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Trittin (Grüne) zu Syrien-Konflikt
"Genau da versagt die Außenpolitik von Heiko Maas"

Grünen-Politiker Jürgen Trittin vermisst eine klare Sprache von Bundesaußenminister Heiko Maas im Zusammenhang mit den Kämpfen im Norden Syriens. "Es ist bis heute von ihm nicht zu hören gewesen, dass dieser Krieg tatsächlich völkerrechtswidrig ist", sagte Trittin im Dlf.

Jürgen Trittin im Gespräch mit Mario Dobovisek |
Jürgen Trittin (Grüne) spricht im Bundestag, das Bild rechts wird unscharf
"Hier ist klare Sprache und neben der klaren Sprache auch entsprechende Konsequenzen angesagt", sagte Jürgen Trittin (Grüne) im Dlf (dpa/Ralf Hirschberger)
Mario Dobovisek: Die Waffen sprechen in Syrien - nach dem langen Bürgerkrieg nun auch der Krieg zwischen türkischen Truppen und kurdischen Milizen, die wiederum von syrischen Soldaten unterstützt werden, weil die bisherigen Verbündeten, die USA, sich zurückgezogen haben. Russland steht bereit, um in die Lücke zu springen, schickt Truppen und Diplomaten.
Sprechen möchte ich jetzt mit Jürgen Trittin, Außenpolitiker der Grünen im Bundestag und dort auch stellvertretender Vorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe. Ich grüße Sie, Herr Trittin!
Jürgen Trittin: Guten Morgen!
"Hauptgewinner ist Russland"
Dobovisek: Syrien hat sich schon lange mit Russland verbündet. Auch die Türkei ist zum Partner geworden, zuletzt sogar mit russischen Waffenlieferungen. Moskau ruft beide Seiten jetzt zur Zurückhaltung auf, wir haben es gehört. Hat Russland das Potenzial zu einen oder eher weiter zu spalten?
Trittin: Russland versucht, das einzufahren, was Ergebnis des Syrien-Krieges ist, nämlich dass Assad, dass die Russen im Bündnis mit den Iranern gewonnen haben. Russland weiß, dass man Syrien dauerhaft nicht regieren kann, wenn man nicht einen Schritt auf die sunnitisch, man muss hinzufügen, Mehrheitsbevölkerung zugeht. Deren Schutzmacht ist jedenfalls eingeschränkt die Türkei. So ist das nach dem Rückzug der Amerikaner, was sich dort jetzt abspielt, zu sehen als eine Arrondierung unter den Kriegsgewinnern, wer was bekommt, und der Hauptgewinner ist in der Region in der Tat Russland.
Nahostexperte Lüders zur türkischen Syrien-Offensive - "Den Preis zahlen am Ende wir Europäer"
Der Nahost-Experte Michael Lüders kritisiert die fehlende Strategie der EU in der Region. 800.000 syrische Flüchtlinge in Deutschland seien das Ergebnis einer unüberlegten Interventionspolitik, sagte er im Dlf. Dennoch übten die Europäer keinen Druck auf die Türkei aus, den Einmarsch in Syrien zu beenden.
Dobovisek: Jetzt gibt sich Russland ja ganz offensiv als Vermittler in der Region. Wie klingt das für Sie?
Trittin: Wenn der Brandstifter dann anschließend beim Löschen versucht, ein bisschen beizutragen, dann ist das ein bisschen zynisch. Aber es ist in der Tat so, dass offensichtlich der Einsatz von russischer Militärpolizei darauf abzielt, es zu einer direkten Konfrontation zwischen syrischen Truppen und regulären türkischen Truppen nicht kommen zu lassen. Die Kämpfe am Boden werden dann von Milizen, dschihadistischen Milizen, die im Bündnis mit der Türkei sind, und den kurdischen Kräften ausgetragen.
Dobovisek: Wenn Sie schon über einen Brandstifter reden, gibt es dann möglicherweise auch einen Brandbeschleuniger, nämlich den Rückzug der US-Truppen?
