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"Forschung ist nicht alles"

Erzbischof Robert Zollitsch wünscht sich ein Verbot der embryonalen Stammzellforschung in Deutschland. Vor der Abstimmung des Bundestages über das Stammzellgesetz sagte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, der gute Zweck rechtfertige nicht jedes Mittel. Aus Sicht des katholischen Geistlichen verbietet die Würde des Menschen die Forschung an embryonalen Zellen.

Moderation: Stefan Heinlein |
    Stefan Heinlein: "Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen." So steht es in Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes. Doch die Realität ist eine andere. Im politischen Alltag regiert allzu oft der Fraktionszwang. Heute jedoch ist alles anders. Nur das Gewissen zählt und nicht die Partei. Einzeln und namentlich werden die Parlamentarier aufgefordert zu entscheiden über die Änderung des Stammzellgesetzes. ( MP3-Audio , Beitrag von Jacqueline Boyen)

    Am Telefon begrüße ich jetzt Erzbischof Robert Zollitsch. Er ist Vorsitzender der katholischen Deutschen Bischofskonferenz. Guten Morgen!

    Robert Zollitsch: Guten Morgen, Herr Heinlein!

    Heinlein: Herr Erzbischof, wie wichtig ist die heutige Bundestagsentscheidung aus Sicht der katholischen Kirche?

    Zollitsch: Es geht um eine ethisch sehr wichtige Frage, und es geht um die Frage der Würde des Menschen, des menschlichen Lebens, und um den Schutz des Lebens. Denn für uns ist klar: Der Mensch ist Mensch mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzellen. Jede andere These, die man aufstellen wollte, wäre Willkür und würde dann auch der Willkür Tür und Tor öffnen. Ein Mensch ist nun tatsächlich ein Leben, das geschützt werden muss, und ich kann nicht Menschen töten, um nun anderen Menschen zu helfen. Wir sind sehr für die Ethik des Heilens, aber es ist so: Der gute Zweck rechtfertigt nicht jedes Mittel. Das ist der Ernst dieser Lage und der heutigen Abstimmung im Bundestag.

    Heinlein: Also die bisherige Stichtagsregelung ist aus biblisch-christlicher Sicht bereits jetzt nicht mehr vertretbar?

    Zollitsch: Ja. Auch die bisherige Regelung ist nicht nur fragwürdig, sie ist falsch. Denn die bisherige Regelung geht davon aus, dass Stammzellen, die aus Embryonen gewonnen wurden, die getötet worden sind, benutzt werden dürfen. Es ist der Versuch, die bisherige Regelung, ich möchte sagen, das Ganze ein bisschen für die Leute leichter, einfacher zu machen, indem man sagt, ja, diese Stammzellen sind sowieso schon da, also dürfen sie dann auch benutzt werden. Aber auch hier wurden Embryonen getötet, um damit tatsächlich nun, wie man leider sagt, menschliches Zellmaterial zu gewinnen. Und schon dieser Ausdruck ist sehr bedenklich, denn hier werden Menschen zu Material gemacht. Das kann natürlich nicht der Fall sein, und darum müssen wir sagen, auch die jetzige Regelung widerspricht der Ethik.

    Heinlein: Nur eine Minderheit im Bundestag, wir haben es vorab in dem Bericht gehört, ist ja für ein völliges Verbot der embryonalen Stammzellforschung. Könnten Sie denn damit leben, wenn es bei der bestehenden Stichtagsregelung bleiben würde?

    Zollitsch: Ich selber bin für ein völliges Verbot und würde es begrüßen, wenn das tatsächlich im Bundestag die Mehrheit fände. Aber wenn wir die jetzige Stichtagsregelung aufgeben und einen neuen Stichtag dann festlegen, dann wird dadurch der Veränderung Tür und Tor geöffnet, denn es stellt sich dann die Frage, ja, wenn wir einmal den Stichtag verschieben dürfen, warum wird er nicht ein zweites und drittes Mal verschoben? Damit ist natürlich jede Grenze fast aufgegeben.

