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Forschungsprojekt
"Deutsche Arbeit" als Kampfbegriff der Neuen Rechten

Der Mythos einer spezifischen "deutschen Arbeit" entstand im 19. Jahrhundert und versprach einen völkischen Zusammenhalt in Zeiten sozialer Spaltung. Ein gemeinsames Forschungsprojekt von Berliner Universitäten beleuchtet die Geschichte und Aktualität eines Kampfbegriffes der Neuen Rechten.

Von Andreas Beckmann | 17.01.2019
    Die sogenannten "Trümmerfrauen" arbeiten im Mai 1945 in Berlin an der Beseitigung der Trümmer von im 2. Weltkrieg zerstörten Häusern.
    Unter anderem im Mythos der sich aufopfernden Trümmerfrauen sieht der Sozialphilosoph Nikolas Lelle eine Fortsetzung der nationalistischen Konstruktion von Arbeit (picture-alliance / Ursula Röhnert)
    "Der Topos 'deutsche Arbeit' entsteht Mitte des 19. Jahrhunderts", erklärt Felix Axster vom Zentrum für Antisemitismusforschung der TU Berlin. Die Idee sei also tatsächlich so antiquiert, wie sie klingt. Vor knapp 150 Jahren habe sie aber hervorragend zum damaligen Hurra-Patriotismus gepasst.
    "Ein Grund ist die Durchsetzung kapitalistischer Produktionsweisen, die Entfremdung, soziale Spaltung der Gesellschaft, der Klassenkampf. Der Topos 'deutsche Arbeit' ist ein Versuch, darauf zu reagieren, und zwar auf eine nationalistische Weise, die Deutschen sollen sozusagen in der Arbeit wieder zusammenfinden, eine Gemeinschaft werden."
    Solche Vorstellungen seien heute wieder virulent, gerade weil gleichzeitig so viel von einer Krise der Arbeit und von sozialer Spaltung die Rede ist.
    "Das ist ein Integrationsangebot für die Leute, die nicht mehr richtige Arbeit haben oder darum fürchten, dass sie vielleicht keine Arbeit mehr haben könnten. Das ist ein Integrationsversprechen, wo man sich wiederfinden kann und als zugehörig imaginieren kann zu dem Teil, der dann immer noch unter diesem 'deutsche Arbeit', fleißig sein, produktiv sein, firmiert."
    Ideologisches Selbstbild aus Zeiten der Reichsgründung
    Die Behauptung, Arbeitsmoral und nationaler Charakter gehörten zusammen, hat der Volkskundler Wilhelm Heinrich Riehl 1881 in seinem Buch 'Die deutsche Arbeit' scheinbar wissenschaftlich begründet. Gustav Freytag popularisierte sie mit seinem sechsbändigen Roman 'Soll und Haben', der zum Bestseller wurde. Doch weder Riehl noch Freytag präzisierten an irgendeiner Stelle, was denn spezifisch deutsche Arbeit sei, ergänzt der Sozialphilosoph Nikolas Lelle von der Humboldt Universität Berlin.
    "Was bei all diesen Gründungstexten, Riehl und Freytag, aber auch bei den Texten dann danach, auffällt, ist, dass sehr viel Arbeit darauf verwandt wird, über die Fremdbilder zu sprechen und relativ wenig über die Selbstbilder. Man kann sogar soweit gehen zu sagen, erst über das Fremdbild wird das Selbstbild konturiert."
    Als Fremdbild galt vor allem sogenannte jüdische Arbeit. Statt von Gemeinsinn und von einer Arbeitsfreude, die den Deutschen vorgeblich eigen seien, werde jüdische Arbeit von individuellem Gewinnstreben und Ausbeutung geprägt. Es kann kaum verwundern, dass gerade die Nationalsozialisten solche Legenden gerne aufgriffen. Adolf Hitler kam schon 1920 in einer seiner allerersten Reden auf 'deutsche Arbeit' zu sprechen.
    Nikolas Lelle: "In den Blick gerückt soll werden, dass Arbeiter, Angestellte, Unternehmen sozusagen die gleiche Arbeit ausführen. Alle machen 'deutsche Arbeit'. Das heißt, es gibt nicht mehr die Unterscheidung zwischen verschiedenen Interessen, zwischen Kapitalist und Lohnarbeiter etwa. Es ist also explizit ein Topos der sich gegen Klassenkampfrhetorik richtet. Und eben die Vorstellung, dass Arbeit als Dienst begriffen werden muss."
