Archiv


"Forschung muss offen sein"

Professor Jürgen Hescheler, Stammzellenforscher am Institut für Neurophysiologie der Universität Köln, hat bessere Bedingungen für die Forschung in Deutschland gefordert. Dazu gehörten die Möglichkeiten der embryonalen Stammzellforschung ebenso wie die erneute Diskussion über die Stichtagsregelung. Unter diesen Bedingungen versuchten junge deutsche Forscher erst gar nicht, hier Fuß zu fassen, betonte Hescheler.

Moderation: Paul Jochen Fischer |
    Fischer: Der Deutsche Bundestag debattiert über die Zukunft der Stammzellenforschung. Bislang dürfen embryonale Stammzellen nur dann verwendet werden, wenn sie vor 2002 erzeugt wurden. Das ist vielen Forschern zu wenig und auch in der Politik regt sich der Wunsch, diese Frist zu verändern. In der Diskussion sind die üblichen parteipolitischen Grenzen der Parteien aufgehoben. Befürworter und Gegner finden sich in allen Fraktionen und auch solche, die für einen Kompromiss in der Frage eintreten.

    Die einen wollen also die Arbeit freigeben, haben wir gehört; die anderen bleiben bei ihren einschränkenden Forderungen. Grund genug also, einmal mit einem Biowissenschaftler zu reden. Guten Tag Jürgen Hescheler!

    Hescheler: Guten Tag!

    Fischer: Sie arbeiten am Institut für Neurophysiologie an der Universität in Köln und haben mit der Problematik zu tun und ich könnte mir vorstellen, Sie wollen weiterforschen ohne Beschränkungen.

    Hescheler: Ja, das ist richtig. Für uns wäre es wirklich dringend notwendig, auch die neueren Stammzell-Linien zu importieren, weil einfach hier bessere Bedingungen vorliegen, aber auch aus dem Grund, weil die Forschung sich immer mehr auch in Forschungsverbünden organisiert. Wir haben hier als Deutsche extreme Probleme, zukünftig in europäischen Forschungsverbünden auch mitzumachen.

    Fischer: Kritiker sagen - wir haben es ja auch eben im Bericht aus der Debatte gehört -, es brauche gar keine embryonalen Stammzellen. Es gäbe keine Studien, die deren Wirksamkeit bisher unterstützten. Wie sehen Sie das?

    Hescheler: Das sehe ich naturgemäß ganz anders. Das ist jetzt gerade auch etwas zynisch. In Deutschland ist noch weniger als zehn Prozent der gesamten Forschungsförderung in die embryonale Stammzelle investiert worden. 90 Prozent ist in die adulten Stammzellen gegangen. Wenn man sieht, wie wenig wirklich gute Therapien oder auch Nutz bringende Therapien aus den adulten Stammzellen gekommen sind, finde ich das relativ schlecht investiertes Geld. Andererseits ist die embryonale Stammzellforschung natürlich nicht entsprechend weiter gekommen. Das muss man ganz klar sehen. Wenn man das mit dem Ausland vergleicht: dort ist wesentlich mehr über embryonale Stammzellen erforscht worden und da gibt es schon hoch interessante Ergebnisse, die in der Zukunft sicherlich auch in die Kliniken kommen werden.

    Fischer: Es heißt ja auch, die Verwendung von adulten Zell-Linien wäre für die Grundlagenforschung ausreichend.

    Hescheler: Das kann ich auch nicht bestätigen. Wir haben immer gesagt, die embryonalen Stammzellen sind unser Goldstandard. Ich bin sehr wohl dafür, dass sowohl mit embryonalen als auch mit adulten Stammzellen geforscht wird. Vielleicht wird man eines Tages auch komplett auf die adulten Stammzellen zurückgreifen können, aber Forschung muss offen sein. Wir müssen alle Möglichkeiten haben. Wir müssen die Dinge vergleichend anschauen können und nur wenn wir wirklich eine Zelle in der Hand haben, wo wir wissen, dass sie sich so entwickelt wie während der natürlichen embryonalen Entwicklung - das ist ja eben die embryonale Stammzelle -, dann haben wir quasi den Standard, an dem wir alle anderen Ergebnisse ausrichten können.

    Fischer: Wenn Sie uns bitte mal ein Beispiel geben. Was kann denn nun die embryonale Stammzelle, was die adulte nicht kann?

    Hescheler: Da kann ich ganz konkret aus unserer Forschung berichten. Wir sind am Herzinfarkt interessiert. Wir wollen aus den Stammzellen Herzmuskelzellen züchten, die dann das Herz wieder kräftiger schlagen lassen. Ich selbst habe schon sehr früh mit embryonalen Stammzellen der Maus angefangen, schon vor über 20 Jahren. Dort funktioniert es wunderbar. Auch mit den menschlichen embryonalen Stammzellen können wir schlagende Herzmuskelzellen machen. Es ist uns bis jetzt und obwohl wir wirklich intensiv die letzten fünf Jahre auch an adulten Stammzellen parallel gearbeitet haben noch nie in keinem einzigen Experiment gelungen, aus den adulten Knochenmarksstammzellen wirkliche Herzmuskelzellen zu machen. Das liegt einfach daran, dass diese Zellen genetisch ganz anders vorprogrammiert sind und diese Programmierung lässt sich nicht so einfach aufheben.

    Fischer: Wenn Sie jetzt modernere, neuere embryonale Stammzell-Linien hätten, also solche, die bis zum Mai 2007 erzeugt worden sind, wäre Ihnen denn dann damit geholfen?

