Lange: Können Sie nachvollziehen, was da in Brüssel vor sich geht?
Hoyer: Nein. Das Ansinnen der Türkei erscheint mir absolut nachvollziehbar und die Reaktion der drei Partner, die gestern nicht mitgemacht habe, ist mir völlig unverständlich.
Lange: Für manche war dieser Konflikt überfällig, weil die alte, auf Verteidigung ausgerichtete NATO nie zu einer neuen Rolle gefunden hat. Sehen Sie das auch so?
Hoyer: Mit den letzten Gipfeln ist ja die Rolle der NATO deutlich weiterentwickelt worden, das heißt, man versucht, sich mehr und mehr auf die neuen Herausforderungen einzustellen. Ob der geltende NATO-Vertrag dafür eine langfristige, ausreichende Grundlage ist oder nicht, darüber wird zu diskutieren sein. Auch die ein oder andere nationale rechtliche Regelung mag noch mal der Überprüfung zugänglich gemacht werden, aber es kann nicht so sein, dass man jetzt so tut, als würde man von der Herausforderung, die jetzt bevorsteht, überrascht werden. Dass es für die Türkei in der Region, in der sie geographisch liegt, Probleme geben kann, ist jedem immer bewusst gewesen.
Lange: Ist die NATO mit diesem Konflikt am Ende oder wird sie sich wieder zusammenraufen?
Hoyer: Ich hoffe sehr, dass sie sich zusammenrauft. Die NATO ist ja nicht, wie man so schön sagt, das bei weitem erfolgreichste Militärbündnis der Geschichte gewesen und könnte es auch heute noch und in der Zukunft sein. Sie ist vor allem Ausdruck tiefer politischer und militärischer Integration. Wenn man das aufgibt, besteht die Gefahr der Renationalisierung der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, und das wäre in der Tat ein außen- und sicherheitspolitischer Rückschritt von Jahrzehnten.
Lange: Teilen Sie denn in der Sache Irak die Risikoabschätzung von Joschka Fischer, dass ein Krieg gegen den Irak unter dem Strich größere Gefahren für Stabilität und Sicherheit zufolge hätte als ein unter Kontrolle stehender Irak?
Hoyer: Ich halte die Auflistung der Fragen, die Herr Fischer stellt, für ausgesprochen legitim. Ob damit schon eine Abwägung verbunden ist, bezweifle ich allerdings, denn alles ist abzuwägen gegen das Risiko des Nichtstuns und hier kommen die Partner im Bündnis zum Teil eben zu anderen Ergebnissen und diese ernsthafte Diskussion im Bündnis muss man führen. Das kann man wohl kaum tun, wenn man von vornherein sagt: Egal, was in der EU, in der NATO, in der UNO beschlossen wird, Deutschland wird sich auf keinen Fall beteiligen. Insofern hat Bundeskanzler Schröder im Herbst den Weg zur Isolierung Deutschlands eingeschlagen und es ist sehr schwer, da wieder rauszukommen. Wenn man in eine Straße reinfährt, wo am Anfang Sackgasse und Einbahnstraße gleichzeitig steht, hat man ein Problem.
Lange: Hätte die Bundesregierung die Chance gehabt, eine ablehnende Position zu einem Irak-Krieg zu behalten, ohne die USA zu brüskieren?
Hoyer: Ich glaube, es erwartet im Bündnis niemand, dass, wenn es letztendlich zum Irak-Krieg kommen sollte, jeder da mitmacht. Aber zwischen dem Nichtmitmachen aus durchaus nachvollziehbaren Überlegungen und den anderen Partnern in den Arm oder gar, wie es dort empfunden wird, in den Rücken zu fallen, ist eben ein großer Unterschied und letzteres führt zur Zerstörung des Bündnisses. Und Bündnisfähigkeit ist für Deutschland ein ganz wesentlicher Wert an sich.
Lange: Aber bei diesem Credo von Präsident Bush, wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, da liegt doch mindestens die Hälfte der Verantwortung für diesen schlechten Stand der Dinge auch auf der anderen Seite?
Hoyer: Ja, es ist auch keineswegs so, dass ich sonderlich glücklich wäre über die amerikanische Haltung, insbesondere auch im letzten Jahr. Als Oppositionsführer muss ich sagen, ohne ein paar knackige Reden von Herrn Cheney und anderen wäre heute wahrscheinlich eine andere Bundesregierung am Werke. Aber wir haben das zu verantworten, was Deutschland tut, und das war in den letzten Monaten nicht sehr hilfreich.
Lange: Muss sich die Haltung der Bundesregierung, auch künftiger Bundesregierungen, gegenüber den Amerikaner ändern, vielleicht im Sinne eines Paradigmenwechsels, dass man vielleicht auch, ich sage es jetzt mal vorsichtig, Allmachtsphantasien der einzigen Weltmacht eindämmen muss?
Hoyer: Ja, das ist wichtig. Auf der anderen Seite muss man der Versuchung widerstehen, dem Rest der Welt zu erklären, dass man doch bitte am deutschen Wesen genesen möge. So wichtig es ist, dass kritische und zweifelnde Fragen gestellt werden, - die stellen wir uns auch alle ständig, glaube ich - , so wichtig ist es, auch mit anderen in einem fairen freundschaftlichen Dialog zu bleiben. Und da ist durch die Art und Weise, wie die Kritik durch die Bundesregierung vorgetragen worden ist, in den letzten Monaten enorm viel zerstört worden.
Lange: Sie waren Staatsminister im Auswärtigen Amt. Was würden Sie, wenn Sie gefragt würden, der Bundesregierung empfehlen? Wie soll sie agieren, soll sie wieder auf die Amerikaner zugehen, lohnt sich das oder muss sie abwarten?
Hoyer: Sie muss auf jeden Fall auf die Amerikaner zugehen. Unabhängig davon, wie man sich konkret in der Irak-Frage letztendlich entscheidet, ist es ganz entscheidend, dass man im ständigen Dialog ist. In schwierigen Fragen - und ich erinnere an die Stationierung der Kurzstreckenraketen Ende der 80er Jahre, wo es ähnlich schwierige Diskussionen gab, - ist es immer beim Dialog geblieben. Hans-Dietrich Genscher ist jede Woche - und manchmal zwei- bis dreimal - nach Washington geflogen, und man hat nie den Diskussionsfaden abreißen und vor allen Dingen nie Zweifel daran aufkommen lassen, dass man ein engagierter und verlässlicher Bündnispartner ist.
Lange: In den Informationen am Morgen war das Werner Hoyer, FDP-Mitglied der parlamentarischen Versammlung der NATO und ehemals Staatsminister im Auswärtigen Amt. Danke für das Gespräch, Herr Hoyer und auf Wiederhören.
Hoyer: Danke auch, Herr Lange, auf Wiederhören.
Link: Interview als RealAudio