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"Fortsetzung der moderaten Tarifpolitik nötig"

Capellan: Der Tarifstreit in der deutschen Metallindustrie spitzt sich weiter zu und er belastet die laufenden Gespräche für ein "Bündnis für Arbeit" ganz erheblich. Dieser Ansicht jedenfalls ist Hans Peter Stihl, der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelstages. Er drohte, die Gespräche seinerseits platzen zu lassen, sollte es zu langen Streiks in der Metallbranche kommen. Gefährdet die aktuelle Tarifauseinandersetzung tatsächlich die für Ende dieses Monats geplante zweite Gesprächsrunde? Besteht diese Möglichkeit wirklich oder ist alles weithin bekannter Theaterdonner der Tarifparteien? Darüber möchte ich nun mit Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt sprechen. Guten Morgen Herr Hundt!

    Hundt: Guten Morgen Herr Capellan!

    Capellan: Herr Hundt, sehen Sie die Gespräche in Gefahr?

    Hundt: Ich meine, die Frage, ob das nächste Gespräch am 25. Februar gefährdet ist oder nicht, stellt sich derzeit nicht. Ich hoffe und erwarte, daß die Tarifvertragsparteien in der weiterhin wichtigsten deutschen Branche, der Metall- und Elektroindustrie, eine Fortsetzung der vernünftigen, der moderaten Tarifpolitik der letzten Jahre finden und zu einem Abschluß kommen, der die Voraussetzung dafür bietet, daß die eingetretene positive Entwicklung fortgesetzt wird.

    Capellan: Aber ein Streik, sollte es doch dazu kommen, würde Sie nicht davon abhalten, an den Verhandlungstisch zu kommen?

    Hundt: Ich wiederhole: diese Frage stellt sich derzeit nicht. Wir werden mit allem Nachdruck daran arbeiten müssen, jetzt mit vorrangiger Priorität eine angemessene Lösung zu finden, um vor dem Hintergrund eines sich ohnehin deutlich abschwächenden Wirtschaftswachstums nicht noch durch falsche tarifpolitische Entscheidungen eine negative Entwicklung heraufzubeschwören.

    Capellan: Wäre es denn möglicherweise ein Königsweg, die derzeitige Lohnrunde zu verschieben?

    Hundt: Der Ansicht bin ich nicht. Ich meine, wir benötigen jetzt die Lösung. Wir würden andernfalls auch viel zu sehr Verunsicherung und zusätzlichen Atentismus in die deutsche Wirtschaft bringen. Das sind Dinge, die sich alle negativ auswirken. Lassen Sie mich dieses dazu sagen: Ein falsches Ergebnis der diesjährigen Tarifrunde - und die Metall- und Elektroindustrie setzt hier sicherlich ein erstes wichtiges Signal - hätte ganz, ganz nachteilige Auswirkungen auf die Sozialpartnerschaft in Deutschland, auch auf den Erhalt unserer Tarifautonomie und darüber hinaus auch auf den weiteren Verlauf der Bündnisgespräche.

    Capellan: Das heißt also, die derzeitigen Tarifforderungen der Gewerkschaften und die "Bündnis für Arbeit"-Gespräche gehören schon zusammen. IG-Metall-Vize Jürgen Peters meinte gestern hier bei uns, das seien doch zwei Paar Schuhe, aber Sie sind dort anderer Ansicht?

    Hundt: Das ist ein Paar Schuh, das aus zwei Stücken besteht. Es gibt einen ganz hohen Zusammenhang zwischen der diesjährigen Tarifrunde und dem weiteren Verlauf der Bündnisgespräche. Wenn kein angemessener Tarifabschluß gefunden wird - und das gilt für die Metall- und Elektroindustrie genauso wie für andere Branchen -, dann wird die Gestaltungsmöglichkeit der deutschen Wirtschaft im Rahmen des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit deutlich eingeschränkt und ein Erfolg damit sehr, sehr stark gefährdet.

    Capellan: Was bezeichnen Sie denn als angemessenen Tarifabschluß?

    Hundt: Ich werde hierzu selbstverständlich keine Zahlen nennen. Das ist Angelegenheit der Tarifvertragsparteien. Ich fordere und appelliere aber an beide Parteien, einen Abschluß zu finden, der sich an denen der letzten Jahre anschließt mit einer Ausweitung der Flexibilisierung und einer Entgeltveränderung deutlich unterhalb der zu erwartenden Produktivitätssteigerung.