Trittin: Ohne Zweifel hat der Rückzug der USA dieses ermöglicht. Über Jahre hinweg haben wir erlebt, dass es über Syrien eine, zwischen den USA und Russland im Grunde genommen vereinbarte Lufthoheit gegeben hat. Man hat sich die Aufgaben aufgeteilt. Im Bereich des westlichen Syriens waren die Russen die Uneingeschränkten, im östlichen Teil waren es die Amerikaner, die ja auch über dem Irak entsprechend vertreten sind. Mit dem Rückzug aus dem östlichen Teil Syriens haben die Amerikaner den Weg dafür freigemacht. Dass die USA das machen, das war mit Sicherheit nicht im Interesse des US-Generalstabs, der diese Politik lange Zeit betrieben hat, sondern ist auf die esoterische Weisung des US-Präsidenten zurückzuführen.
Ergebnis einer strategischen Neuorientierung der USA
Dobovisek: Aber wäre es denn gefährlicher, dass diese Lücke weiter klaffen würde, als tatsächlich die Tatsache, dass Russland jetzt in diese Lücke reinspringt und sich zur Ordnungsmacht in der Region erhebt?
Trittin: Jedes Vakuum erzeugt neue Kräfte an dieser Stelle und das ist das, was wir erleben. Wir erleben eigentlich im Kleinen und im Brutalen ein Ergebnis einer strategischen Neuorientierung der Vereinigten Staaten, die lange Zeit ja in dieser Region (unter anderem, weil sie die Ölversorgung letztendlich der Weltwirtschaft damit kontrolliert haben) dort massiv präsent gewesen sind. Der Rückzug aus dieser Region hat nicht unter Donald Trump begonnen; der hat sehr viel früher begonnen. Der hat etwas zu tun mit dem Scheitern der USA im Irak. Aber es hat auch viel damit zu tun, dass die USA über Fracking und andere Methoden mittlerweile auf die Versorgung von Öl aus dem Mittleren Osten nicht mehr angewiesen sind.
In diesen strategischen Rückzug stößt jetzt Russland rein. Russland hat darüber hinaus auch natürliche Interessen, beispielsweise in dieser Region ein Player zu sein, denn Russland ist ja neben Saudi-Arabien einer der größten Öl- und einer der größten Gasproduzenten.
Dobovisek: Genauso gut hätte auch die Europäische Union einspringen können. Aber die EU-Staaten handeln nicht, verurteilen bloß. Ein Fehler, Herr Trittin?
Trittin: Die Europäer könnten in dieser Situation sich einmal ein Vorbild an den USA nehmen. Wenn ich mir angucke, was im US-Kongress diskutiert und im Repräsentantenhaus mittlerweile beschlossen worden ist; dagegen sind diese windelweichen Formulierungen, die Heiko Maas für Deutschland verkündet hat, dass man neue Waffen nicht liefern würde, wenn sie denn möglicherweise benutzt werden können in Syrien, ziemlich harmlos. Die USA haben verstanden, wenn man Erdogan und die Türkei zu einer Umkehr ihrer Politik bringen will, dass man in dieser Situation dann tatsächlich ernste ökonomische …
Dobovisek: Klare Kante gegenüber Erdogan in Ankara?
Trittin: Ja! Das hieße zum Beispiel, dass in Deutschland keine Investitionen und keine Exporte mehr mit Hermes-Garantien versehen werden. Das ist eine Sprache, die Herr Erdogan schon mal ganz gut verstanden hat, und das ist in dieser Situation mehr als überfällig. Genauso wie die USA ja komplett ausgeschlossen haben die Türkei von jeder Informationszusammenarbeit im Rahmen der Koalition der Willigen gegen den IS. Ich kann, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen, warum in dieser Situation der Deutsche Bundestag in der nächsten Woche ein Mandat verabschieden soll, wo dann wieder Tornados über Syrien und über dem Irak Aufklärungsfotos liefern sollen, von denen man nicht weiß, wie mit diesen Aufklärungsfotos umgegangen wird.
Ihm hat der Mut gefehlt, eine Antwort zu geben
Dobovisek: Jetzt haben Sie gerade den Bundesaußenminister Heiko Maas kritisiert. Das tut ja auch Erdogan in Ankara auf offener Bühne, nennt Maas einen Dilettanten, gerade wegen seiner Haltung zu den Waffenlieferungen, zum Waffenembargo. Würden Sie da Erdogan ausnahmsweise mal recht geben?
