Simon: Frau Frassoni, die Türkei hat spät, aber dann sehr energisch angefangen, die selber gelegten Steine auf dem Weg nach Europa zur Seite zu räumen. In der Folge empfahl die Kommission letzte Woche, Beitrittsverhandlungen mit der Türkei aufzunehmen. Wenn Sie sich jetzt die negativ entsetzten Reaktionen in vielen Teilen von EU-Europa ansehen, kam diese Empfehlung zu früh für Europa?
Frassoni: Nein, ich glaube wirklich nicht. Ich glaube das war die richtige Stufe im richtigen Moment. Natürlich können wir eigentlich nicht sagen, dass die Verhandlungen mit der Türkei einfach und schnell sein werden, aber jetzt war es sehr wichtig, ein Signal zu geben, dass diese Verhandlungen stattfinden können. Dann werden wir sehen, aber jetzt war der Moment, dieses Signal zu geben.
Simon: Aber hätte es vielleicht parallel zu dem Bericht "Ist die Türkei reif für die EU" auch noch einen gebraucht, ob die EU reif ist für die Türkei?
Frassoni: Natürlich, aber das ist nicht ein Problem für die Türkei, um es einmal so zu sagen. Wir haben immer gesehen, dass die Europäische Union besser ist, wenn sie unter Druck steht, und ich glaube, dass man das besser organisiert, wenn ein positiver Druck auf die Europäische Union besteht.
Simon: Wenn Sie das so sagen, ist denn Ihrer Meinung nach die Ablehnung, die viele Bürger gegenüber allein der Idee eines EU-Beitritts haben, so etwas Fundamentales, was man einfach akzeptieren wird, das wird sich nicht ändern, oder ist das auch eine Unsicherheit und Angst in einem Moment, wo gerade die Union zehn neue Mitglieder bekommen hat?
Frassoni: Ich glaube das hat mehr mit dem zu tun, was die Türkei ist. Es ist ein muslimisches Land und das ist natürlich neu für die Europäische Union oder sagen wir mal ungewöhnlich und es gibt jetzt eine große Angst gegen die islamische Kultur allgemein. Ich glaube wir, aber auch die türkische Regierung und die türkische Bevölkerung werden eine lange Arbeit haben, um die Leute davon zu überzeugen, dass ein islamisches Land oder ein muslimisches Land auch demokratisch gerechtfertigt sein kann und seine positive Arbeit für die Integration in Europa machen kann. Ich glaube wir müssen die Leute davon überzeugen. Wir müssen sie nicht zwingen.
Simon: Was halten Sie denn von den zunehmenden Rufen wie zum Beispiel derzeit auch sehr laut in Deutschland nach einem Referendum in verschiedenen Ländern - in Frankreich gibt es das auch - über diesen Beitritt?
Frassoni: Ich glaube, dass hier 10, 12 oder 15 Jahre vergehen werden. Wir werden in dieser Zeit sicherlich diskutieren. Ich glaube aber, dass alle Referenden, die mit Europa zu tun haben, nur akzeptabel sind, wenn sie rechtseuropäisch sind. Es macht eigentlich keinen Sinn, ein Referendum über die Türkei nur in einigen Ländern zu machen. Ich bin eigentlich ziemlich gegen die Idee, ein Referendum über die Türkei zu machen, aber wenn, dann werden wir das natürlich in zehn oder was auch immer Jahren diskutieren, wenn die Verhandlungen fertig sein werden.
Simon: In Deutschland gibt es Politiker die sagen, ein Referendum gegen oder für einen EU-Beitritt der Türkei wäre im Prinzip nichts anderes als eine Aktion "bitte unterschreiben sie hier, wenn sie gegen die Türken sind". Ist das auch der Grund, warum Sie gegen ein Referendum sind?
Frassoni: Es ist einer der Gründe, aber wie gesagt ich glaube, dass ein Referendum für europäische Themen eine europäische Dimension haben muss. Das heißt die Mehrheiten müssen nicht national kalkuliert werden, sondern europäisch. Jetzt ist diese Geschichte des europäischen Referendums vielleicht noch nicht fertig. Aber wie gesagt: Jetzt sprechen wir über die Eröffnung des Beitrittsprozesses und nicht über das Ende und das Referendum ist natürlich etwas, was für das Ende ist.
Simon: In Österreich beispielsweise, wenn wir jetzt auf die Regierungsebene gehen, ins Parlament, da ist die Regierung, aber auch die SPÖ-Opposition gegen einen solchen EU-Beitritt der Türkei, auch wenn er in weiter Zukunft liegt, unter anderem zum Beispiel auch Mitglieder der Grünen-Fraktion im Europaparlament aus Österreich. Erwarten Sie, dass sich dieser Haltung noch mehr Länder in Europa offen anschließen?
