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Föderale Struktur der Sicherheitsbehörden hat Vorteile

Meurer: In den USA ist der Kampf gegen den Terrorismus ein Thema, das mutmaßlich die nächste Präsidentschaftswahl entscheiden wird. Morgen kommt es zur ersten Fernsehdebatte zwischen George Bush und John Kerry. In Deutschland dagegen glauben die meisten, die Gefahr eines Terroranschlages hierzulande sei doch eher ziemlich gering. Wenn, dann bestehe sie eher im Ausland: für deutsche Urlauber zum Beispiel. Dabei wird zum Beispiel vergessen, dass der 11. September maßgeblich von der Hamburger Terrorzelle geplant worden war. Experten glauben an die Existenz weiterer Netzwerke in Deutschland. Bundesinnenminister Otto Schily will deswegen weiterreichende Befugnisse für das Bundeskriminalamt und auch das Bundesamt für Verfassungsschutz. Heute ein Thema im Innenausschuss des Bundestages und morgen im Gespräch Schilys mit einigen Landesinnenministern. - Am Telefon begrüße ich Klaus Buß in Kiel. Er ist dort Innenminister und Vorsitzender der Innenministerkonferenz (SPD). Guten Morgen Herr Buß.

    Buß: Guten Morgen Herr Meurer.

    Meurer: Das letzte große Ereignis, das hier bei uns hat aufhorchen lassen, war der 11. März in Madrid. Wie sehr ist Deutschland gefährdet?

    Buß: Deutschland ist ohne Zweifel gefährdet. Wir leben ja nicht auf einer Insel, sondern gehören zu Europa und die globale Vernetzung des internationalen Terrorismus steht glaube ich für alle fest. Deutschland ist also gefährdet, aber wir haben keinerlei Hinweise auf konkrete Gefährdungstatbestände.

    Meurer: Können wir uns in Deutschland sicherer wiegen, weil die Bundesregierung nicht am Irak-Krieg teilgenommen hat?

    Buß: Das glaube ich letzten Endes nicht. Das war vielleicht einmal so, aber wenn man sehr genau die Veröffentlichungen der einschlägigen Sender und der einschlägigen Zeitungen nicht nur wörtlich übersetzt, sondern auch von Fachleuten auswertet, dann stellt man fest, dass die Stimmung gegen Deutschland deutlich wächst und dass Deutschland nicht mehr ausgenommen wird, weil es nicht am Irakkrieg teilgenommen hat.

    Meurer: Welche Ziele wären besonders gefährdet?

    Buß: Wenn man die bisherigen Aktivitäten "auswertet", dann werden es immer so genannte weiche Ziele sein, dass man möglichst viele Menschen trifft und möglichst eine Infrastruktur, die das Land, das getroffen werden soll, sehr empfindlich beeinträchtigt.

    Meurer: Nun fordert der Bundesinnenminister Otto Schily ja, dass das Bundeskriminalamt oder das Bundesamt für Verfassungsschutz mehr zentrale Befugnisse bekommen soll. Wenn man die Bedrohungsanalyse sieht, wie Sie sie ja auch ganz kurz eben angerissen haben, hat Schily einfach Recht mit seinen Forderungen?

    Buß: Zunächst einmal treibt Bundesinnenminister Schily die Sorge um die innere Sicherheit für Deutschland um. Das glaube ich muss man einfach mal vorausschicken. Ich kenne ihn gut und weiß, wie sehr er sich mit diesen Fragen beschäftigt. Auf der anderen Seite: Seine Forderung setzt eigentlich voraus, dass man als gegeben hinnehmen müsste, eine größere, zentralistisch geführte Behörde ist besser als das, was wir heute haben. Das widerspricht jedenfalls nach meiner Auffassung allen Verwaltungserfahrungen. Ich glaube eine Mammutbehörde wäre nicht besser als das, was wir heute haben. Wir sind gut aufgestellt, wobei es nichts gibt, das noch verbessert werden kann. Daran arbeiten wir eigentlich alle gemeinsam intensiv.

    Meurer: Wie groß ist die Gefahr, dass man sich verzettelt mit 16 Landesämtern plus einer Bundesbehörde und das ganze gleich mal zwei mit Kriminalämtern und Verfassungsschutzämtern?

    Buß: Wir haben ja nun mal eine föderale Struktur. Wenn man das nicht mehr will, wenn man einen Einheitsstaat will, soll man das sagen. Aber solange wir die föderale Struktur haben, müssen wir darauf selbstverständlich nicht nur Rücksicht nehmen, sondern müssen darauf aufbauen.
    Jetzt fange ich mal mit dem Bundesverfassungsschutz an und den Verfassungsschutzämtern beziehungsweise Abteilungen in den Ländern. Wir haben eine so genannte Koordinierungsrichtlinie. Wir haben vor kurzem auf der letzten Innenministerkonferenz einen neuen Paragraf 6A beschlossen, der eine enge Zusammenarbeit und vor allem einen sehr engen Informationsaustausch zwischen allen Landesämtern und dem Bundesamt vorschreibt und vor allem auch nicht nur ein Geben der Länder zum Bund, sondern auch ein Zurückgeben des Bundesamtes an die Landesämter. Das ist wie gesagt im Paragraf 6A festgeschrieben und aus meiner Sicht - und da sind wir Länderinnenminister uns, soweit ich das übersehen kann, alle einig - langt das nicht nur aus, sondern ist eine sehr, sehr gute Lösung, um die Arbeit wirklich zu optimieren.