Trittin: Gegen solche Beleidigungen würde ich den deutschen Außenminister in Schutz nehmen. Ich finde nur, dass ihm hier bisher auf der anderen Seite der Mut gefehlt hat, auf diese Provokationen, die aus Ankara kommen, tatsächlich eine konsistente Antwort zu geben. Es ist bis heute von ihm nicht zu hören gewesen, dass dieser Krieg tatsächlich völkerrechtswidrig ist. Ich finde, man kann es einem NATO-Mitgliedsstaat nicht durchgehen lassen, dass sie einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg machen, der darauf zielt, ethnische Vertreibung durchzuführen. Nichts anderes ist es, was die Türkei in Afrin gemacht hat und was sie jetzt in Nordsyrien vorhat. Hier ist klare Sprache und neben der klaren Sprache auch entsprechende Konsequenzen angesagt, und genau da versagt die Außenpolitik von Heiko Maas. Und das sage ich ungeachtet, dass solche Beleidigungen wie aus Ankara unflätig sind.
Dobovisek: Sie haben gerade die NATO-Mitgliedschaft der Türkei angesprochen. Das müssen wir in diesen Tagen ja auch unterstreichen. Eigentlich ist die Türkei ein NATO-Partner, ein Mitglied. Die USA haben gestern erst eine NATO-interne Informationssperre gegen die Türkei verhängt, weil man vermutet, Ankara würde die Daten aus dem Kampf gegen den IS nun auch im Kampf gegen die Kurden verwenden. Gleichzeitig kauft Ankara Waffen in Moskau ein, eigentlich ein No Go für die NATO. Ist dies das Ende der NATO-Mitgliedschaft der Türkei?
Trittin: Es ist jedenfalls schwer erträglich und mein Eindruck ist, dass ein Teil des Geeieres deutscher Außenpolitik damit zu tun hat, dass man fürchtet, dass die Türkei endgültig aus der NATO austreten will. Aber man muss sich doch klarmachen: Haben wir eigentlich aus der Geschichte der NATO nichts gelernt? Damals, als in der NATO Diktaturen wie das faschistische Spanien und das faschistische Portugal waren, als in Griechenland das Militär geputscht hat, da hat man großzügig darüber hinweggesehen. Man hat sich anschließend vorgenommen, dass so etwas nicht wieder passiert, dass die NATO mehr ist als ein reines Verteidigungsbündnis.
Dobovisek: Und trotzdem, Herr Trittin, wenn ich da noch mal einhaken darf, weil Sie gerade das Herumgeeiere, wie Sie sagen, angesprochen haben. Das hat ja einen ganz realpolitischen Grund. Die Türkei hat eine strategische Position und es geht natürlich auch um Flüchtlinge.
Türkei von Europa sehr viel mehr abhängig als umgekehrt
Trittin: Es hat einen realen Grund und der wirkliche Grund ist weniger die Flüchtlinge als der Umstand, dass man fürchtet, dass die Türkei sich noch weiter von der NATO entfernen kann. Ich glaube aber, dass man dieser Furcht mit Verhandlungen begegnen muss und nicht, indem man wie das Kaninchen auf die Schlange starrt. Das heißt in meinen Augen, die Türkei ist ökonomisch von Europa komplett abhängig, und hier ihr zu zeigen, wenn ihr aus dieser Allianz ausscheidet, dann seid ihr nicht mehr in dem ökonomischen Verbund Europas eingebaut, das ist eigentlich die richtige Antwort. Das ist der Weg zu verhindern, dass die Türkei abdriftet in die Shanghai Corporation oder andere militärische Bündnisse.
Dobovisek: Aber eine Drohkulisse seitens der Europäer könnte in Ankara auch nach hinten losgehen.
Trittin: Natürlich kann so etwas immer nach hinten losgehen. Aber ich verweise mal darauf, dass die USA wegen der Inhaftierung eines Pastors die Türkei mit sehr ernsten Sanktionen überzogen haben – ein vergleichsweise kleiner Anlass, der aber sehr schnell dazu geführt hat, dass die Türkei in dieser Frage beigedreht ist. Und ich glaube, das zeigt, dass die Türkei von Europa sehr viel mehr abhängig ist als umgekehrt. Man soll dieser Selbstdarstellung von Ankara und Erdogan, sie könnten Europa erpressen, nicht einfach leichtfertig auf den Leim gehen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.