Frassoni: Ich glaube es gibt wie gesagt viele Ängste und Zweifel über die Türkei und ich glaube, dass der Prozess beginnen muss, und dann müssen wir sehen wie es geht. Deswegen glaube ich, dass die Konditionen, die die Kommission für die Verhandlungen aufgestellt hat, wichtig sind. Wir müssen frei sein, diese Verhandlungen zu unterbrechen, und wir müssen frei sein zu sehen, wie es geht. Wir müssen nicht sagen "Verhandlungen egal - Beitritt". Ich glaube das ist genau das, was wir brauchen, um die Leute wirklich zu überzeugen, wenn es richtig ist, dass die Türkei hinein kommt, und auch ein wenig die Europäische Union unter Druck zu stellen, eine weitere Reform der Union zu erreichen. Ich glaube, dass dann auch unsere grünen österreichischen Freunde mit uns sein werden.
Simon: Frau Frassoni, die aktuelle Debatte um EU und Türkei ist gestern in Ihrer Heimat Italien, aber vor allem in Brüssel verdrängt worden von einem Votum des zuständigen EU-Parlamentsausschusses, das den designierten Innen- und Justizkommissar Rocco Buttiglione angehört und dann im abschließenden Votum knapp hat durchfallen lassen. Dieser Parlamentsausschuss verlangt von Manuel Barroso, dem designierten EU-Kommissionspräsidenten, dass er Buttiglione ein anderes Portfolio, also andere Zuständigkeiten als Innen und Justiz zuweist. Zurecht?
Frassoni: Der Ausschuss hat eigentlich gesagt, dass Buttiglione nicht da sein muss, weil auch der Vorschlag, ihm ein anderes Portfolio zu geben, nicht akzeptiert worden war. So hat Herr Barroso jetzt eine schwierige Situation. Das heißt er muss wählen, ob er dem Vorschlag, über die Unfähigkeit dieses Ausschusses zu entscheiden, ob Herr Buttiglione gut ist oder nicht, folgt oder nicht. Das wird natürlich ein Problem für ihn sein. Ich glaube er sagt das zurecht, weil Herr Buttiglione sicherlich ein sehr kompetenter Mensch ist, aber er hat wirklich total unterschätzt, dass einige Ideen über Homosexuelle oder auch über das Familienrecht zu weit abweichen von der Mehrheit der Europäer, um ihm diese Zustimmung zu geben. Ich glaube aber es ist vielleicht ein wenig Pech, dass die Buttiglione-Gegschichte ein wenig gesteckt hat, dass auch einige andere Kommissare sehr schlimm sind.
Simon: Sehr schwach oder sehr schlimm?
Frassoni: Schwach und auch nicht kompetent sagen wir, um ein wenig mehr diplomatisch zu sein. Zum Beispiel Herr Dimas für die Umwelt oder Kovacs für die Energie oder die Kommissarin für die Konkurrenz - das ist ein sehr wichtiges Portfolio - sind alles Leute, die echte Probleme der Kompetenz haben. Es ist vielleicht ein wenig Pech, dass sich alles auf Herrn Buttiglione konzentriert hat.
Simon: Sie sagen Pech, aber wird das, wenn man die Gesamtheit dieser Probleme ansieht, noch eine Machtprobe zwischen dem Parlament und der Kommission geben, oder wird es letztlich dann doch Zustimmung durchs Parlament bekommen?
Frassoni: Ich habe den Eindruck, dass das Europäische Parlament nicht den Mut haben wird, um einen echten Konflikt mit der Kommission und mit Herrn Barroso zu führen. Wenn die Grünen natürlich die Mehrheit hätten, dann wäre das eine andere Geschichte.
Simon: Also Sie glauben im Endeffekt wird das Parlament sagen OK, wir akzeptieren die Kommission so wie vorgeschlagen von Herrn Barroso?
Frassoni: Das weiß ich nicht. Wir haben die sozialistische und die liberale Fraktion gefragt, wenn Herr Barroso nichts über Herrn Buttiglione macht, die Folgen dieses Benehmens zu nehmen und gegen die ganze Kommission zu stimmen. Aber wir werden nächste Woche in Straßburg sehen, wie sich die Fraktionen darüber entscheiden werden.
Simon: Sie haben ein schlechtes Gefühl, aber es könnte doch noch etwas passieren?
Frassoni: Europa ist nicht immer einfach vorherzusehen. Wir werden sehen! Wir als Grüne müssen auch eine echte politische Kampagne führen und auch eine Allianz im Parlament finden. Das Problem ist natürlich nicht nur Herr Buttiglione. Es gibt auch andere Probleme bei den Kommissaren.
Simon: Ganz herzlichen Dank! - Das war Monica Frassoni, die Fraktionsvorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament. Auf Wiederhören!
Frassoni: Auf Wiederhören!