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Folgen des Volksentscheids
EU kappt Bildungsdrähte zur Schweiz

Die EU hatte es angekündigt, nun hat sie entschieden: Bereits im laufenden Studienjahr wird die Schweiz nicht am studentischen Austauschprogramm "Erasmus" teilnehmen. Den Hochschulen der Eidgenossenschaft fehlen damit Millionen in den Etats.

Von Thomas Wagner | 27.02.2014
    Vor dem Schweizer Bundeshaus in Bern haben Studierende ein Grablicht abgestellt - als Zeichen der Trauer darüber, dass sie schon in diesem Studienjahr nicht mehr am europäischen Austauschprogramm "Erasmus" teilnehmen können. Alina Tschanz, aus dem Ostschweizer St. Gallen stammende Biologiestudentin an der Eidgenössisch-Technischen Hochschule Zürich, sieht nun ihre Karrierechancen in Gefahr:
    "Ich persönlich würde gerne eine Karriere in der Forschung starten. Und dazu ist es enorm wichtig, auch im Ausland Kontakte zu knüpfen, Erfahrungen zu machen, den Horizont zu erweitern. Deshalb finde ich 'Erasmus' auch sehr wichtig."
    Doch "Erasmus" war einmal - zumindest in der Schweiz. Die nämlich nehme im Studienjahr 2014/2015, nach den Sommerferien, definitiv nicht mehr an diesem studentischen Austauschprogramm der EU teil, so EU-Arbeitskommissar László Andor gestern vor dem EU-Parlament. Und mehr noch: Auch bei der europäischen Forschungsförderung bleibt die Schweiz zukünftig außen vor. Sie werde, so Andor, nicht mehr wie bisher als "assoziiertes Land", sondern als Drittland behandelt, unter anderem beim milliardenschweren Förderprogramm "Horizon 2020". Dass die EU die Schweiz derart schnell vom Studierendenaustausch und von der Forschungsförderung ausschließt, sorgt an den Schweizer Hochschulen für blankes Entsetzen. Professor Antonio Loprieno ist als Rektor der Uni Basel auch Präsident der schweizerischen Rektorenkonferenz. Er sagte heute früh im Schweizer Radio SRF:
    "Es kommt jetzt mit dieser Dringlichkeit absolut überraschend. Wir müssen durch eine gewisse Durststrecke wahrscheinlich in diesem Jahr gehen."
    Fehlende Millionen im Forschungsetat
    Denn: Den Schweizer Hochschulen fehlen plötzlich Millionenbeträge in ihren Forschungsetats, wenn die Zahlungen aus Brüssel schon für dieses Jahr eingestellt werden.
    "Wenn wir von den Erfahrungen der Vergangenheit ausgehen, dann handelt es sich wirklich um mehrere Millionen Franken."
    Das ausbleibende Geld ist das eine, die plötzliche Trennung der häufig für Spitzenleistungen in der Forschung bekannten Schweizer Hochschulen vom europäischen Forschungsbetrieb das andere. Darauf weist Professor Roland Siegwart hin. Er ist Vizepräsident der ETH Zürich für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen.
    "Das Substituieren in finanzieller Hinsicht, das ist das, was uns weniger Kopfweh macht. Aber wir möchten in der internationalen Zusammenarbeit, aber auch im internationalen Austausch im Wettbewerb in Europa sein. Weil: Das ist für unsere Forschung etwas sehr Wichtiges."
    Deshalb rät das Schweizer Wissenschaftsdepartment den Forschern in der Eidgenossenschaft, sich mit Unis in der EU zusammen zu tun, Gemeinschaftsprojekte zu starten. Dann könnten sie zumindest indirekt an der europäischen Forschungsförderung teilhaben. ETH-Vizepräsident Roland Siegwart gibt sich eine Spur selbstbewusster. Er betont, dass von der bisherigen Einbeziehung Schweizer Hochschulen mit ihren wissenschaftlichen Spitzenleistungen in den europäischen Wissenschaftsverbund auch die EU profitiert habe.
    "Das Forschungsprogramm und der Austausch ist ja ein Win-Win für beide Seiten. Ich glaube, das ist ein Gewinn für Europa, dass Schweizer Hochschulen da mitmachen."
    Während dies die EU-Kommission derzeit anders sieht, haben gerade deutsche Unis die Zusammenarbeit mit den Hochschulen in der Schweiz stets als Gewinn empfunden. Ein Beispiel von vielen ist die Technische Universität Darmstadt. Sie unterhält Partnerschaften mit der ETH Zürich, mit der Hochschule Luzern und mit der École polytechnique fédérale de Lausanne. Dort überlegt sich die Hochschulleitung derzeit, ob Teilnehmer am Studierendenaustausch mit der Schweiz wegen der ausfallenden "Erasmus"-Stipendien in Zukunft direkt von der Uni Zuschüsse erhalten. Denn: Den Austausch mit der Schweiz erachte man nach wie vor als wichtig, so ein Sprecher. Die Studierendenorganisationen in der Schweiz wollen im Gegenzug darum kämpfen, auch weiterhin in irgendeiner Form am "Erasmus"-Programm teilnehmen zu können. Möglicherweise, hofft Luana Gregual, Präsidentin des "Erasmus Student Network" Zürich, gebe es die Möglichkeit einer Art "Mitgliedschaft zweiter Klasse": eine sogenannte "stille Mitgliedschaft". Hierbei bekämen Schweizer Studierende zwar Stipendien, das Land hätte aber kein Mitspracherecht in den "Erasmus"-Gremien.
    "Vor 2011 war die Schweiz ein 'stilles Mitglied' im 'Erasmus'-Programm. Und das wäre eventuell eine Möglichkeit, die wieder eingeführt werden könnte. Für die Studierenden würde sich eigentlich nichts ändern."
    Das letzte Wort darüber hat allerdings die EU-Kommission. Und von dort sind derzeit keine Anzeichen erkennbar, einer solchen Übergangslösung zuzustimmen.