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Folter verletzt Würde des Rechtstaats

Wiese: Möglicherweise ist es ja bezeichnend für den derzeitigen Zustand der Welt, dass das Thema Folter wieder auf der Tagesordnung steht. Die amerikanischen und britischen Besatzungstruppen im Irak foltern Gefangene und bringen damit ihre Regierung in schwere Bedrängnis. Ein deutscher Hochschulprofessor hält in einem Interview Folter oder deren Androhung für legitim im Kampf gegen Terroristen und gefährdet damit seine weitere akademische Karriere. Die Rede ist von Michael Wolffsohn von der Universität der Bundeswehr in München. Am Telefon begrüße ich jetzt Professor Arthur Kreuzer, Kriminologe an de Universität Gießen. Herr Kreutzer, seit dem Zweiten Weltkrieg unterliegt die Folter in allen nationalen und internationalen Gesetzestexten einem absoluten Verbot. Was bedeutet es, wenn dieses absolute Verbot jetzt immer öfter relativiert wird?

    Kreutzer: Wenn man es nur einmal relativiert und versucht, den Ausnahmefall zu definieren, dann begibt man sich schon auf eine schiefe Bahn, dann gibt es keinen Halt mehr. Vor allem nistet sich dann eine Foltermentalität auch bei dem kleinen Mann in der Polizei, im Sicherheitsdienst, im Militär ein. Wenn die oben, die Gerichte, die Politiker, die Behördenleiter es dulden, dann nimmt sich jeder heraus, es für sich auch übernehmen zu dürfen und den konkreten Fall als den schlimmsten anzusehen, für den man doch ein bisschen Folter zulassen dürfe. Wir dürfen hier keine Ausnahme zulassen.

    Wiese: Nun gibt es ja durchaus ernstzunehmende, seriöse und unverdächtige Wissenschaftler, die von dem absoluten Folterverbot abweichen wollen, etwa um Menschenleben zu retten. So ein Fall lag ja bei dem entführten Jakob von Metzler vor. Der Frankfurter Polizeivizepräsident Daschner hatte angeordnet, dem Entführer Gäfgen unerträgliche Schmerzen anzudrohen, falls nicht das Versteck des Kindes preisgegeben würde, und Gäfgen wurde tatsächlich gesprächig.

    Kreutzer: Ja, natürlich kann man Menschen gesprächig machen durch Folter. Das wussten wir ja auch im Mittelalter, und schon die Androhung der Marterinstrumente konnte manche gefügig machen. Aber wir dürfen uns eben nicht der Mittel bedienen, derer sich das Gegenüber, das kriminell ist, bedient. Der Staat muss sich und seiner Macht Grenzen auferlegen, und er muss die Würde des anderen beachten. Man darf nicht Menschenwürde gegen das Recht auf Leben ausspielen. Selbstverständlich gibt es so etwas wie den finalen Rettungsschuss. Wenn wir jemanden retten müssen und zwei Menschen, das Oper und der Täter, sind nebeneinander und der Täter bedroht das Opfer und es gibt kein anderes Ausweichen, dann dürfen wir den Täter erschießen. Aber damit nehmen wir ihm nicht die Würde. Die Würde des Menschen ist unantastbar, und das sagen alle Texte der Gesetze bei uns im Land, die Verfassung und die internationalen Texte, aus der bösen Erfahrung, die wir mit den Brüchen des Folterverbots gemacht haben. Es klingt paradox, aber das Menschenleben, auch wenn es genommen wird, auch wenn jemand getötet wird, nimmt nicht die Würde des Menschen, aber jemanden zu instrumentalisieren, ihn zu erniedrigen, ihn nach der Regel, der Zweck heiligt die Mittel, in die Folter zu nehmen, das entwürdigt den Menschen.