    Hescheler: Es ist ganz klar: in der letzten Zeit sind im Ausland unter sehr viel besseren Bedingungen auch neue humane embryonale Stammzell-Linien erzeugt worden. Wir würden gerne auch an diesen Zellen arbeiten, gerade auch im Hinblick auf Zusammenarbeitsmöglichkeiten mit dem Ausland. Das würde uns sicherlich helfen, auch mit dabei zu bleiben. Allerdings muss man schon sagen uns wäre es lieber, wenn grundsätzlich entschieden würde, dass die Stichtagsregelung insgesamt immer wieder zu Diskussionen führen würde. Da wäre es besser, wenn man einmalig diesen Stichtag abschaffen würde, oder wenn man einfach sagen würde, wir dürfen in Deutschland nur zwei, drei Jahre alte Stammzell-Linien importieren, die früher erzeugt worden sind, ohne dass dort ein deutscher Einfluss da war. Das wäre meiner Ansicht nach auch eine gute Kompromissmöglichkeit.

    Fischer: Damit wäre aber immer noch die Forschung in Deutschland stark reglementiert, denn eigens erzeugte Embryonen für die Forschung darf es in Deutschland nicht geben. Sollte sich das ebenfalls ändern?

    Hescheler: Da sprechen Sie ein anderes Gesetz an. Das wäre das Embryonen-Schutzgesetz. Natürlich würden wir uns wünschen, auch eigene embryonale Stammzell-Linien zu erzeugen. Das hat auch in Deutschland bestimmte lizenzrechtliche Gründe, weil die Zellen, die wir importieren, dann immer im Ausland geschützt sind. Das bedingt zum Teil auch, dass unsere eigenen Ergebnisse im Ausland patentiert werden, weil da immer noch der Anspruch auf diese Zell-Linie herrscht. Natürlich würden wir uns schon wünschen, diese Stammzellen auch selbst zu erzeugen, aber ich denke da muss wirklich auch ein breiter gesellschaftlicher Konsens sein, um auch in Deutschland diese Möglichkeiten zu eröffnen.

    Fischer: Womit rechnen Sie denn? Wie wird sich der Bundestag entscheiden und wie gehen Sie dann damit um?

    Hescheler: Ich denke realistisch gesehen hoffen wir alle und glauben auch fest daran, dass sich quasi eine einmalige Stichtagsregelung durchsetzen wird. Das wird uns für die nächsten Jahre auch Luft geben. Wir hoffen aber natürlich, dass die Stichtagsregelung komplett wegfällt, dass die Forschungsfreiheit hier auch als wichtiges Gut dargestellt ist.

    Fischer: Macht sich diese Reglementierung momentan in Ihrem Forschungsalltag auch insofern bemerkbar, dass Wissenschaftler nicht zu Ihnen kommen, die sonst zu Ihnen zum Arbeiten gekommen wären?

    Hescheler: Ja, auch das kann ich klar bestätigen. Es ist nicht so, dass jetzt die bekannten Wissenschaftler in Deutschland nicht in die Stammzellforschung gehen, sondern wir beobachten, dass wirklich sehr viele junge zukunftsträchtige Wissenschaftler, die wir hier ausgebildet haben, ihre Zukunft nicht in Deutschland sehen, sondern ins Ausland gehen. Ich bin immer erschrocken, wenn ich anderen Ländern in Stammzellinstitute gehe, wie viele deutsche junge Wissenschaftler ich dort sehe, die alle gesagt haben wir haben erst gar nicht versucht, in Deutschland Fuß zu fassen, sondern sind gleich ins Ausland gegangen. Das ist leider nie richtig quantifiziert worden, wie viele es sind, aber die eigene Beobachtung zeigt mir, dass wirklich viele junge Menschen einfach ins Ausland gehen.

    Fischer: Nun gibt es ja noch den ethisch-moralischen Aspekt der Angelegenheit. Sie sagen, Sie forschen an Herzmuskeln. Sie können damit kranken Menschen helfen. Die Kirche, die Katholische Kirche zum Beispiel sagt, dafür muss aber ein Embryo getötet werden; das ist unannehmbar.

    Hescheler: Ja, das ist sicherlich ein Argument und ich respektiere das auf jeden Fall. Ich denke man sollte vielleicht doch mal schauen, wie das in anderen Ländern behandelt wird. Da habe ich von den Engländern, auch von den Israelis, von den Schweden, Franzosen und so weiter gesehen, dass hier einfach nicht diese sehr frühe Definition des menschlichen Lebens genommen wird, sondern man sagt einfach bis zu der Implantation, also bis zu der Einnistung in die Gebärmutter spricht man eher von einem Prä-Embryo, also von einem Vor-Embryo, der die genetische Determination zwar schon hat, aber noch nicht die volle Menschenwürde hat. Wenn man den Stichtag oder den Beginn des Lebens somit etwas nach hinten verrückt und sagt, erst wenn sich diese frühe Plastozyste in die Gebärmutter einnistet, dann beginnt menschliches Leben, dann ist die Debatte überflüssig und man kann auch mit sehr viel besserem Gewissen diese Forschung an den frühen embryonalen Stammzellen durchführen.

    Fischer: Der Stammzellenforscher Jürgen Hescheler von der Universität Köln möchte die Forschung an embryonalen Stammzellen freigeben. Vielen Dank für das Gespräch!

    Hescheler: Danke schön.