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Forscher: Weltklimarat unterschätzt Anstieg des Meeresspiegels

Den steilsten Anstieg des Meeresspiegels gibt es seit dem 20. Jahrhundert. Das haben Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) jetzt herausgefunden. Stefan Rahmstorf vom PIK sieht die Entwicklung pessimistisch, auch vor dem Hintergrund, dass der Weltklimarat den Anstieg des Spiegels unterschätzt.

Stefan Rahmstorf im Gespräch mit Jule Reimer | 21.06.2011
    Jule Reimer: Eine weitere Erwärmung des Klimas wird sich je nach Region in der Welt sehr unterschiedlich auswirken. Mal werden Dürren stärker auftreten, mal Überschwemmungen, so warnen die Klimaforscher. Ein Meeresspiegel-Anstieg aber wird alle Küstenbewohner weltweit treffen. Doch in welchem Ausmaß dies eintritt, da gibt es immer wieder unterschiedliche Prognosen. Forscher vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) wagen jetzt die verbindliche Aussage, dass seit Beginn der Industrialisierung der Meeresspiegel schneller als je zuvor in den vergangenen 2000 Jahren angestiegen ist. - Am Telefon bin ich mit Stefan Rahmstorf vom PIK verbunden. Herr Rahmstorf, Sie sind Ozeanograph und Sie haben auch am vierten Bericht des Weltklimarates IPCC mitgearbeitet. Wie kommen Sie zu Ihren Erkenntnissen?

    Stefan Rahmstorf: Ja, guten Tag, Frau Reimer! - Es handelt sich hier um Daten, die von amerikanischen Kollegen, die mit uns zusammenarbeiten, in Salzwiesen gewonnen worden sind, und zwar Daten über die Vergangenheit, über die letzten 2000 Jahre. Da kann man den Verlauf des Meeresspiegels rekonstruieren, wenn man in die Sedimente dieser Salzwiesen hineinbohrt. Das liegt einfach daran, dass wenn der Meeresspiegel ansteigt, dann wächst die Sedimentschicht langsam mit. Die Salzwiese folgt praktisch dem Meeresspiegel-Niveau.

    Reimer: Aber es gab ja in der jüngeren Geschichte immer wieder Veränderungen des Meeresspiegels. Wie sind Sie sicher, dass jetzt ein Zusammenhang zur Klimaerwärmung vorhanden sein könnte?

    Rahmstorf: Na ja, diese Meeresspiegel-Veränderungen der letzten zwei Jahrtausende, die wir hier sehen, die waren eben relativ gering. Der steilste Anstieg war verbunden mit der Warmphase im Mittelalter, so ab dem 10., 11. Jahrhundert nach Christus ist der Meeresspiegel um etwa 0,6 Millimeter pro Jahr angestiegen für etwa 400 Jahre. Das ist auch eine logische Folge dieser mittelalterlichen Warmphase, denn wenn das Klima warm ist, dann schmelzen Gletscher, es schmilzt Kontinental-Eis und das warme Meerwasser dehnt sich aus, und daher steigt dann der Meeresspiegel. Die Anstiegsrate, die wir aber jetzt beobachten, seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts, ist ein Mehrfaches größer, und wir haben das auch quantitativ untersucht, dass der Verlauf der letzten 1000 Jahre im Meeresspiegel eben sehr gut zu dem globalen Temperaturverlauf passt.

    Reimer: Wir wissen, wenn jetzt keine drastischen Klimaziele jetzt wirklich umgesetzt werden, dass wir mit einem Anstieg um unter Umständen drei, vier Grad zu rechnen haben. Was heißt das für den Meeresspiegel?

    Rahmstorf: Da ist ein gewisser wissenschaftlicher Umbruch im Gange. Wenn wir den Bericht des Weltklimarates, der 2007 erschienen ist, nehmen, dann wird davon ausgegangen, dass der Meeresspiegel wahrscheinlich eher so um einen halben Meter steigen wird bis Ende diesen Jahrhunderts. Die neueren Studien, die liegen aber eher bei einem Meter oder noch darüber. Das kann man eben noch nicht so genau vorhersagen, aber es gibt eben Anlass zu Pessimismus, dass der Weltklimarat das bislang unterschätzt hat, das Problem, weil die Methode, die der Weltklimarat benutzt hat, auch den vergangenen Meeresspiegel-Anstieg unterschätzt hat, während wir mit unserer Methode jetzt die letzten 1000 Jahre auch gut wiedergeben können, die vergangenen.

    Reimer: In Perus Hauptstadt Lima beraten derzeit Experten des Weltklimarates über technische Möglichkeiten zur Bekämpfung der Erderwärmung. Da gibt es Ideen wie die Einrichtung eines riesigen Sonnenschirms im Weltraum, oder die Düngung der Meere mit Eisenspänen. Sind das Mittel gegen den Klimawandel, gegen die Klimaerwärmung?

    Rahmstorf: Das glaube ich nicht. Ich denke, man muss vor allem zwei grundsätzliche Arten von Methoden unterscheiden: einmal den Versuch, die CO2-Menge in der Atmosphäre zu verringern. Dazu gehört dieses Eisendüngungs-Experiment. Da muss man einfach sehen, das funktioniert nicht nach den bisherigen Versuchen, die man damit gemacht hat. Es hat ja Eisendüngungs-Experimente im Ozean in kleiner Skala gegeben, die haben einfach nicht sehr viel CO2 gebunden. Die zweite Art von Methode ist zu versuchen, die Sonne irgendwie abzuschatten, eben zum Beispiel mit Spiegeln im All. Da muss man sagen, das ist höchst gefährlich, das wäre ein Vabanque-Spiel mit dem Klima, weil man dann eine instabile Situation schafft, wo einerseits jede Menge CO2 in der Luft ist, die versucht, das Klima aufzuheizen, andererseits steuert man bewusst gegen mit solchen Spiegeln oder dergleichen, und das muss man dann aber auch über Jahrtausende kontinuierlich machen, weil das CO2 so lange in der Luft bleibt. Das heißt, wir schaffen dann ein Klimasystem, das wir ständig für Jahrtausende aktiv regeln müssen und wo nicht mehr die normalen Selbstregelungsmechanismen funktionieren. Im Übrigen hätte man auch das Problem der Versauerung der Weltmeere ja nicht gelöst, wenn man das Klima nur kühlt, weil diese Versauerung ja direkt durch das CO2 verursacht wird.

    Reimer: Der Meeresspiegel ist stark angestiegen. Das war ein Gespräch mit Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Vielen Dank.

    Rahmstorf: Vielen Dank.