Montag, 29. April 2024

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Forderung nach Islam-Gesetz
"Die Fragen regeln, wie der Islam in Deutschland ankommt"

Der CDU-Politiker Jens Spahn hält auch nach der Absage der Bundesregierung an seiner Forderung nach einem Islamgesetz fest. Spahn betonte, die Frage der Integration sei die größte gesellschaftspolitische Herausforderung der Gegenwart, sowohl für Deutschland als auch für Europa.

Jens Spahn im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 04.04.2017
    Der CDU-Politiker Jens Spahn
    Der CDU-Politiker Jens Spahn (dpa / picture alliance / Rolf Vennenbernd)
    Bei den Islamverbänden in Deutschland gebe es keine einheitlichen Ansprechpartner, so der CDU-Politiker. Die Verbände verträten jeweils nur einen Teil der Muslime. Deshalb müsse man Strukturen schaffen. Über diese Probleme und deren mögliche Lösungen müsse man reden, statt eine solche Diskussion reflexartig abzulehnen. Deutschland brauche ein Paket, "wo wir die Fragen regeln, wie der Islam auch in Deutschland ankommt", sagte Spahn, der auch Mitglied des Parteipräsidiums ist, im Deutschlandfunk.
    Regierungssprecher Seibert hatte gestern unter Verweis auf die Religionsfreiheit klargestellt, dass die Bundesregierung keine Notwendigkeit für ein solches Gesetz in Deutschland sieht. In der eigenen Partei stößt Spahns Vorschlag auf ein geteiltes Echo.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Brauchen wir ein Islamgesetz in Deutschland, ein Gesetz, das die Rechte und Pflichten der Moslems klar festlegt und auch dafür sorgt, dass Radikalisierungstendenzen Einhalt geboten wird, das Regeln für die Ausbildung von deutschsprachigen Imamen festlegt? Führende CDU-Politiker hatten die Forderung erhoben, so Präsidiumsmitglied Jens Spahn. Auch die stellvertretende Bundesvorsitzende Julia Klöckner schloss sich der Forderung an. Allerdings gibt es auch heftigen Gegenwind. Regierungssprecher Seibert, gerade gehört, machte gestern klar, das ist kein Thema für die derzeitige Bundesregierung, und der frühere CDU-Generalsekretär Ruprecht Polenz, der sprach sogar von einer populistischen Schnapsidee.
    Am Telefon ist wie erwähnt Jens Spahn. Schönen guten Morgen!
    Jens Spahn: Schönen guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Spahn, zum von Ihnen geforderten Islamgesetz sagt Volker Kauder, Ihr Fraktionschef, das brauchen wir nicht, die Regelungen des Grundgesetzes und des Strafrechts sind ausreichend, und Ruprecht Polenz, der ehemalige Generalsekretär der CDU, spricht sogar von einer populistischen Schnapsidee. Ist Ihr Islamgesetz der Rohrkrepierer des Jahres?
    Spahn: Na ja, Herr Heckmann. Ich bin ja sehr dafür, dass wir erst mal mit der Problembeschreibung anfangen. Alle sagen, wir wollen keine Finanzierung mehr aus der Türkei und aus Saudi-Arabien von Moscheegemeinden in Deutschland, und das ist die Regel, nicht die Ausnahme, dass aus dem Ausland finanziert wird, dass Imame aus dem Ausland geschickt werden, hier kein Wort Deutsch sprechen, die Kultur nicht kennen. Alle sagen, wir wollen ein Ende dieser Importimame, wir wollen Imame in Deutschland ausbilden, Seelsorger in Deutschland ausbilden, Religionslehrer in Deutschland ausbilden, unter deutscher Aufsicht in den Schulen einbetten. Alle sagen, wir müssen bessere Angebote machen, wenn es etwa um Seelsorger in Krankenhäusern und Gefängnissen geht. Islamische Friedhöfe, Feiertage sind angesprochen worden. Also sozusagen ein Paket, wo wir die Fragen regeln, wie der Islam auch in Deutschland ankommt und nicht am Ende noch ein türkischer oder saudi-arabischer Islam. Und ich glaube, das ist die größte gesellschaftspolitische und gesellschaftliche Herausforderung Europas.
    "Integration größte Aufgabe unserer Zeit"
    Heckmann: Und da sind Sie der Meinung, das muss man im Rahmen eines Gesetzes regeln? Ruprecht Polenz, der eben schon erwähnt wurde, der hat aber ganz klar gesagt, in einem Rechtsstaat, da dürfe man die vier Millionen Muslime und über 2500 Moscheen in Deutschland nicht unter Generalverdacht stellen.
