Er sei überrascht vom Vorstoß der Bundesverteidigungsministerin, sagte der SPD-Politiker Fritz Felgentreu im Dlf. Die Forderung nach einer international kontrollierten Schutzzone in Nordsyrien sei mit seiner Partei nicht abgesprochen gewesen. "Dass wir skeptisch sind, liegt auf der Hand."
"Dass wir in Deutschland darüber diskutieren, was wir in Syrien tun können, ist nicht illegitim", so Felgentreu. Schließlich habe die Terrormiliz IS Menschen in Europa in Gefahr gebracht. Man befinde sich gerade in der Frühphase einer Diskussion. "Am Ende muss die Bundesregierung geschlossen handeln."
Wie die Beteiligung von Deutschland konkret aussehen würde, müsse noch geklärt werden, so Felgentreu. Er wisse zum Beispiel nicht, wo die Soldaten für einen möglichen Einsatz herkommen sollten. Die Bundeswehr sei darauf nicht vorbereitet - sie befinde sich derzeit an ihrer Belastungsgrenze. Auch müsse eine völkerrechtliche Grundlage für einen Einsatz geschaffen werden.
Tobias Armbrüster: Ich habe über diesen Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer vor wenigen Minuten gesprochen mit Fritz Felgentreu, dem SPD-Verteidigungspolitiker. Er ist Obmann seiner Partei im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestages. Ich habe ihn gefragt, ob ihn dieser Vorstoß von Annegret Kramp-Karrenbauer gestern Abend überrascht hat.
Fritz Felgentreu: Die hat mich schon ein bisschen überrascht, obwohl sie natürlich in anderer Form schon in den letzten Wochen immer mal diskutiert worden ist, weil ja die Türkei schon seit längerem so eine Sicherheitszone im Norden Syriens gefordert hat.
Armbrüster: Aber dass jetzt die deutsche Verteidigungsministerin sagt, wir brauchen da eine international kontrollierte Sicherheitszone, möglicherweise auch mit deutscher Beteiligung, war das mit Ihnen, mit der SPD abgestimmt?
Felgentreu: Nein, war mit uns nicht abgestimmt, und ich habe auch eine Menge Fragen in dem Kontext. Dass wir da skeptisch sind, das liegt auf der Hand.
"Es muss am Ende etwas Realistisches dabei herauskommen"
Armbrüster: Ist das dann ein Affront gegenüber dem Koalitionspartner?
Felgentreu: Ich würde erst mal sagen, wir haben eine ernste Situation im Norden Syriens. Mit der müssen wir uns seriös auseinandersetzen. Wir wissen, dass diese Region mit unserer Sicherheit hier in Europa etwas zu tun hat. Wir haben gesehen, wie es der IS aus dieser großen Entfernung geschafft hat, Menschen hier in Europa in Gefahr zu bringen, und das ist ja auch der Grund, warum wir an dem Anti-IS-Mandat uns beteiligen als Deutschland. Insofern, dass wir hier in Deutschland darüber diskutieren, was können wir selber tun, um die Lage zu stabilisieren, das ist jetzt erst mal nicht illegitim, und diese Diskussion sollten wir führen. Aber es muss natürlich dann auch am Ende etwas Realistisches dabei herauskommen.
Armbrüster: Deshalb noch mal die Frage: Wenn jetzt die Verteidigungsministerin allein diesen Vorschlag macht, ohne Sie vorher zu fragen, ist das dann ein Affront gegenüber der SPD, auch gegenüber SPD-Außenpolitikern und Verteidigungspolitikern so wie Ihnen?
Felgentreu: Am Ende muss die Bundesregierung geschlossen handeln. Ein einzelnes Ministerium kann keine Politik, keine internationale Politik gestalten. Das, was am Ende dabei rauskommen muss, das muss gemeinsam getragen sein von der gesamten Bundesregierung, vom Kanzleramt, vom Auswärtigen Amt, vom Verteidigungsministerium und, wenn es um Mandate geht, natürlich auch vom gesamten Bundestag. Insofern betrachte ich uns hier als in einer Frühphase in einer Diskussion und welches Ziel diese Diskussion am Ende haben wird, das ist vollkommen offen. Ich habe jetzt erst mal eine ganze Reihe von Fragen, was denn das eigentlich konkret bedeutet, was sich die Bundesverteidigungsministerin hier vorstellt.
"Die Bundeswehr ist schon mehr als nur gut ausgelastet"
Armbrüster: Welche Fragen sind das genau, die Sie da haben?
