug eingeschlagen ist, so stark geblendet worden, dass sie nichts mehr gesehen haben. Das war einfach ein gleißend helles Licht und sie haben die Instrumente nicht beobachten können und sind dann abgestürzt.

    Schütte: Flugzeuge funktionieren als faradayscher Käfig, schirmen also wegen ihrer Metallhülle den Innenraum ab bei Blitzeinschlägen. Welche Rolle könnte dabei spielen, dass ein Airbus 330-200 ein sagen wir Leichtgewicht ist, in den also Verbundstoffe aus Kohlefaser eingebaut sind?

    Thomalla: Das ist eine Gefahr, die natürlich den Konstrukteuren bekannt ist, und deswegen werden auch entsprechende Maßnahmen konstruktiv getroffen, dass dies keine Gefahr für ein Flugzeug darstellt. Es wird zum Beispiel in das Kunststoffgelege ein Netz aus Kupferdraht eingelegt, so dass für den Blitz das Flugzeug genau wie ein komplettes Metallflugzeug da ist. Das heißt der Blitz schlägt in das Flugzeug ein, sucht sich den schnellsten Weg aus dem Flugzeug hinaus in Richtung Boden und ist dann wieder verschwunden. Es spielt technisch also überhaupt keine Rolle, ob es ein Kohlefaser-, oder ein Faserverbundwerkstoff-Flugzeug, oder ein Metallflugzeug ist.

    Schütte: Jedes Flugzeug verfügt über mehrere Sicherheitssysteme. Wenn eines ausfällt, dann greift das nächste. Wie müssen wir uns das konkret vorstellen?

    Thomalla: Wenn ein System ausfällt, dann merken die anderen Systeme das sofort und übernehmen, und das geht wirklich innerhalb von Bruchteilen von Sekunden. Da flackert nicht mal der Bildschirm. Sollten tatsächlich mehrere Sicherheitssysteme ausgefallen sein, gibt es immer noch zum Beispiel bei der Elektrik eine Batterie, die puffert, und wenn die Batterien ausgefallen sind, dann gibt es auch noch eine sogenannte Ram Air Turbine. Das ist im Prinzip ein kleiner, vom Wind angetriebener Generator, der immerhin noch so viel Strom liefert, dass die Bildschirme im Cockpit funktionieren, dass die Flugsteuerung funktioniert. Von der Seite müssten schon wirklich sehr viele katastrophale Ereignisse eingetreten sein, damit das zu einem Absturz führt.

    Schütte: Nun gilt es, den Flugschreiber zu finden. Allerdings ist das problematisch, denn der Ozean ist an dieser Stelle mehrere tausend Meter tief. Man will trotzdem nach dem Flugschreiber suchen. Wie geht man da vor?

    Thomalla: Da gibt es Spezial-U-Boote, die jetzt von dem französischen Institut für Meeresforschung beziehungsweise von der amerikanischen Marine betrieben werden. Da gibt es nur eine Hand voll von U-Booten, die überhaupt in große Meerestiefen vordringen können. Man hört die Signale von dem Rekorder, die werden auch mehrere Wochen ausgestrahlt, und dann kann man relativ einfach diesen Flugschreiber auch finden. Die Problematik ist allerdings: Wenn es eine bestimmte Tiefe unterschreitet, das heißt wenn ein Flugschreiber jetzt zum Beispiel in 9000 Meter Tiefe liegt, dann gibt es ganz wenige U-Boote, die überhaupt in diese Regionen vordringen können, und die Flugschreiber selber sind für diese Tiefen nicht konstruiert. Also je nach Modell sind die für Tiefen von bis zu 6000 Meter konstruiert und es kann sein, dass die, wenn die in 9000 Meter Tiefe liegen, gar nicht mehr zu benutzen sind.

    Schütte: Was zum Absturz des Airbusses geführt hat, wissen wir nicht, oder sagen wir noch nicht. In welche Richtung müssen die Experten jetzt ermitteln?

    Thomalla: Zunächst gilt es auf jeden Fall, die Wrackteile zu finden und zu bergen, und anhand dieser Wrackteile kann man natürlich sehen: Gibt es Brandspuren, gibt es Spuren, dass das Flugzeug im Flug schon zerbrochen ist, gibt es, wenn man Leichen findet, dort Hinweise, dass zum Beispiel eine Kohlenmonoxid-Vergiftung vorgelegen hat, und so weiter. Da sind viele Dinge, die jetzt untersucht werden müssen. Das geht von gerichtsmedizinischen Untersuchungen, falls man Menschen findet, bis hin zu den metallogischen Untersuchungen, wo man eben wirklich sehen muss, was ist denn da passiert. Da können winzige Teile auch schon einen großen Ausschlag geben.

    Schulz: Volker Thomalla, Chefredakteur der Fachzeitschrift "Flug Revue", im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte mein Kollege Christian Schütte.