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Folgen des Unionsstreits
Grüne verspüren Aufwind

Der Streit um die Flüchtlingspolitik hat Grüne und Union noch weiter voneinander entfernt - eine Zusammenarbeit erscheint inzwischen unvorstellbar. Nach dem personellen Neuanfang an der Spitze tritt die Partei selbstbewusster auf - und rechnet sich bezüglich der kommenden Wahlen bessere Chancen aus.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 28.06.2018
    Die neuen Bundesvorsitzenden Robert Habeck (8vl) und Annalena Baerbock (3vr) lassen sich am 27.01.2018 bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover (Niedersachsen) mit Parteifreunden fotografieren. Im Mittelpunkt des zweitägigen Parteitags stehen die Wahlen des neuen Bundesvorstands und des Parteirats der Grünen.
    Selbstbewussteres Auftreten: Die Bundesvorsitzenden Robert Habeck (8vl) und Annalena Baerbock (3vr) bei der außerordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen in Hannover (picture alliance / dpa / Bernd von Jutrczenka)
    "Also das sind berührende und furchtbar schreckliche Bilder, und das finde ich so erbärmlich."
    Grünen Geschäftsführer Michael Kellner sitzt in seinem Berliner Büro und ringt um Worte angesichts des Flüchtlingselends der letzten Tage auf dem Mittelmeer. Grüne Bundestags-Abgeordnete waren zwischenzeitlich an Bord der Lifeline – doch das Entsetzen durchzieht die ganze Partei. Chefstratege Kellner ist angesichts des Asylstreits in der Union fassungslos:
    "Sie brechen mit Grundkonstanten deutscher Politik, nämlich mit einer pro-europäischen Haltung und mit einer Verpflichtung, nämlich Recht auf Asyl und Humanität."
    Michael Kellner glaubt nicht an schnellen einen Bruch der Koalition, aber dennoch laufen die Drähte zwischen Fraktion und Parteizentrale heiß in diesen Tagen. Würden die Grünen im Fall der Fälle der Kanzlerin beistehen, etwa wenn Angela Merkel die Vertrauensfrage stellt?
    "Nein, das können wir nicht bei der Politik, die sie jetzt macht", sagt Katrin Göring-Eckardt.
    Keine Gemeinsamkeit mit der Union
    In der Flüchtlings-, Europa- und Klimapolitik sieht die Grünen Fraktionschefin derzeit keine Gemeinsamkeiten mit der Union. Gleichwohl wollen die Grünen nicht als Blockierer dastehen. Fragen nach einem Kenia-Bündnis mit CDU und SPD weichen sie zwar aus, aber grundsätzlich, das betonen alle an der Parteispitze, bleibe man gesprächsbereit:
    "Wenn es darum geht, einen Neuanfang zu starten mit einer humanitären und ordentlichen Asylpolitik, mit einer anderen Ökologie-Politik, dann können wir reden, aber so erst mal nicht."
    "Wir Grüne stehen nicht als Reserverad für eine abgewrackte Regierung zur Verfügung. Wir sind gesprächsbereit, aber wir sind doch nicht darum gesprächsbereit, einfach in eine Regierung einzutreten, sondern uns geht’s doch eine bessere Politik", ergänzt Michael Kellner.
    Partei verspürt Aufwind
    Die Grünen bemühen sich, alle Häme zu unterdrücken. Seit den Jamaika-Sondierungen und dem personellen Neuanfang an der Parteispitze verspürt die Partei Aufwind – die Profilierung als Europa-, Flüchtlings- und Umweltpartei funktioniert inzwischen viel besser also noch im Bundestagswahlkampf vor einem Jahr.
    "Natürlich wollen wir gestalten, nur brauchen wir dazu Partner, mit denen man gestalten kann, und da habe ich allergrößte Zweifel, dass die gerade vorhanden sind."
    Schon während der Jamaika-Sondierungen im Herbst, so berichten Teilnehmer, habe Angela Merkel erkennen lassen, dass grundlegende Asylrechte verschoben werden könnten, etwa bei der Diskussion um Aufnahmelager außerhalb der EU oder der Frage, wer überhaupt noch in die Europäische Union kommen darf. Ein Dammbruch, heißt es bei den Grünen:
    "Es ist eindeutig so, dass die Geste von Frau Merkel 2015 eine unglaublich große Geste war. Aber seitdem hat auch die CDU die humane Flüchtlingspolitik nach und nach entsorgt."
    Zunehmende Entfremdung zur CDU
    So beschreibt Co-Fraktionschef Anton Hofreiter die zunehmende Entfremdung auch zur CDU. Und eine Zusammenarbeit mit der CSU nach der bayerischen Landtagswahl erscheint – anders als noch vor wenigen Wochen – inzwischen unvorstellbar in Berlin. Erst neulich ließ Grünen-Parteichef Robert Habeck den CSU-Generalsekretär Markus Blume in einer Talkshow auflaufen. Anlass: Der so genannte Masterplan Migration von Horst Seehofer.
    Blume: "Ich kann Ihnen sagen, was Horst Seehofer dabei geleitet hat, was er berichtet hat aus den Gesprächen mit der Kanzlerin, aber ich habe ihn auch nicht gesehen." - Habeck:" Aber Sie haben ihm zugestimmt, ohne ihn zu kennen? Das ist ja erstaunlich. Sie sind doch im Präsidium der CSU. Oder nicht"?- Blume: "Ja, aber das lässt trotzdem einen zustimmen, zu Punkten, von deren Richtigkeit man völlig überzeugt ist." - Habeck: "Nicht im Ernst, Herr Blume, oder? Man kann doch bei so einem zentralen Dokument nicht zustimmen, ohne das gesehen zu haben!"
    Sie treten selbstbewusst auf, feilen an ihrem neuen Grundsatzprogramm und bereiten sich auf die kommenden Wahlen vor: Bayern, Hessen, und nächstes Jahr die Landtagswahlen im Osten und die Europawahl – da wittern die Grünen Morgenluft. Leichtfertig Neuwahlen fordern – darin sieht die Partei hingegen derzeit keinen Vorteil. Robert Habeck nimmt die Kanzlerin jetzt erst einmal vor dem heute beginnenden EU-Gipfel in die Pflicht:
    "Ich erwarte von der Regierungserklärung, dass Merkel wieder das Heft des Handelns in die Hand nimmt und sich nicht von einem kleineren Koalitionspartner rumschubsen lässt. Seit wann wedelt der Schwanz mit dem Hund? Vielleicht gelingt es ihr ja in der Regierungserklärung klar zu machen, wer hier neben der formalen Richtlinienkompetenz eigentlich das Sagen in der Regierung hat."