    Capellan: Nun werfen Ihnen aber gerade die Gewerkschaften vor, daß diese angesprochenen doch recht bescheidenen Tarifabschlüsse der vergangenen Jahre überhaupt nichts bewirkt hätten, weil sie den Abbau von Arbeitsplätzen nicht aufhalten konnten.

    Hundt: Ich meine, die Entwicklung gerade des Jahres 1998 zeigt das Gegenteil. Nach zwei beziehungsweise drei Jahren moderaten Tarifabschlüssen, die beschäftigungsorientiert waren, haben wir im letzten Jahr 1998 das stärkste Wirtschaftswachstum seit der Wiedervereinigung erzielen können und wir haben im letzten Jahr vor allen Dingen erstmalig wirklich wieder Arbeitsplätze aufbauen können. Dazu kommt, daß die deutsche Wirtschaft seit 1997 nach vorausgegangenen sieben Jahren ununterbrochen rückläufiger Entwicklung unseres Weltmarktanteils auch international wieder Erfolge erzielen konnte und Weltmarktanteile dazugewonnen hat. Ich meine - und dieses ist vorwiegend auch das Ergebnis der Tarifpolitik -, diese erfreulichen Ergebnisse sollten uns doch bestärken, einen entsprechend angemessenen Abschluß zu finden, dieses insbesondere jetzt auch vor dem Hintergrund einer Inflationsrate, die nur noch im Bereich von etwa einem halben Prozent liegt.

    Capellan: Dem hält hingegen IG-Metall-Chef Zwickel entgegen, die Arbeitslosenzahlen seien nicht gesunken, aber die Gewinne und Aktienkurse seien gestiegen. Dem läßt sich kaum widersprechen.

    Hundt: Ich bin der Ansicht, daß sich dem sehr deutlich widersprechen läßt. Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit im letzten Jahr war - und dieses weisen alle Zahlen aus - deutlich positiv. Wir haben im letzten Jahr zum erstenmal seit vielen, vielen Jahren wieder wirklichen Beschäftigungsaufbau erzielen können. Wir haben zum Ende des Jahres gegenüber dem Beginn des Jahres, nicht im Vergleichszeitraum, aber im Verlaufe dieses Jahres, einen deutlichen Abbau der Arbeitslosigkeit in einem Bereich von über 700 000 Menschen verzeichnen können. Wir lagen im Vorjahresvergleich deutlich besser. Lassen Sie mich zu der Gewinndiskussion eines sagen: Die Ertragslage hat sich im Durchschnitt der Unternehmen tatsächlich verbessert. Dieses war auch dringend erforderlich. Es gibt derzeit auch Firmen, die wieder angemessene Erträge erzielen. Wir dürfen aber nicht vergessen, daß es einen großen Teil in der Metall- und Elektroindustrie, bis zu einem Drittel der Firmen gibt, die unverändert rote Zahlen schreiben. Schließlich ist auch eine durchschnittliche Netto-Umsatzrendite in Deutschland von lediglich etwa zwei Prozent nicht ausreichend, um mittel- und langfristig die Unternehmen zu sichern. Die Holländer liegen bei gut neun Prozent Netto-Umsatzrendite, und dort entstehen Arbeitsplätze in großer Zahl.

    Capellan: Wäre es also sinnvoll, dort zu differenzieren, daß man in Betrieben, die Gewinne machen, die Arbeitnehmer an den Gewinnen beteiligt? Da kommt ein Vorschlag von Werner Stumpfe, dem Präsidenten des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall. Er hat heute morgen gesagt, man könnte zu einem ertragsabhängigen Weihnachtsgeld beispielsweise kommen. Wenn es den Betrieben gut geht, gibt es mehr Weihnachtsgeld als zu schlechten Zeiten.

    Hundt: Ich halte den Lösungsansatz, den Gesamtmetall in die diesjährige Tarifrunde eingebracht hat, für außerordentlich interessant, klug und auch scharmant. Dieser Ansatz besteht darin, daß eine generelle Entgeltveränderung, die für alle Firmen, für alle Beschäftigten gilt, vereinbart wird und daß darüber hinaus Komponenten festgelegt werden, die abhängig von der wirtschaftlichen Lage im einzelnen Unternehmen noch als zusätzliche Verbesserung vereinbart werden können. Ich meine, derartige flexible Gestaltungen der Tarifabschlüsse und unserer Flächentarifverträge sind die Voraussetzung dafür, daß unsere Tarifautonomie und auch unser Flächentarif in der Zukunft erhalten bleiben kann. Wenn andere unangemessene Abschlüsse erzielt werden, werden wir eine Erosion des Flächentarifes der Gestalt haben, daß viele Firmen austreten. Dieses gilt derzeit ganz besonders stark auch für die Unternehmen in den neuen Bundesländern. Ich darf daran erinnern, daß der Metallabschluß dieses Jahres erstmalig auch in die neuen Bundesländer übertragen wird, und dort ist die wirtschaftliche Situation noch deutlich angespannter als sie es im Westen ist. Ich meine, dieses muß im Abschluß der Metall- und Elektroindustrie nachhaltig berücksichtigt werden.

