Freitag, 19. April 2024

Archiv

Forderungen der Hohenzollern
"Unrühmlichere Kapitel der deutschen Geschichte"

Wer mit den Nazis kollaboriert habe, habe Rechtsansprüche verwirkt, sagte der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse im Dlf zu Entschädigungsforderungen der Hohenzollern. Ihr Reichtum sei durch die Untertanen finanziert worden - jetzt sollten deutsche Staatsbürger erneut zur Kasse gebeten werden.

Wolfgang Thierse im Gespräch mit Christoph Heinemann | 25.07.2019
Wolfgang Thierse
Wolfgang Thierse, ehemaliger Bundestagspräsident, hält die Frage nach politischer, moralischer Gerechtigkeit für ausschlaggebend bei der Beurteilung einer Entschädigung für die Hohenzollern (imago/IPON)
Christoph Heinemann: Kurt Tucholsky hat einmal angemerkt, Kaiser Wilhelm II. sei wohl der einzige deutsche Familienvater, der sechs Jungs gesund aus dem Ersten Weltkrieg zurückbekommen habe. Seit Jahren verhandeln die Nachkommen des Monarchen mit dem Bund und den Ländern Berlin und Brandenburg über die Rückgabe von Kunstschätzen, historischen Zeugnissen und Dokumenten von erheblichem Wert. Gefordert werde auch ein dauerhaftes unentgeltliches Wohnrecht im Schloss Cäcilienhof oder einer anderen ehemaligen Liegenschaft der Kaiserfamilie. Das berichtete der "Spiegel". Die Ururenkel von Kaiser Wilhelm blicken nicht nur in die östlichen Landesteile. Kürzlich wies das Landgericht Koblenz den Anspruch von Georg Friedrich Prinz von Preußen auf die Burg Rheinfels im rheinland-pfälzischen Sankt Goar zurück. Gestern fand ein weiteres Gespräch statt, anschließend hieß es, die Positionen lägen noch weit auseinander.
- Am Telefon ist jetzt Wolfgang Thierse, SPD, der ehemalige Präsident des Deutschen Bundestages. Guten Morgen!
Wolfgang Thierse: Guten Morgen, Herr Heinemann!
Heinemann: Herr Thierse, sollte der Bund und sollten die betroffenen Länder ehemaligen Besitz der Hohenzollern an die Erben zurückgeben?
Thierse: Die Frage ist da, aber die Antwort nicht zu eindeutig. Ich neige dazu, zu sagen nein, denn man muss sich erinnern, dass wir diesen Streit haben, ist die Folge einer, wie soll ich das nennen, inkonsequenten Revolution von 1918. Ich erinnere mich daran, wie mein Vater uns jungen jugendlichen Kindern mehrfach, sogar immer noch mit dem Ton der Empörung erzählt hat, dass in den 20er-Jahren ein Volksentscheid über die Fürstenenteignung gescheitert ist, weil eine Mehrheit unter den Deutschen sich nicht fand. Er erzählte dann auch, dass die Hohenzollern ja gleich drei ganze Züge mit Schätzen bekommen haben. Die fuhren nach Holland zum Sitz der Hohenzollern. Ich erinnere mich daran, dass die Empörung meines Vaters über Jahrzehnte angehalten hat und man sich doch auch jetzt angesichts der offensichtlich komplizierteren Rechtslage schlicht danach fragen darf, woher kommen eigentlich diese Reichtümer der Hohenzollern? Wer hat sie denn finanziert: Es waren doch die preußischen Untertanen, die deutschen Staatsbürger. Und jetzt sollen sie noch mal zur Kasse gebeten werden. Also die Rechtsfrage ist das eine, und die Frage nach politischer, moralischer Gerechtigkeit ist eine ganz andere.
Heinemann: Welche Frage sollte den Ausschlag geben?
Thierse: Die Letztere natürlich.
Heinemann: Die Rechtsfrage.
Thierse: Nein, die Frage nach der politisch-moralischen Gerechtigkeit.