    Heinlein: Also die Gefahr einer ethischen Wanderdüne, wie es etwa Volker Beck von den Grünen gesagt hat?

    Zollitsch: Ja, da hat er ganz Recht. Es wandert dann weiter, und warum soll man nicht in ein paar Jahren wieder sagen, ja gut, wir haben damals den Stichtag verschoben, wir verschieben ihn einfach wieder? Damit ist die Grenze gefallen, die damals mit dem Stichtag gesetzt wurde, und wo man damals Hoffnung hatte, es wird vermieden, dass jetzt neue Embryonen getötet werden, um Stammzellen zu gewinnen.

    Heinlein: Spüren Sie denn persönlich, Herr Erzbischof, den ethischen Konflikt zwischen der Aufgabe des Heilens, also dem Kampf gegen schreckliche Krankheiten wie Parkinson oder Alzheimer, und dem von Ihnen genannten Schutz des Lebens?

    Zollitsch: Ja, den spüre ich sehr wohl, und wir müssen auch alles tun, um Heilen zu können, und wir haben heute ja die Chance, mit adulten Stammzellen zu forschen und damit das gleiche Ziel zu erreichen. Die Ergebnisse, die wir bisher dort haben, die sind sehr erfolgversprechend, mehr als die Forschungen sogar mit embryonalen Stammzellen. Diese Forschung mit adulten Stammzellen, die soll weitergeführt werden. Und ich bin überzeugt, wir können damit das gleiche Ziel erreichen.

    Heinlein: Warum misstrauen Sie denn den Aussagen vieler Forscher, die ja sagen, mit alten Stammzelllinien oder mit adulten Stammzellen lasse sich keine vernünftige Forschung machen? Trauen Sie sich diesen Sachverstand zu?

    Zollitsch:! Nein. Ich persönlich habe nicht diesen Sachverstand. Aber Sie wissen, dass es genauso auch Forscher gibt mit der gegenteiligen Meinung, die uns sagen, wir können mit adulten Stammzellen das Entsprechende erreichen. Und, wenn die Forschung bis jetzt mit bestimmten Stammzelllinien erlaubt ist, man kann auch tatsächlich durch Reinigung dieser Stammzelllinien das Gleiche erreichen, obwohl ich selber ganz und gar gegen die Forschung mit Stammzellen bin.

    Heinlein: Halten Sie es denn für ethisch vertretbar, dass Bundestagsabgeordnete nach der Prüfung ihres Gewissens und nach der Prüfung der Unterlagen zu einer anderen Entscheidung kommen und für eine Stichtagsverschiebung stimmen?

    Zollitsch: Ich habe die Diskussion im Bundestag heute vor vier Wochen gut verfolgt, und ich habe auch die Statements derer gelesen, die gegen eine Forschung mit den Stammzellen sind. Und ich muss sagen, die Debatte im Bundestag hat mich von ihrem hohen Wert her beeindruckt. Ich habe den Eindruck gewonnen, dass unsere Abgeordneten die Entscheidung sehr ernst nehmen und sie sich nicht leicht machen.

    Heinlein: Schmerzt es Sie denn, dass viele Abgeordnete der Union, die ja das C für christlich im Namen tragen, der Linie der katholischen Kirche, Ihrer Linie nicht folgen - allen voran Forschungsministerin Schavan, die ja früher Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken war?

    Zollitsch: Ja. Es schmerzt mich, dass wir hier nicht zu einer einheitlichen Meinung finden können, und es schmerzt mich auch, dass auch die katholische und evangelische Kirche in diesem Punkt nicht ganz mit einer Stimme spricht.

    Heinlein: Darüber müssen wir gleich reden. Noch einmal zur Union: Gibt es denn aus bioethischer Sicht eine Entfremdung zwischen der katholischen Kirche und der Union? In dieser Frage sind Sie ja eher den Grünen näher.