    Arbeit für die Volksgemeinschaft
    Theoretisch wären andere Anknüpfungspunkte vielleicht naheliegender gewesen. "Made in Germany" gilt schließlich seit Anfang des 20. Jahrhunderts weltweit als Qualitätssiegel. Es bezieht sich zwar nicht direkt auf Arbeit, aber auf ihre Ergebnisse, und könnte so Facharbeiterstolz oder ein selbstbewusstes professionelles Selbstbild bestätigen. Doch mit dem Begriff "deutsche Arbeit" wurden nie individuelle Fähigkeiten oder Leistungen hervorgehoben. Er war und ist eine rein nationalistische, völkische Konstruktion.
    Nikolas Lelle: "Wenn Hitler darüber redet, dass Deutsche auf eine besondere Art arbeiten, dann meint er nicht den Facharbeiter, der aufgrund einer bestimmten Tradition oder eines bestimmten Bildungshintergrunds besonders arbeitet, sondern alle, immer. Der hat die Vorstellung, auch wenn deutsche Arbeiter an ihrem Feierabend im Garten arbeiten - das Beispiel gibt es explizit - führen sie diese Arbeit anders aus, weil sie sie für die Volksgemeinschaft ausführen, als das 'andere Völker' tun würden."
    Nach 1945 redete dann niemand mehr von Volksgemeinschaft. Der Mythos "deutsche Arbeit" überdauerte dennoch untergründig, meint Nikolas Lelle.
    "Ein Beispiel ist die Trümmerfrau, die ja heute schon weitgehend als Mythos enttarnt worden ist. Es ist ja durchaus nicht so, dass in allen deutschen Städten Frauen freiwillig die Städte enttrümmert haben. Das ist ganz konkret in West-Berlin der Fall gewesen. In vielen anderen Städten geschah das nicht aus Freiwilligkeit, sondern weil man Geld dafür bekam. Was man aber in diesem Mythos 'Trümmerfrau' durchaus feststellen kann, ist, dass dieses Bild der Person, die aus Pflicht der Gemeinschaft gegenüber etwas tut, fortlebt."
    Selbstbild vom "fleißigen Deutschen" verblasst
    Auch in der frühen DDR versuchte die SED, an Pflichtbewusstsein und Gemeinsinn beim nationalen Wiederaufbauwerk zu appellieren, um Arbeiter zu Sonderschichten zu motivieren. In den 60er-Jahren schien der Mythos "deutsche Arbeit" dann verflogen. Das Ideal der Selbstverwirklichung löste das des Dienstes ab. Heute kann Selbstverwirklichung in Arbeit stattfinden, aber auch ohne sie gelingen. Arbeit steht nicht mehr zwingend im Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens.
    Nikolas Lelle: "Es gab Gesellschaften, in denen Arbeit nicht die primäre Vermittlungsinstanz war. Das ist doch ein spezifisch kapitalistisches Phänomen, dass über Arbeit die gesellschaftliche Vermittlung organisiert wird. Weder im Feudalismus noch in der griechischen Antike spielt doch Arbeit die zentrale Rolle als Organisationsprinzip. Dann kann es das auch als post-kapitalistische Idee geben."
    Felix Axster: "Die ganzen Debatten ums Grundeinkommen, wie immer man das jetzt findet, da findet ja eine Entkoppelung von Arbeit und Wertigkeit statt."
    Thilo Sarrazin als Stichwortgeber
    Noch aber hängt gesellschaftliche Teilhabe weitgehend daran, dass man einen Job hat, sagt der Historiker Felix Axster. Und so definieren sich viele Menschen über ihre Arbeit. Die Vorstellung, es existiere eine für sie reservierte 'deutsche Arbeit', gebe manchen Verunsicherten da Halt, weshalb heute wieder ein Autor mit diesem vagen Topos Auflagenerfolge feiern könne.
    Felix Axster: "Wenn Sarrazin in seinem Buch 'Deutschland schafft sich ab' von 2010 in der Konstitution des Selbstbildes immer von Fleiß redet – 'die Deutschen sind so fleißig, das waren sie nach dem Krieg, sie haben alles wieder aufgebaut.' Und das Fremdbild sind jetzt in Sarrazins Fall insbesondere Muslime, die dann eben faul und unproduktiv seien."
    "Deutsche Arbeit" sei auch für die neue Rechte wieder zu einem Kampfbegriff geworden, meinen die Forscher. Weil er nationalistischen Ideologen Vorwände liefere, alles angeblich "Nichtdeutsche" auszuschließen.