Heinemann: Aber muss nicht ein Rechtsstaat nach rechtsstaatlichen Kriterien eine solche Frage beurteilen?
"Wer mit den Nazis kollaboriert hat, hat Rechtsansprüche verloren"
Thierse: Richtig, muss er, aber dabei spielt auch eine Rolle, wie es zu diesem Eigentum gekommen ist. Es spielt eine Rolle, dass auch im Jahr spätestens 1994 noch einmal festgestellt worden ist, wer mit den Nazis kollaboriert hat, hat Rechtsansprüche verloren. Das galt 1945, das galt beim Einigungsvertrag, das spielt eine Rolle bei all diesen Regelungen von Eigentumsfragen. Und das sollte doch auch für die Hohenzollern gelten, denn sie sind nichts Besonderes, sie sind jetzt Bürger unter Bürgern. Wir leben nicht mehr in einer Monarchie und schon gar nicht in einer absoluten Monarchie.
Heinemann: Herr Thierse, bei der rechtlichen Bewertung, Sie haben das angesprochen, wird eine Rolle spielen, ob die Hohenzollern dem nationalsozialistischen Regime Vorschub geleistet haben. Ist diese Frage eindeutig beantwortet?
Thierse: Ich bin nicht Historiker, aber das Wenige, was ich darüber weiß, ist, dass mindestens der Sohn, also der Thronfolger eine höchst unrühmliche Rolle gespielt hat. Das wird zu bewerten sein. Er hat sich ja gebrüstet dafür, dass er Hitler zwei Millionen Wähler eingebracht hat, nämlich all diejenigen, die noch in irgendeiner Weise Royalistenanhänger des Kaisertums waren.
Heinemann: Wie weit können denn Bund und Länder den Hohenzollern entgegenkommen?
"Ein Grad von Unverschämtheit"
Thierse: Wenn man bedenkt, dass die Forderungen ja ein Grad von Unverschämtheit erreicht haben – sie sind ja aufgezählt worden –, dann bewirkt das, dass ganze Museen bedroht sind in ihren Inhalten. Das, was in den letzten vielen Jahrzehnten der Staat geleistet hat, die Kunstschätze ausgestellt hat, das heißt also auch betreut hat, gepflegt hat, all das soll keine Rolle mehr spielen. Ich habe den Eindruck, dass das Haus Hohenzollern das zurückhaben will, um es zu Geld zu machen. Man erinnere sich ja daran, dass es schon einmal eine Auktion gegeben hat, wo nicht etwa Herr von Preußen die Schätze, die er da dem Auktionator übergeben hat, erst in Deutschland angeboten hat, deutsche Museen, sondern da, wo er möglichst viel Geld erzielt hat. All das gehört mit zur Bewertung des Verhaltens dieses Hauses.
Heinemann: Aber das wäre doch das gute Recht des Eigentümers.
Thierse: Ja, ich sage noch einmal, man darf doch wohl fragen danach, wie dieses Eigentum zustande gekommen ist. Das Haus Hohenzollern ist von Steuerzahlern bezahlt worden in seinem Leben. Das muss man bedenken, sonst kommen wir in Teufels Küche, wenn wir sagen, das spielt gar keine Rolle mehr, wie jemand zu seinem Eigentum gekommen ist, zu diesen irrsinnigen Reichtümern.
Heinemann: Herr Thierse, die Erben des Kaisers können sich ja offenbar die Einrichtung eines Hohenzollernmuseums vorstellen. Wäre das eine mögliche Lösung? Das heißt, man kann ihnen ihr Eigentum zurückgeben oder einen Teil davon, und sie stellen es der Allgemeinheit rechtsverbindlich zur Verfügung.
Thierse: Ja, aber sie haben diesen Vorschlag ja schon verdorben mit der Idee, dass sie dann darauf Einfluss haben müssten. Also sie wollen Deutungsmacht über die Geschichte der Hohenzollern.
Heinemann: Das haben sie jetzt gerade noch mal zurückgewiesen, dass sie das eben nicht wollten.