    Zollitsch: Es ist sicher so, dass natürlich manche Fragen heute diskutiert werden, und ich würde mich freuen, wir hätten hier die stärkere Geschlossenheit mit der Union, wie das früher auch der Fall war. Ich freue mich aber über jeden Abgeordneten und jede Abgeordnete, die tatsächlich sich beim Schutz des Lebens unserer Meinung annähert und unserer Meinung ist.

    Heinlein: Würde denn eine Verschiebung des Stichtages mit den Stimmen der Union etwas grundsätzlich ändern am christlichen Profil der CDU/CSU?

    Zollitsch: Es wäre sicher, wenn nun viele Unionsabgeordnete der Verschiebung zustimmen, natürlich schon eine ernste Frage, wie wir das Gespräch weiterführen mit der Union. Aber wir werden das Gespräch weiterhin suchen, und wir werden weiterhin versuchen, Abgeordnete der Union, aber auch der anderen Parteien für unsere Meinung zu gewinnen.

    Heinlein: Sprechen wir über die evangelische Kirche, Herr Erzbischof. Der EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber vertritt ja in der Tat eine andere Position als die Katholische Bischofskonferenz. Er befürwortet eine Verschiebung des Stichtages. Sind also aus christlich-ethischer Sicht mindestens zwei Sichtweisen möglich?

    Zollitsch: Es ist so, dass Bischof Huber eine einmalige Verschiebung befürwortet, und er meint, das auch begründen zu können. Aber es ist nicht so, dass alle Bischöfe der evangelischen Kirchen der gleichen Meinung sind wie er. Es gibt hier tatsächlich Unterschiede. Und diese Unterschiede in den Positionen - etwa von Bischof Huber und der katholischen Kirche -, die machen es natürlich den Abgeordneten schwerer. Es wäre sicher für die Abgeordneten einfacher und ermutigender, wenn sie sagen können, beide großen Kirchen in Deutschland sprechen mit einer Stimme.

    Heinlein: Hat es im Vorfeld Bemühungen gegeben, eine gemeinsame Haltung der beiden christlichen Konfessionen in Deutschland zu bekommen in dieser heiklen Frage, in dieser wichtigen Frage?

    Zollitsch: Ja. Wir haben das Gespräch gesucht, und wir waren ja auch lange einer Meinung. Als dann Bischof Huber meinte, einer einmaligen Verschiebung zustimmen zu können, sie vertreten zu können, haben wir weiterhin das Gespräch versucht. Wir haben das auch offen miteinander besprochen. Aber ich muss respektieren, dass nun Bischof Huber zu einer anderen Meinung gekommen ist als ich.

    Heinlein: Haben Sie mit Bischof Huber persönlich über diese Frage gesprochen?

    Zollitsch: Wir haben uns auch persönlich getroffen, aber da war seine Entscheidung schon gefallen. Und wir haben auch bei der Pressekonferenz in Berlin, als es um die "Woche des Lebens" ging, das noch mal offen angesprochen und auch miteinander besprochen.

    Heinlein: Warum etabliert sich denn die katholische Kirche anders als eben die evangelischen Glaubensbrüder erneut als Forschungsbremse?

    Zollitsch: Ob das eine Forschungsbremse ist, darüber kann man sich streiten. Ich habe Ihnen ja gesagt, dass ich für die Forschung an adulten Stammzellen sehr wohl bin. Aber es gibt Grenzen, Grenzen auch für die Forschung. Forschung ist nicht alles. Dort wo es um den Schutz des Lebens, ja um die Tötung von Embryonen geht, da sind die Grenzen für die Forschung ganz klar.

    Heinlein: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, heute Morgen hier im Deutschlandfunk. Herr Erzbischof, ich danke für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Zollitsch: Ich danke auch. Einen schönen Tag.