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"Formal kann man an dieser Maßnahme wenig aussetzen"

Die Entscheidung von Außenminister Fischer, den Botschafter Frank Elbe wegen seiner Kritik an der Nachrufpraxis im Auswärtigen Amt in den vorzeitigen Ruhestand zu versetzen, ist nach Ansicht des ehemaligen deutschen Botschafters Dietrich von Kyaw verständlich. Elbe sei zu weit gegangen. In der Visa-Affäre wirft von Kyaw dem Minister allerdings eine "Verletzung der Fürsorgepflicht", und "schlechte Politik" vor.

Moderation: Jochen Spengler |
    Spengler: Gestern Abend wurde bekannt, dass Außenminister Joschka Fischer den deutschen Botschafter in der Schweiz, Frank Elbe, in den vorzeitigen Ruhestand versetzt hat. Der 63-jährige Elbe will sich juristisch wehren gegen diese Maßnahme auf Kosten des Steuerzahlers. Der Sache vorausgegangen war der Streit um das Gedenken an verstorbene Diplomaten. Fischer hatte die Nachrufe auf Diplomaten in einer Hauszeitung des Auswärtigen Amtes gestoppt, nachdem auch ein wegen Kriegsverbrechen in der Nazizeit verurteilter Ex-Konsul geehrt worden war. Botschafter Elbe hatte die Änderung der Gedenkpraxis kritisiert. Ein Brief, in dem er Fischer mangelnde Sensibilität im Umgang mit dieser Frage vorwarf, war in der Bild-Zeitung veröffentlicht worden. Am Telefon ist nun der ehemalige deutsche Botschafter bei der Europäischen Union, Dietrich von Kyaw, der uns helfen wird, diesen Vorgang einzuordnen. Herr von Kyaw, Botschafter Elbe hat Fischer miserables Krisenmanagement, Spaltung des Auswärtigen Amtes, bürokratische Schlampigkeit und Mangel an politischer Empfindsamkeit vorgeworfen. Das sind ja nun schon heftige Vorwürfe und keine Kleinigkeiten mehr. Und die waren auch nicht sehr diplomatisch. Hat er damit eine "erlaubte" Grenze überschritten?

    Von Kyaw: Also abgesehen davon, dass man diese ganze Nachrufgeschichte einordnen muss in auch andere Dinge, die passiert sind, wie Visa-Affäre, Missachtung von Protesten der Botschafter, ist der Fall Elbe insofern ein besonderer - Botschafter, die im Amt sind, Diplomaten, die im Amt sind, müssen Proteste anbringen können, Vorbehalte, wenn sie mit der Linie des Ministers nicht einverstanden sind. Aber das muss intern geschehen. Er hat hier doch eine Regel, die für den beamteten, aktiven Botschafter gilt, bewusst oder unbewusst - eher wohl doch bewusst, aus meiner Sicht, aber ich bin mit den Details nicht bewandert - verletzt und insofern kann man dem Minister zumindest keinen Vorwurf daraus machen, aus dieser Tatsache.

    Spengler: Mit anderen Worten, der Botschafter war illoyal?

    Von Kyaw: Ja, er hätte nicht dazu beitragen dürfen, durch die Verteilung seines Briefes, dass er in die Öffentlichkeit gerät.

    Spengler: Nun sagt ja die Bild-Zeitung: Wir haben diesen Brief gar nicht von Botschafter Elbe, sondern der ist uns zugespielt worden.

    Von Kyaw: Das kann ich mir sehr wohl vorstellen. Das glaube ich auch, dass das stimmt, dass der Elbe das nicht direkt gemacht hat. Aber wenn man ihn an einen breiten Kreis verteilt, muss man mit dieser Möglichkeit rechnen - möglicherweise ist sie auch bewusst in Kauf genommen worden. Man hat ja Erfahrungen natürlich auch in der Visa-Affäre gemacht mit Protesten, die nichts bewirkt haben, weil dieser Minister - wenn man sich das so salopp mal vorstellen darf - halt so ist wie er ist.

    Spengler: Wie ist er denn?

    Von Kyaw: Na ja, er hat seine festen ideologischen Grundsätze, er hat auch eine gewisse hohe Meinung von sich und er interessiert sich nicht unbedingt für die Details. Zum Beispiel in dieser Nachruffrage - ich rede jetzt mal nicht von dieser ganzen, viel wichtigeren Visa-Affäre - aber in der Nachruffrage, da werden Klischees über die einstigen Amtangehörigen ausgebreitet. Wir haben jetzt im übrigen eine neue Nachrufpraxis entwickelt mithilfe des Personalrats. Der Minister hat, nachdem er anfänglich gesagt hat: Keiner kriegt einen, weil ja womöglich alle Nazis waren - was natürlich eine reizende Einstellung zum Auswärtigen Dienst ist -, jetzt kriegen wir alle einen Nachruf, aber der bringt nur die Fakten und die Adresse der Witwe. Also mir ist es völlig Wurscht, ich brauche keinen Nachruf vom Auswärtigen Dienst, ich weiß - und ich nehme an, viele meiner Kollegen auch -, was wir geleistet haben und da brauchen wir das nicht. Nur, es war mehr die Art und Weise. Aber lange Rede, kurzer Sinn: Der Herr Elbe ist etwas reichlich weit gegangen, das muss ich schon sagen, für einen Beamten, der im Dienst ist. Das kann sich ein Pensionär vielleicht leisten, der steht nicht in diesem engen Feld, der ist einfach ein Staatsbürger. Aber ein Beamter hat ein bestimmtes Treueverhältnis, selbst wenn die Loyalität des Beamten nicht nur von unten nach oben geht, sondern auch voraussetzt, dass der Minister von oben nach unten loyal ist. Das ist eine ganz andere Frage.

