Sonntag, 12. Mai 2024

Forum neuer Musik 2023: Frauenfiguren in deutschen Nachkriegsopern
Retterin, Nutznießerin, Anklägerin

Bis ins 20. Jahrhundert begegnen Frauengestalten in der Oper als Opfer. Im Mai 1945 ist dieses Modell inadäquat. Auf weiblichen Schultern liegen ab sofort Enttrümmerungsarbeit und soziale Versorgung. Wie hat sich das in der zeitgenössischen Oper niedergeschlagen?

Von Ingo Dorfmüller | 18.11.2023
Mehrere markant-verzerrte Masken drängen sich auf dem historischen Foto in schwarz-weiß in einer Reihe eng nebeneinander.
Hexenszene aus der Uraufführung von Carl Orffs „Die Bernauerin“ im Jahr 1947. (Deutsches Theatermuseum München, Archiv Rudolf Betz)
Angesichts der sozialen Verwerfungen nach Kriegsende mühten sich die beiden deutschen  Nachfolgestaaten schnell um Orientierung und Stabilität. Während der Osten eine sozialistische Perspektive ausrief, die eigene Werte verhieß, ereignete sich im Westen eine Rekonstruktion.
Konsum und Wohlstand, geordnete Bürgerlichkeit ohne Bezug zur NS-Zeit, traditionelle Entwürfe von Familie und Ehe waren die Wegmarken der Nachkriegsgesellschaft. Die kurze emanzipatorische Zeit der Frauen, die nach Kriegsende 1945 die Enttrümmerungsarbeit und soziale Versorgung übernahmen, wurde vergessen gemacht.

Zwischen Selbstbehauptung und Ächtung

Doch Opern Rolf Liebermanns wie „Leonore 40/45“ oder „Penelope“ reflektieren dieses sozial progressive Moment in realistischen Liebessujets. Sie spiegeln aber auch das erneute Schwinden weiblicher Handlungsoptionen. Boris Blachers „Die Flut“ oder Carl Orffs „Bernauerin“, beide 1947 uraufgeführt, beharren hingegen auf passiveren Frauenentwürfen.
Ein Paar ist von einer aufgewühlten Menge umgeben und wird mit Stühlen und Warnungen bedroht.
Szene mit Santiago Sánchez (Albert), Barbara Senator (Yvette), Ensemble und Statisterie der Oper Bonn im Rahmen der Neuinszenierung von Rolf Liebermanns Oper „Leonore 40/45“ im Jahre 2021. (Oper Bonn / Thilo Beu )
In allen genannten Bühnenwerken sind die handelnden Frauengestalten gewissermaßen am Leben – in Paul Dessaus „Verhör des Lukullus“ nach einem Hörspiel von Bertold Brecht agieren alle Personen vom einem Totenreich aus. Dort ringen sie allegorisch um die Bewertung eines verstorbenen Feldherrn.
Die Frau, die neben dem Leben auch den Sohn im Kriegszug verlor, ein Fischweib, versteht als einzige den Krieg als Verbrechen und ruft zur Verurteilung auf.