Felgentreu: Na ja. Ich habe gestern oder vorgestern der Presse entnommen, dass der Personaleinsatz, der in der Union diskutiert wird, für eine solche Sicherheitszone sich in der Größenordnung von 40.000 Soldaten bewegt. 40.000 Soldaten müssen ja irgendwo herkommen und die Bundeswehr ist mit ihren Einsätzen bisher schon mehr als nur gut ausgelastet. Denn zu den Auslandseinsätzen, die wir im Moment durchführen, kommen ja auch noch die Aufgaben der Bündnis- und Landesverteidigung im Rahmen der NATO. Das heißt, wenn man sich nur vorstellt, dass die Bundeswehr vielleicht fünf Prozent von diesen 40.000 Soldaten stellen sollte, dann wären das 2.000 Soldaten. 2.000 Soldaten über vier Quartale würde bedeuten, mindestens 8.000 Soldaten im Jahr. Mit Vor- und Nachbereitung liegen wir eher in einer Größenordnung von 12.000 Soldaten, die allein ein deutscher Anteil bedeuten würde. Ich sehe gar nicht, wo die herkommen sollen, wo wir die Ausrüstung für die hernehmen sollen.
Und das alles ist an die Voraussetzung geknüpft, dass andere mitmachen, dass die NATO mit dabei ist, dass möglicherweise die Amerikaner mit dabei sind, obwohl sie gerade dabei sind, sich zurückzuziehen, dass Türkei und Russland in irgendeiner Weise so einbezogen werden, dass man eine tragfähige auch rechtliche Grundlage für so einen Einsatz hat. Denn es reicht ja nicht, einfach zu sagen, wir schicken da jetzt mal Soldaten hin. Das muss ja auch völkerrechtlich abgesichert sein und all diese Fragen sind völlig offen und ungeklärt. Deswegen reicht meine Fantasie im Moment nicht dazu aus, mir vorzustellen, wie so etwas dann am Ende konkret Gestalt annehmen soll.
Armbrüster: Herr Felgentreu, wenn wir jetzt gleich aus Berlin wieder solche Zahlenspiele hören, solche Forderungen und solche fehlende Fantasie, wie Sie es selbst nennen, wie kann dann eine glaubwürdige europäische, auch eine glaubwürdige deutsche Außenpolitik in Syrien eigentlich aussehen, wenn es aus Berlin immer direkt heißt, diese Soldaten haben wir überhaupt nicht?
Felgentreu: Ich glaube, wir lernen einfach an der Tatsache, dass wir solche Fragen stellen müssen, dass außenpolitische Handlungsfähigkeit auch etwas mit militärischen Möglichkeiten zu tun hat. In der Welt, in der wir heute leben, ist es so, dass Mächte, die Mächte vor Ort auf die militärische Karte setzen, um ihre Interessen durchzusetzen. Das tun die Russen, das tun jetzt auch die Türken, das haben in der Vergangenheit die Amerikaner getan. Wenn man selber keine militärischen Mittel hat, dann ist man zur kommentierenden Rolle von außen verdammt.
"Darauf ist die Bundeswehr nicht vorbereitet"
Armbrüster: Aber entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Herr Felgentreu. Hat Deutschland militärische Möglichkeiten?
Felgentreu: Wir haben militärische Möglichkeiten, aber die militärischen Möglichkeiten, die wir haben, die sind im Moment an ihrer Belastungsgrenze. Sie kennen die Diskussion um die Situation in der Bundeswehr. Sie wissen, dass wir in vielen großen Auslandseinsätzen seit über 20 Jahren zum Teil unterwegs sind. Sie wissen, dass die Aufgaben der Bündnis- und Landesverteidigung dazugekommen sind in den letzten fünf Jahren. Die NATO-Speerspitze, der NATO-Einsatz im Baltikum, all das beansprucht die Bundeswehr in einem hohen Maße. Und aus dem Stand einen wirklich ehrgeizigen großen weiteren Einsatz in einer schwierigen Region zu stemmen, darauf ist die Bundeswehr nicht vorbereitet.
Armbrüster: Ganz kurz, Herr Felgentreu. Das heißt, einfach die Kontrolle über Syrien allein der Türkei und Russland überlassen?
Felgentreu: Das heißt, wir sind in einer schwierigen Situation, in der die Europäische Union konstruktiv diskutieren sollte, welchen Beitrag sie leisten kann, in der auch die NATO mit darüber nachdenken muss, wie man es hinbekommen kann, diese Region zu befrieden. Aber einfach zu sagen, wir schicken dort jetzt mal 40.000 Soldaten hin, dafür sehe ich die Grundlagen nicht.
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