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Flugzeugrecycling
Neue Werkstoffe, neue Herausforderungen

Ausgediente Flugzeuge verfügen über zahlreiche recycelbare Materialien. Der wichtigste Stoff darunter ist Aluminium, zumindest bisher. Denn in Zukunft muss sich die Industrie darauf einstellen, die immer häufigeren Kohlefaserverbundwerkstoffe wiederverwertbar zu machen - eine Herkulesaufgabe.

Von Leonie Seng | 16.12.2013
    Derzeit sind weltweit etwa 24.000 Verkehrsflugzeuge in Betrieb. Dazu kommen rund 6000 geparkte oder ausgediente Flugzeuge, die zu einem Großteil auf riesigen Flugzeugfriedhöfen stehen – zum Beispiel in der Mojave-Wüste in Nordamerika. Momentan werden rund 400 Flugzeuge pro Jahr außer Dienst gestellt, meint Jörg Woidasky, Professor für nachhaltige Produktentwicklung an der Hochschule in Pforzheim bei Stuttgart. In den nächsten 15 Jahren erwarten Woidasky und seine Kollegen eine halbe Millionen Tonnen Altflugzeug – inklusive wiederverwertbarer Rohstoffe.
    "Wir sehen jetzt den Effekt von der Ausweitung des Flugverkehrs in den 80er-Jahren ungefähr. Wenn Flugzeuge zwischen 20 und 30 Jahre nutzbar sind, kommen genau jetzt die Flugzeuge wieder, die seinerzeit massiv gebaut worden sind. Wir rechnen jetzt mit Anfall von bis zu 1000 Flugzeugen, oder dem Anstieg des Anfalls von alten Flugzeugen bis 2030 ungefähr auf 1000 Exemplare, große Flugzeuge, Verkehrsflugzeuge."
    Pro Jahr. Bis 2050 soll sich der Personenflugverkehr nämlich verdoppeln. Jörg Woidasky beschäftigt sich unter anderem mit dem sogenannten "End-of-Live-Management" von Flugzeugen, also mit der Frage: "Was passiert mit Flugzeugen, die nicht mehr fliegen können?"
    Bislang landeten ausgediente Maschinen nach etwa 20 bis 30 Jahren auf dem Schrottplatz, bestimmte Einzelteile wurden verbrannt. Dabei können einzelne Bauteile teilweise direkt als Ersatzteile für neue Flugzeuge dienen. Die Aufbereitung der restlichen Materialien stößt in Deutschland und Europa erst seit kurzem auf größeres Interesse. Der wichtigste Rohstoff in Flugzeugen ist zurzeit Aluminium; daneben: Eisen, Titan, Stähle, Gold und Kupfer. In Zukunft werden mehr Kohleverbundfaserstoffe eingesetzt werden, worauf sich Forscher und Recycelfirmen bereits einstellen.
    85 Prozent eines Flugzeugs können wiederverwertet werden. Zu diesem Ergebnis kommt zumindest ein unter anderem von der EU-Kommission mit über zwei Millionen Euro gefördertes Forschungsprojekt.
    "Andere Quellen sprechen von 60 Prozent verwertbar, und 40 Prozent als Produkt wieder einsetzbar oder beseitigbar. Das heißt also, irgendwo zwischen 60 und 85 Prozent wird sich wahrscheinlich die Wahrheit abspielen",
    meint Jörg Woidasky. In dem Forschungsprojekt wurde ein Airbus A300 fünf Wochen lang auseinandergenommen.
    "Wenn wir mit unseren Verwertungspartnern sprechen, die sagen: nach zwei bis drei Tagen ist das Flugzeug runter."
    Eine ausrangierte Maschine kostet – je nachdem, wie leistungsfähig sie noch ist – zwischen 100.000 und 2,5 Millionen Euro. Oft hat ein Flugzeug mehrere Besitzer, Airlines, oder Leasinggesellschaften beispielsweise, die einzeln Recyclingfirmen engagieren. In Deutschland gibt es bislang nur ein Entsorgungsunternehmen, das seit drei Jahren Flugzeuge recycelt. In der Schweiz gibt es eine Firma, die sich auf Turbinen spezialisiert hat. Wie hoch die Kosten für das Recycling sind – bleibt Geschäftsgeheimnis.
    Probleme, mit denen sich Forscher derzeit beschäftigen, sind unter anderem die Wiederaufbereitung von bestimmten Metalllegierungen. Für das Zerlegen von Flugzeugen gibt es jedoch keine einheitlichen Regeln wie in der Automobilbranche. Je nach Verfahren und Kapazität kann mehr oder weniger Material gewonnen werden. Außerdem ist es oft schwierig, die einzelnen Stoffe erst einmal zu bestimmen, wie Torsten Müller vom Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie in Pfinztal bei Karlsruhe erzählt.
    "Da geht's zum einen momentan insbesondere darum, Identifikationsverfahren zu entwickeln: Wie kann ich überhaupt herausfinden, was an welcher Stelle des Flugzeugs ist, denn nicht alle Flugzeuge älteren Baujahrs sind tatsächlich so gut kartiert, dass man das ohne Weiteres einfach nachlesen könnte. Und zum anderen sind viele Flugzeuge über die Jahre umgebaut und doch immer irgendwie ein Unikat."
    Die alten Flugzeuge werden meist an ihren Heimatflughäfen von Recyclefirmen zerlegt. Was aber, wenn sie nicht mehr fliegen können? Oder wenn die werkstofflich begehrten Turbinen einem anderen Besitzer gehörten, der sie längst abmontiert hat?
    Für solche Fälle hat ein Team aus unter anderem Forschern von der Technischen Universität in Clausthal und einer deutschen Recyclingfirma eine mobile Einheit entwickelt: More-Aero. Sie besteht aus einem Lastwagen, der direkt vor Ort gebracht werden kann. In zwei Containern befindet sich Werkzeug, um Flüssigkeiten abzupumpen und Schadstoffe zu entfernen – darunter Kerosin, Frostschutzmittel und radioaktives Americium in Rauchmeldern. In einem zweiten Schritt wird das Flugzeug von fünf bis zehn Personen zerkleinert und somit transportfähig gemacht. Zehn Flugzeuge hat das Team bislang schon aufbereitet. Ab 2015 soll die mobile Einheit dauerhaft eingesetzt werden.