    Spahn: Nein, das macht ja auch niemand. Aber die Praxis zeigt ja, dass die allermeisten Moscheen aus dem Ausland finanziert sind. Wir wissen gar nicht, wie viele Moscheen es gibt, wo es die gibt, und der Erfahrungsbericht, den wir auch jetzt bekommen haben von Predigten aus Moscheen, die sind justiziabel alle weitestgehend okay. Da verstößt wahrscheinlich niemand gegen das Grundgesetz und gegen geltendes Recht. Aber die eigentliche Frage ist doch, Herr Heckmann, und die muss auch Herr Polenz sich stellen, reicht uns das, reicht in einer Zeit, wo einige hunderttausend Muslime neu nach Deutschland gekommen sind, wo wir merken, dass die größte Aufgabe unserer Zeit ist die Integration von Menschen aus anderen Kulturen, kann es da reichen, dass nicht gegen Gesetze verstoßen wird, oder sollten wir uns nicht eigentlich wünschen und das auch ein Stück einfordern, dass für Integration, für Offenheit gegenüber unserer Gesellschaft, für eine Integration auch des Islams und des Glaubens in unserer Gesellschaft gepredigt wird, und das findet offenkundig in den meisten Moscheegemeinden nicht statt.
    Heckmann: Aber dass der Verdacht entsteht, dass Sie dafür sorgen, dass die muslimische Bevölkerung in Deutschland unter einen Generalverdacht gestellt wird, das stört Sie nicht?
    Spahn: Was heißt Generalverdacht? Aiman Mazyek, der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, hat noch vor etwa zwei Jahren gesagt, es wäre eine gute Idee, so könne man die muslimische Community – seine Wortwahl – in die Gesellschaft integrieren. Warum er da heute nichts mehr von wissen will, weiß ich nicht. Das ist eigentlich ein Angebot doch auch an die Verbände und an die Muslime in Deutschland, mit uns darüber zu reden, wie wir eine Struktur, eine Organisation hier aufbauen können, auch was Finanzierung angeht, was Ausbildung angeht, aber auch die Frage angeht, was und wie wird in den Moscheen gepredigt.
    "Strukturen gesetzlich schaffen"
    Heckmann: Das wird ganz offenbar nicht ganz so aufgenommen als Angebot, sondern eher als restriktive Maßnahme. Aber kommen wir mal zu dem Punkt Auslandsfinanzierung. Haben Sie ja schon mehrfach jetzt angesprochen, Herr Spahn. Dann ist es doch so: Wenn man das regeln wollte im Rahmen eines Gesetzes, dann müsste das doch wohl für alle Religionsgemeinschaften gelten, also auch für die katholische und die jüdische beispielsweise. Wollen Sie sich dafür allen Ernstes einsetzen, keine Auslandsfinanzierung von katholischen Kirchen mehr oder auch von Synagogen in Deutschland?
    Spahn: Ja, dann muss man da halt grundsätzlich offen drüber reden. Ich wüsste jetzt auch nicht zu viele katholische Kirchen in Deutschland, die aus dem Ausland und dann auch noch von ausländischen Staaten finanziert werden. Darum geht es ja auch. Es ist der türkische Staat über die Religionsbehörde mehr oder weniger, der Ditib angeschlossen ist, die hier Moscheen finanzieren und bestimmen, was in Deutschland gepredigt und zum Teil in den Schulen gelehrt wird. Und der Islam hat eben nicht, wie wir es von den christlichen Kirchen kennen, die ja auch, als es um die Religionsfreiheit in der Verfassung ging, was der eigentliche Hintergrund in der ganzen Sache war, hat eben nicht eine Organisationsstruktur mit einem einheitlichen Ansprechpartner, sondern eine solche Organisationsstruktur muss man eben gesetzlich schaffen, wenn man möchte, dass man all diese Themen denn dann regelt.
    Und ich sage noch einmal: Alle sagen, das sind Probleme. Selbst die Grünen sagen, das sind Probleme, über die wir reden müssen: die Finanzierung, die Frage der Ausbildung, die Frage der Seelsorge, die Frage von Friedhöfen. Aber keiner sagt, wie. Das sind jetzt alles wie immer die üblichen Reflexe und die üblichen Hinweise, zum Teil auch die Pauschalisierungen, die ja dann auch von anderen in der Bewertung vorgenommen werden, anstatt dass wir uns mal hinsetzen, über das Problem reden und darüber reden, wie wir es denn lösen wollen. Ich höre immer nur, was alles nicht geht, aber ich möchte gerne Probleme lösen. Ich möchte mal darüber reden, was geht.
    Heckmann: Der Hinweis zielt ja darauf, dass das dann auch für alle anderen Religionsgemeinschaften gelten muss, und das ist ja sicherlich auch ein Einwand, der ernst zu nehmen ist. Auch beim Thema Deutschpflicht beispielsweise, das ist ja auch ein Teil Ihres Forderungskataloges. Soll das dann auch für evangelische Kirchen im Ausland gelten, in denen Deutsch gesprochen wird, oder aus der Tora darf dann auch nicht mehr auf Hebräisch gelesen werden in Deutschland?
    Spahn: Natürlich darf aus der Tora auf Hebräisch gelesen werden, wie auch aus dem Koran. Wenn aus dem Koran zitiert wird, wird natürlich auf Arabisch zitiert. Es geht doch hier um die Predigten. Das ist ja nun was ganz anderes als die Originalzitate.
    Heckmann: Das ist aber schwer zu unterscheiden für den einen oder anderen, der das beobachtet.