    Wiese: Ich will es mit einem anderen Beispiel versuchen. Israelische Sicherheitskräfte wenden Folter - sie sprechen vom gemäßigten körperlichen Zwang - an, um sogenannte tickende Zeitbomben unschädlich zu machen, also Terroristen, die wissen, wo sich eine Bombe befindet. Ist es da nicht gerechtfertigt, einen Menschen zu quälen, so schrecklich sich das anhört, um vielleicht Hunderte von Unschuldigen zu retten? Verletzt nicht auch der Terrorist die Menschenwürde?

    Kreutzer: Der Terrorist verletzt natürlich die Menschenwürde, aber wir können nicht sagen, weil er die Menschenwürde verletzt, darf der Staat das auch tun. Der Staat als Machtinstrument mit Legitimität vom Volk her in einer Demokratie darf sich eben nicht der Mittel des Gegenübers bedienen. Er muss seine eigene Macht beschränken. In vielen Fällen gibt es Alternativen, gibt es ein besseres, ein intelligenteres Vorgehen als die Folter. Aber auch dort, wo tatsächlich nur Folter zum Ergebnis der Rettung führen würde - man trotzt dem Gegenüber ein Geheimnis ab, das zur Rettung nötig ist -, müssen wir uns - das ist schicksalhaft - enthalten, müssen sich die staatlichen Machthaber, Polizei und Militär dieser Instrumente enthalten. Das gehört zur Würde des Staats. Das gehört zur Würde des Rechts. Das sind natürlich hohe Worte, wenn man hört, andernfalls steht das Leben von vielen Menschen auf dem Spiel.

    Wiese: Sind die Äußerungen des eingangs erwähnten Michael Wolffsohn noch mit der Freiheit der Lehre vereinbar?

    Kreutzer: Also es ist ja nicht nur Wolffsohn, der das in Interviews sagt. Er hat es ja nicht in der Lehre gesagt, aber das ändert daran nichts. Es sind ja auch andere Staatsrechtler, die das vor Jurastudenten sagen. Jeder darf sich auf das Recht der freien Meinungsäußerung und auf die Forschungs- und Lehrfreiheit berufen, der in einem solchen staatlichen Amt eines Professors ist. Ich darf dieses Recht für mich auch in Anspruch nehmen. Es ist kein Grund zu sagen, ein solcher akademischer Lehrer hätte nun das Recht zu lehren verwirkt. Ich halte das für eine völlig übermäßige Folgerung. In Amerika übrigens würde man das ganz schlimm ahnden, wenn man so einem Professor das Amt nehmen wollte. Da gibt es sogar das erklärte Verfassungsrecht der freien akademischen Rede, das heißt der Lehrfreiheit und der Meinungsfreiheit. Ich halte die Idee an sich, auch die Fragen, die Sie mir stellen, ja nicht für falsch. Ich habe mir am Anfang nach dem Fall Daschner auch die Frage gestellt, muss es nicht doch eine Ausnahme geben. Ich bin dann zum Schluss gekommen, die Ausnahme darf es nicht geben, aber die Frage zu stellen, ist durchaus legitim.

    Wiese: Die Ausnahme darf es nicht geben, weil schon ein wenig Folter oder auch die Androhung von Folter den Dammbruch bewirken würde?

    Kreutzer: Das würde ich in der Tat sagen, und ich habe ja auch nachgewiesen, dass solche Mentalitäten eindringen. Sie werden zum täglich Brot. Wenn in Amerika ein bisschen Folter in Guantanamo tatsächlich vom Pentagon geduldet worden ist, dann können wir uns nicht wundern, dass dieses Denken sich im Militär und den Sicherheitsdiensten ausbreitet und dass das dann, je weiter man nach unten kommt, bis zum konkreten Fall und zu den konkreten machtausübenden einfachen Soldaten und Sicherheitsbeamten in die Mentalität übergeht und dass sie dann Dinge tun, die die oben gar nicht wollen, weil sie sagen, nein, nur in Ausnahmefällen, und in schlimmsten Ausnahmefällen, und nur ein bisschen Folter. Es gibt dann keinen Halt, wenn wir überhaupt eine Relativierung des Verbots zulassen.

    Wiese: Vielen Dank für das Gespräch.