    Meurer: Die Verfassungsschutzämter haben ja auch die Aufgabe, gegen Rechtsextremisten beispielsweise hierzulande vorzugehen, zum Beispiel gegen die NPD. Nach dieser Koordinierungsrichtlinie, von der Sie sprechen, wäre da das Desaster, das wir im Vorfeld des NPD-Verbotes beobachtet haben, nicht geschehen?

    Buß: Das kann ich Ihnen abschließend nicht sagen. Möglicherweise wäre es jedenfalls nicht so passiert, aber die Prozessführung, wie sie nun einmal vorgeschrieben ist, setzt bestimmte Grenzen, weil wir natürlich immer wieder die Quellen, die wir im Bereich des Verfassungsschutzes haben, schützen müssen. Das ist mit denen ja so vereinbart und ich glaube das sind wir diesen Menschen auch schuldig.

    Meurer: Also die Quellen werden nicht zwischen den Landesämtern ausgetauscht oder dem Bundesamt mitgeteilt?

    Buß: Doch. Auch das kann man machen, aber es muss garantiert sein, dass der Schutz der Quellen erhalten bleibt.

    Meurer: Sie haben, wenn ich Sie richtig verstehe, angedeutet, keine Zugeständnisse beim Verfassungsschutz, aber bei dem Begehren, das Bundeskriminalamt zu stärken, könnten Sie Otto Schily doch entgegenkommen. Wie sehen da Ihre Vorstellungen aus?

    Buß: Vielleicht darf ich noch ein Wort zum Verfassungsschutz sagen. Auch dort bin ich der Auffassung, dass man noch etwas verbessern kann, indem man den Paragrafen 6A der Koordinierungsrichtlinie, der von mir erwähnt wurde, in Gesetzesrang hebt, also ihn einbaut in die entsprechenden gesetzlichen Regelungen. In diesem Paragrafen 6A steht noch etwas drin von Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Dort könnte man sehr deutlich hineinschreiben, dass das Bundesamt aus seiner Zentralstellenfunktion heraus eine Koordinierungspflicht und Koordinierungsfunktion hat. Ich glaube dann wäre noch besser herausgestellt und durch den Gesetzesrahmen noch besser gewährleistet, dass hier wirklich eine Führungsfunktion des Bundesamtes gegeben ist.

    Meurer: In welchen Fällen könnte es diese Führungsfunktion geben?

    Buß: Bei allen Dingen, die im Bereich zum Beispiel des Terrorismus anfallen. Es müssten Schwerpunkte gebildet werden. Man könnte sagen, Das Landesamt A und das Landesamt B sollen schwerpunktmäßig die Gruppen C und D beobachten, um das jetzt sehr allgemein zu sagen, oder im Bereich des von Ihnen angesprochenen Rechtsextremismus, dass man dort in bestimmten Ländern Beobachtungsschwerpunkte bildet. Alles das ist möglich und über eine solche Funktion auch erreichbar.

    Meurer: Was soll sich beim Bundeskriminalamt verändern?

    Buß: Beim Bundeskriminalamt ist zunächst einmal das gleich zu sagen. Ich bin der festen Überzeugung, dass eine Mammutbehörde, wenn es nur noch das BKA gäbe und alle Landeskriminalämter eingeordnet würden, auf gar keinen Fall besser arbeiten würde, zumal man berücksichtigen muss, dass etwa vier Fünftel aller Daten, die ein Landeskriminalamt hat, für die Bundesebene überhaupt nicht relevant sind, sondern allenfalls ein Fünftel. Von daher wäre es ganz unsinnig, jetzt diese Landesämter in das BKA einzugliedern.
    Auf der anderen Seite ist sicherlich eine Schwäche des BKA bei der Bekämpfung des Terrorismus, dass es keine Befugnisse hat, im Vorfeld, also präventiv tätig zu werden. Diese Rechte haben die Landeskriminalämter und da bin ich allerdings der Überzeugung und bin dort nicht der Auffassung, die Herr Beckstein und andere vertreten, dass hier nachgebessert werden sollte. Der internationale Terrorismus ist eine so schwere Bedrohung für unser Land, dass wir über diese Hürde springen sollten und dem Bundeskriminalamt diese Möglichkeiten ähnlich wie den Landeskriminalämtern auf ihrer Zuständigkeitsebene einräumen sollten.

    Meurer: Das war Klaus Buß, der Vorsitzende der Innenministerkonferenz und Innenminister von Schleswig-Holstein. Herr Buß, besten Dank und auf Wiederhören!