Thierse: Wir werden sehen, aber jedenfalls ist es doch so, dass eine Reihe von Dingen, die ursprünglich mal zu den Hohenzollern gehörten, ja ausgestellt werden in Charlottenburg. Das gibt es ja alles schon. Was muss man daran ändern?
Heinemann: Genau.
Thierse: Und wenn man das sozusagen wegnimmt, zerstört man, wie gesagt, Museen. Ich denke an das Grunewald-Museum, im Schloss Charlottenburg gibt es wichtige Dinge aus Hohenzollern. Es ist doch nicht so, dass die Bundesrepublik Deutschland die Geschichte Preußens, damit indirekt oder direkt auch der Hohenzollern, nicht ausgestellt hat, nicht dargestellt hat, nicht angemessen gewürdigt hat. Das ist doch falsch. Wer jetzt etwas anderes verlangt, dem geht es offensichtlich doch mehr um Eigentum und damit, das heißt, natürlich auch im Geld.
Heinemann: Aber gerade da macht das Haus Hohenzollern geltend, dass es seit Jahrzehnten als größter Leihgeber der preußischen Schlösserverwaltung und Stiftungen gelte. Haben die Hohenzollern damit nicht ihren guten Willen unter Beweis gestellt?
Thierse: Ja, aber wenn sie ihn jetzt durch seine Forderungen, durch die Forderungen, die jetzt laut geworden sind, diesen guten Willen widerlegen, dann muss man das doch auch berücksichtigen.
"Am Schluss eher problematische Rolle des Hauses"
Heinemann: Wofür stehen für Sie die Hohenzollern in der deutschen Geschichte?
Thierse: Für einen sehr widersprüchlichen Teil unserer Geschichte, wie überhaupt für die widersprüchliche deutsche Geschichte. Man wird doch nicht nur an die Rolle des Hauses im Zusammenhang mit Hitler erinnern dürfen, sondern auch die Rolle des Kaisers beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, die Rolle des letzten Kaisers überhaupt bei der Militarisierung Deutschlands, bei der Umwandlung Deutschlands in einen imperialistischen Staat. Das sind doch unrühmlichere Kapitel der deutschen Geschichte. Also man darf sich nicht nur auf Friedrich den Großen beziehen und auf eine Reihe anderer nicht unwichtiger Könige, sondern auch insgesamt am Schluss auf die eher problematische Rolle des Hauses.
Heinemann: Aber sie stehen eben auch, oder die Geschichte steht eben auch für die Förderung von Wissenschaft und Kunst, für Toleranz, für Bescheidenheit im Sinne einer Königin Luise. Wie sehr ist das Bild von Preußen …
Thierse: Ja, aber von Bescheidenheit ist doch jetzt offensichtlich nicht mehr die Rede.
Heinemann: Ja, aber wie sehr ist das Bild von Preußen und von den Hohenzollern vielleicht von den Siegermächten des Zweiten Weltkriegs geprägt worden?
Thierse: Ja, auch das ist nicht falsch. Schließlich ist die deutsche Geschichte nicht als logische Konsequenz preußischer Geschichte in der Katastrophe gelandet. Das muss man mitbedenken, und das ist der Schnitt in der deutschen Geschichte. Ich sage noch einmal, dass wir es jetzt mit solchen Schwierigkeiten zu tun haben, ist auch die Folge einer inkonsequenten Revolution von 1918. In anderen Ländern ist das anders geregelt worden.
Heinemann: Die können wir heute früh beide nicht rückgängig machen. Herr Thierse, die Gespräche zwischen Bund, den beiden Ländern und dem Haus Hohenzollern finden ohne Pressebegleitung statt. Sollte die Öffentlichkeit mehr über diese Verhandlungen erfahren?
Thierse: Also, dass Verhandlungen ohne Pressebegleitung stattfinden, halte ich schon für vernünftig. Ich wünsche mir auch, dass man sich einigt, dass man sich gütlich einigt, aber ich wünsche mir auch, dass politisch-moralische Gesichtspunkte bei der Bewertung des Ganzen eine ebenso große Rolle spielen wie die im engeren Sinne juristischen Fragen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.