    Spengler: Also es war keine willkürliche Versetzung, das kann man nicht sagen. Es war eine angemessene Reaktion. Hätte es vielleicht auch eine andere angemessene Reaktion geben können? Also vielleicht irgendwie Sanktionsmaßnahmen, die nicht ganz so weit gehen?

    Von Kyaw: Aber natürlich, bloß das, das müssen Sie den Minister fragen. Dass er das so getan hat, entweder liegt das in seiner Persönlichkeitsstruktur - ich rede jetzt vom Minister - oder er hielt es für nötig, um sich durchzusetzen - und das kann man natürlich auch so und so auslegen. Ich kann nur sagen: Formal kann man an dieser Maßnahme wenig aussetzen.

    Spengler: Herr von Kyaw, aus Ihren Worten spricht eine gewisse Bitterkeit, woher kommt das?

    Von Kyaw: Ich bin enttäuscht, ich bin ein leidenschaftlicher Auswärtiger-Amts-Mann, wir haben als Nachkriegsgeneration - ich war zehneinhalb Jahre, als das Nazi-Regime vorbei war - wir haben dieses Land aufgebaut im Auswärtigen Amt, mit sehr viel Einsatz und zwar überall, im Kongo in schwierigsten Umständen Entwicklungshilfe bei der Wiedergutmachung, da war ich in Los Angeles Leiter der Konsularabteilung ...

    Spengler: ... aber das ist doch zweifellos, das wird doch anerkannt.

    Von Kyaw: Ja gut, aber wir hatten Vorgesetzte, die waren PGs, aber sie haben keine Vergehen begangen, sie waren Mitläufer ...

    Spengler: ... also sie waren Parteigenossen in der NSDAP.

    Von Kyaw: Richtig. Das war aus der damaligen Zeit, wenn die Betreffenden das in jungen Jahren gemacht hatten und nichts sich hatten dabei konkret zuschulden kommen lassen, kein Grund, sie nicht im Auswärtigen Amt voll einzusetzen, vorausgesetzt sie waren nicht nur kompetent, sondern sie waren auch moralisch einwandfrei und standen auf dem Boden des Grundgesetzes und der Demokratie und hatten ihre Lehre sozusagen verinnerlicht.

    Spengler: Sprechen Sie da auch von sich, waren Sie auch Parteigenosse?

    Von Kyaw: Dummerweise hatte ich die Gnade, oder Gott sei Dank hatte ich die Gnade der späten Geburt. Ich war - aber das ist natürlich sehr schrecklich - ein halbes Jahr Pimpf.

    Spengler: Aber Sie verstehen diejenigen, die einfach Mitläufer waren und das versucht haben, das nachher wieder gut zu machen?

    Von Kyaw: Ja, die gab es absolut. Das waren meine Staatssekretäre, waren meine Botschafter - waren übrigens meine Minister, die zum Teil noch leben, bei denen kommen dann natürlich große Nachrufe, das gilt ja nur für Beamte und Botschafter, nicht? Dass die alle mit sämtlichen Nazis aus ideologischen Gründen von gewissen spätgeborenen 68er-Typen über einen Leisten geschoren werden, deswegen meine Bitterkeit.

    Spengler: Und die ist auch nicht nur bei Ihnen offenbar...

    Von Kyaw: Die ist im Auswärtigen Amt. Wir werden ungerecht behandelt und wir werden kaputtgemacht. Wir werden in unserem Rückgrat kaputtgemacht, denn wir müssen uns zu unserer Geschichte bekennen können, nicht nur im Schlechten, sondern auch im Guten. Und das wird uns kaputtgemacht. Womit ich nicht meine, dass die Guten die PGs waren. Ich will nur sagen: Die, die die Demokratie aufgebaut haben, aus echter Überzeugung, die haben es verdient, dass sie anständig behandelt werden.

    Spengler: Dieser Fall von Herrn Elbe, was wird der nun im Auswärtigen Amt bewirken?

    Von Kyaw: Ach, ich glaube, der als solcher - es gibt viel Wichtigeres. Viel wichtiger ist die Visa-Affäre, wo die ganzen Proteste - da kann man auch der Meinung sein, warum nicht ein liberaleres Einwanderungsregime? Da gab es viele. Ich persönlich bin auch für ein liberaleres gegenüber der Ukraine und anderen. Nur, wenn es dann herauskommt, dass der Erlass, der da gemacht worden ist - im Zweifel für die Einreisefreiheit - Praktiken eröffnet, die sozusagen der Unzucht Tor und Türen öffnet, in jeder Hinsicht Missbrauch, und dann die Botschafter immer wieder schreibend darauf hinweisen und dann mehrere Jahre lang, zwei, drei Jahre lang - das wird der Untersuchungsausschuss klären - nichts geschieht, und diese Botschafter im Regen mit ihren Mitarbeitern stehen gelassen werden, dann ist das nicht nur eine Verletzung der Fürsorgepflicht, das ist schlechte Politik.