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Folgen des kalifornischen Waldbrands
Fotobuch-Sammlung von Manfred Heiting verbrannt

Der katastrophale Waldbrand in Kalifornien ist mittlerweile unter Kontrolle. Mindestens 85 Menschen kamen ums Leben. Doch auch die Kunst ist betroffen: Unter anderem wurde die Fotobuch-Sammlung von Manfred Heiting zerstört. Ein unersetzlicher Verlust, erklärte der Kunsthistoriker Roland Jaeger im Dlf.

Roland Jaeger im Gespräch mit Anja Reinhardt |
    Brände am Pacific Coast Highway (Highway 1) in Malibu, Kalifornien, 9. November, 2018.
    Die Vernichtung der Sammlung sei nicht nur eine Tragödie für die Buch- und Kulturgeschichte, sagte der Kunsthistoriker Roland Jaeger im Dlf (AFP / Robyn Beck)
    Anja Reinhardt: Ein ganzes Haus voller Regale, in dem unzählige Bücher stehen, Fotobücher vor allem, mehr oder weniger kreuz und quer ziehen sich diese Regale durch das Haus. So sah es bei Manfred Heiting in Malibu noch bis vor kurzem aus. Jetzt ist alles verbrannt. Angefangen hatte er als Sammler von Fotografien, diese Sammlung hat er dem Museum of Fine Arts in Houston übergeben.
    Aber Manfred Heiting besaß auch eine unschätzbar wertvolle Sammlung von Büchern über Fotografie, etwa 36.000 Bände, die er überall auf der Welt aufgestöbert hatte, Originalausgaben, Neuauflagen, Ausgaben in verschiedenen Sprachen. Er selbst hat zusammen mit dem Kunsthistoriker Roland Jaeger einen Teil dieses Bestandes in den beiden Bänden "Autopsie 1 + 2" dokumentiert, die vor ein paar Jahren erschienen sind - zwei dicke Bänder zu deutschsprachigen Fotobüchern von 1918 bis 1945. Ich habe den Mitherausgeber der Autopsie-Bände, Roland Jaeger, gefragt, wie sich der Wert dieser einzigartigen und umfassenden Sammlung beschrieben lässt?
    Roland Jaeger: Die Fotobuch-Sammlung, die dem zweibändigen Werk "Autopsie" zugrunde gelegen hat, war dadurch ausgezeichnet, dass sie nicht einzelne Bücher, sondern Zusammenhänge, Verlagsgeschichten, Autoren, Fotografen in einem Zusammenhang dokumentiert hat. Jedes Buch war nicht nur einmal vorhanden, sondern in allen Auflagen, in allen Ausstattungsformen und Erscheinungsformen – etwas, was Bibliotheken nicht sammeln, sondern nur in einer solchen Sammlung vorhanden war.
    Reinhardt: Ich glaube, das müssen Sie noch mal ganz kurz erklären. Was für Erscheinungsformen meinen Sie? Was war der wichtige Aspekt, unter dem Manfred Heiting diese Bücher sammelt?
    Jaeger: Der Anspruch war, Bücher so zu sammeln, wie sie zum Zeitpunkt ihres Erscheinens vorgelegen haben, also in der Komplettausstattung: mit einem Schutzumschlag, mit einem Schuber, mit der begleitenden Verlagswerbung – all das, was ein Buch als Ganzes ausmacht. Selbstverständlich dokumentieren diese Bücher in erster Linie Zeitgeschichte, aber auch andere Aspekte spielen eine Rolle. Das visuelle Zeitalter, in dem wir im 20. Jahrhundert aufgewachsen sind, spiegelt sich in diesen Fotobüchern. Es spiegelt sich aber ebenso die Druckgeschichte, die Drucktechnik, die Verlagsgeschichte, die Entwicklung der Fotografie, die Fotografiegeschichte, von der Schwarz-Weiß-Fotografie bis zur Farbfotografie, von der Kunstfotografie bis zur Propaganda.
    Internationale Sammlung
    Reinhardt: Jetzt haben wir mit diesen "Autopsie"-Bänden die Dokumentation der Sammlung Manfred Heiting. Man kann, wie Sie das gerade auch schon gesagt haben, da auch Zusammenhänge erkennen. Aber wenn wir jetzt noch mal über die Sammlung an sich sprechen: Wieviel von dieser Sammlung, glauben Sie, kann denn ersetzt werden?
    Jaeger: Die Fotobuch-Sammlung Manfred Heiting ist unersetzlich. Sie wird es nie wieder geben können, weil dieser Sammler mit einem Qualitätsbewusstsein auf Einzelstücke hin gesammelt hat, die so nie wieder auftauchen werden.
    Wichtig ist auch zu sagen, dass es sich ja nicht nur um eine Sammlung deutschsprachiger Fotobücher gehandelt hat, sondern mit dem gleichen Anspruch es sich um eine Sammlung russischer Fotobücher, japanischer Fotobücher, tschechisch-slowakischer Fotobücher, niederländischer Fotobücher gehandelt hat, also ein internationaler Ansatz vorhanden war.
    Reinhardt: Wissen Sie, ob es eine vergleichbare Sammlung gibt?
    Jaeger: Die einzige Fotobuch-Sammlung auf der Welt, die in Ansätzen mit der von Manfred Heiting vergleichbar sein könnte, ist die des englischen Fotografen Martin Parr, die, soweit ich es weiß, an das Museum Tate Modern gehen soll.
    Lebenswerk zerstört
    Reinhardt: Haben Sie mit Manfred Heiting denn schon gesprochen?
    Jaeger: Ja. Was soll ein Sammler sagen, dem ein großer Teil seines Lebenswerkes abhandengekommen ist? – Ihm fehlen die Worte. Und es ist ja nicht nur eine Tragödie für die Buch- und Kulturgeschichte, sondern auch eine menschliche Tragödie, und es bedarf besonderer Stärke, über diesen Moment hinwegzukommen. Das einzig Produktive, was man eigentlich aus dieser Tragik herausnehmen kann, dass man noch mal innehält und sich überlegt, welche Lebensrisiken gibt es für Kulturgüter, weil sich natürlich Privatsammler gerne mit den Dingen umgeben und, was nun allerdings Heiting auszeichnete, er natürlich rund um die Uhr damit gearbeitet hat. Der Zugriff war ja auch wichtig, um diese Bücher zu erstellen.
    Die Bücher sind ja alle dokumentiert, fotografiert, verzeichnet worden und so weiter, und das setzt natürlich eine Nähe zu dem Material voraus. Die besondere Bitternis besteht ja hier darin, dass es nicht ein Privatsammler war, der für sich selbst Reichtümer anhäufen wollte, sondern die ganze Erforschung der Dinge privat finanziert hat und das Ganze ja schon in den öffentlichen Besitz dieses Museums in Houston übereignet hat. Es war nur noch nicht praktisch vollzogen, aus dem besonders bitteren Grund, dass das Museum für diese Bibliothek einen eigenen Wing, einen eigenen Gebäudeteil errichten wollte, oder damit schon angefangen hatte und man so lange warten wollte, bis das fertig ist, damit eins zu eins diese Bibliothek dahin übertragen werden kann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.