    Spahn: Aber, Herr Heckmann, das ist ja schon wieder die Art der Debatte, wie wir sie führen. Ich sage es noch einmal. Das größte Integrationsthema, das wir in Deutschland haben und das, wenn wir es nicht lösen, uns in 10 oder 20 Jahren noch mal furchtbar einholen wird, wenn es das nicht schon längst hat, und das wir auch in Toulouse, Rotterdam, Köln, Wien, Berlin, wo auch immer haben, ist die Frage, wie gelingt die Integration von Menschen aus dem muslimischen arabischen Kulturraum, die zu uns gekommen sind, die Integration von Moscheegemeinden, wie stellen wir sicher, dass da nicht nur nicht gegen Recht verstoßen wird, sondern unser Bild von der Gleichberechtigung von Mann und Frau, die Unterscheidung von Gläubigen und nicht Ungläubigen, sondern Andersgläubigen, das Verhältnis zu anderen Religionen und zu unserer offenen Gesellschaft positiv formuliert wird. Wenn das die größte Aufgabe unserer Zeit ist, dann sollten wir vielleicht mal auch über diese Probleme reden und sie lösen wollen, und nicht immer versuchen, als erstes alle Gegenargumente zu liefern.
    "Verbände vertreten nur eine Minderheit"
    Heckmann: Das ist ja sicherlich ein Ansatz, der zu begrüßen ist, darüber zu reden, Herr Spahn. Aber die Frage ist ja, weshalb den Weg gehen über ein Gesetz und nicht den Weg über Staatsverträge. Wir haben gerade darüber gesprochen, dass ist normalerweise der Weg, wie der Staat auch in Deutschland sein Verhältnis zu den Religionsgemeinschaften regelt, und zwar partnerschaftlich, auf Augenhöhe, von beiden Seiten positiv begleitet.
    Spahn: Das ist sicherlich grundsätzlich der Idealzustand. Aber Sie haben ja selbst schon darauf hingewiesen, wir haben eben nicht den einheitlichen Ansprechpartner für die Muslime in Deutschland, die Verbände …
    Ditib-Moschee in Köln 
    Ditib-Moschee in Köln (picture alliance/dpa/Foto: Oliver Berg)
    Heckmann: Müsste man den nicht schaffen?
    Spahn: Die Frage ist ja, eben dafür, das sage ich ja, braucht es ein Gesetz und einen gesetzlichen Rahmen und Strukturen, um Ansprechpartner auch zu schaffen, weil die Verbände, die da sind, die vertreten eine Minderheit nur der Muslime in Deutschland, nicht mal ein Viertel der Muslime alle Verbände zusammen. Die Verbände, die da zum Teil sind, wie Ditib oder Milli Görüs, sind eher auch politische Verbände, türkische Verbände. Da geht es weniger um Religion und vielmehr um Politik. Und die letzten Jahrzehnte haben ja gezeigt, das sind im Zweifel nicht die richtigen Verbände, nicht die richtigen Ansprechpartner, zumindest nicht so, wie sie heute sind, um Integration in die Gesellschaft auch offen nach vorne zu bringen. Und wenn man keine Strukturen hat mit Ansprechpartnern, dann muss man sie – und da bin ich wieder bei einer gesetzlichen Regelung –, dann muss man sie eben schaffen.
    Heckmann: Sie bleiben weiterhin bei der Forderung, trotz des Gegenwinds, der bisher auf Sie eingewirkt hat?
    Spahn: Ich bleibe dabei, dass das das größte Thema unserer Zeit ist, was gesellschaftliche Fragen angeht. Ich bleibe dabei, dass alle sagen, wir haben da ein riesen Problem, und darüber müssen wir reden. Deswegen, finde ich, ist das ein Thema, über das wir dann auch diskutieren sollten, auch in den nächsten Wochen und Monaten. Es schadet ja nun nicht, wenn wir ab und zu auch mal richtige Fragen ausgiebig diskutieren.
    Heckmann: Letzte Frage dazu, Herr Spahn. Die AfD hat ja schon vor geraumer Zeit den Islam als Wahlkampfthema für sich entdeckt. Wie weit würden Sie von sich weisen, dass Sie der AfD damit das Wasser abzugraben versuchen?
    Spahn: Ach wissen Sie, Herr Heckmann, ich habe mich mit dieser Frage wie viele andere auch in der CDU und in der Gesellschaft, übrigens auch die Grünen, mit der Frage, wie ist unser Verhältnis zum Islam und das Verhältnis des Islams zu uns - die Frage ist mindestens genauso wichtig -, schon beschäftigt, da war die AfD noch mit dem Euro beschäftigt und hatte für alles andere gar keinen Kopf. Deswegen, finde ich, dürfen wir uns auch nicht bestimmen lassen, worüber wir noch reden und worüber wir nicht reden, und nicht von der Frage, was die AfD dazu sagt, sondern wir sollten über die Probleme reden, die da sind, und wir sollten die lösen. Wenn wir das vernünftig machen, dann haben die Spalter auch keinen Nährboden mehr in Deutschland.
    Heckmann: CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Spahn, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit.
    Spahn: Sehr gerne!
    Heckmann: Die schlechte Tonqualität, die bitten wir zu entschuldigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.