    Capellan: Das bedeutet aber, das was Stumpfe für das Weihnachtsgeld vorschlägt, würden Sie auch ausweiten wollen auf die Tarife, auf die Löhne generell?

    Hundt: Ich würde das sowohl auf den Tarifabschluß, was die Veränderung für das Jahr 1999 betrifft, anwenden als auch für die Zukunft generell, beispielsweise bei der Gestaltung dieser Sonderzahlungen, dem sogenannten Weihnachtsgeld.

    Capellan: Kann das auch Thema sein bei den "Bündnis für Arbeit"-Gesprächen? Muß es Thema sein?

    Hundt: Für mich gehört notwendigerweise eine Grundsatzvereinbarung über die zukünftige Tarifpolitik auch zu einem erfolgreichen Ergebnis unserer Bündnisgespräche. Ich bin eindeutig der Meinung, daß wir im Rahmen der Bündnisgespräche keine Tarifpolitik als solche betreiben, keine Lohnleitlinien festlegen, keine Zahlen vereinbaren, aber es ist aus meiner Sicht ein erfolgreiches "Bündnis für Arbeit" schlichtweg nicht denkbar, wenn nicht auch eine Grundsatzvereinbarung zwischen den Tarifvertragsparteien, den Arbeitgebern und den Gewerkschaften, enthalten ist über einen gewissen festzulegenden Zeitraum, moderate, beschäftigungsorientierte, beschäftigungsfördernde Tarifpolitik.

    Capellan: Bedeutet dies auch, daß dazu gehört, daß im Osten Deutschlands weiterhin niedrigere Tarifabschlüsse vereinbart werden als im Westen?

    Hundt: Dieses muß von Branche zu Branche möglicherweise unterschiedlich gestaltet werden. Wenn Tarifabschlüsse, wie dieses für das Jahr 1999 vereinbart ist, auch auf die Unternehmen in den neuen Bundesländern übertragen werden, dann ist der dortigen, ganz besonders angespannten Situation Rechnung zu tragen. Ich meine, gerade dieser Gesichtspunkt wird in der derzeitigen Metalltarifrunde bedauerlicherweise etwas zu wenig mitberücksichtigt.

    Capellan: Also weniger Geld in den neuen Ländern für die Beschäftigten dort?

    Hundt: In diesem Jahr ist vereinbart, den Abschluß des Westens in die neuen Bundesländer zu übernehmen. Dieses bedarf für den Abschluß West einer ganz besonderen Sensibilität.

    Capellan: Abschließende Frage, Herr Hundt: Welche Bedeutung haben die Steuerreformpläne der Bundesregierung Ihrer Ansicht nach für die "Bündnis für Arbeit"-Gespräche?

    Hundt: Die Steuerreform-Diskussion und auch die Diskussion über die Reform der Sozialversicherung hat eine ganz entscheidende Bedeutung für einen Erfolg des Bündnisses für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit. Nur wenn wir schnell zu einer wirklichen Steuerreform mit einer deutlichen Nettoentlastung sowohl für die Beschäftigten als auch die Unternehmen kommen, hat diese Bündnis-Diskussion Aussicht auf Erfolg.

    Capellan: Die Steuerreformpläne müßten also noch einmal überarbeitet werden?

    Hundt: Die derzeit in der Diskussion befindlichen Steuerbelastungsprobleme, die für die deutsche Wirtschaft in diesem Jahr allein eine zusätzliche Belastung von fünf Milliarden D-Mark zur Folge hätten und Belastungen bis zum Jahr 2002 von über 35 Milliarden, zusätzliche Belastung ohne Berücksichtigung der Energie- und Ökosteuer, müssen dringend vom Tisch. Wir benötigen eine Steuerreform mit einer gleichzeitigen Absenkung der Spitzensteuersätze für die Unternehmen und einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage in einem angemessenen Ausmaß.

    Capellan: Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt heute morgen im Deutschlandfunk. Herr Hundt, ich danke Ihnen!