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Fotograf Peter Lindbergh
"Das ist Terrorismus von der anderen Seite"

Der deutsche Starfotograf Peter Lindbergh ist tot: Er starb am Dienstag, 3.9.2019, mit 74 Jahren, teilte seine Familie in Frankreich mit. Im Mai 2019 sprach er in der Dlf-Sendung "Corso" über seine Arbeit mit den Top-Models.

Peter Lindbergh im Corsogespräch mit Sigrid Fischer |
Der Fotograf Peter Lindbergh steht am 11.04.2017 in München (Bayern) in der Ausstellung "Peter Lindbergh - From Fashion to Reality" (13.04.-27.08.2017) vor seinem Foto "White Shirts (Class of '88)" in der Hypo Kunsthalle.
Der Fotograf Peter Lindbergh steht in der Ausstellung "Peter Lindbergh - From Fashion to Reality" in der Kunsthalle München vor seinem Foto "White Shirts (Class of '88)". (picture alliance / dpa / Felix Hörhager)
Die Künstlichkeit der 80er-Jahre-Modefotografie hat ihn nicht interessiert. Peter Lindbergh hat ein anderes Frauenbild auf den Titelseiten der Magazine durchgesetzt. "Wenn die Leute einem 100.000 Dollar bezahlen, dann wollen die nicht, dass man das macht, was die wollen", sagte Lindbergh im Dlf.
Weibliche Models in weißen Männerhemden, eher dezent geschminkt - das war in der Fashionfotografie der 80er-Jahre revolutionär. Der deutsche Fotograf Peter Lindbergh hat damit eine neue Ära der Mode- und Modelfotografie eingeläutet und das Bild von weiblicher Schönheit verändert. Er sucht mit der Kamera die Persönlichkeit einer Frau, nicht die hingestylte Maske. Wie schon bei Instagram zu sehen: Es gibt kaum einen Filmstar, den er nicht vor der Linse hatte. Ab morgen blättert die Kinodokumentation "Women’s Stories" in seiner Geschichte.
Sigrid Fischer: Peter Lindbergh, was unternehmen Sie, damit die Menschen, die Sie fotografieren, das tun, was Sie wollen?
Peter Lindbergh: Ich mag die so gerne, dass sie sich nicht dagegen wehren können. Das ist Terrorismus von der anderen Seite irgendwie. Ich bin sehr anfällig dafür, mich können Sie zu allem bringen, Sie müssen nur so tun, als ob Sie mich leiden können, das ist wirklich wahr.
One more enemy
Fischer: Bei Naomi Campbell hat das offenbar bestens funktioniert. In der Dokumentation sieht man eine Szene, in der sie absolut nicht in den Pool steigen will fürs Foto, am Ende steht sie dann aber doch drin.
Lindbergh: Tja, man muss, um Geduld zu haben - und jemanden dahin zu bringen, wo man ihn haben möchte, ist, dass man eigentlich weiß, dass man es sowieso hinkriegt. Das versuche ich meinem Sohn zu erklären, meinem ältesten Sohn, der das Studio jetzt managt bei uns. Und der manchmal wirklich ganz deutlich Sachen sagen kann, die ich mich nie trauen würde zu sagen. Und dann ist er ganz stolz, und ich sage: "One more enemy." Du hättest das auch haben können und einen Freund behalten können. Wenn Du gewusst hättest, dass Du das sowieso kriegst, kannst Du ja einen Tag darüber reden, und dann lass' ihn das entscheiden. Dann behältst Du einen Freund.
Fischer: Was macht für Sie ein gutes Foto aus?
Lindbergh: Ein gutes Foto ist eigentlich, wenn man irgendwas vermitteln wollte oder will, und dann verbreitet man das und dann merkt man, dass es vermittelt worden ist. Und dann kann man natürlich sagen: Ein gutes Fotos ist, wenn man inspiriert wird, und Emotionen und "that’s wonderful" und so. Das gehört da irgendwie mit rein, aber im Grunde - man hat entweder eine Verantwortung oder nicht. Und bei Fashion-Fotografen, die normalerweise die Fähigkeit haben, nicht zu viel drüber nachzudenken, was sie machen ...
Ich hab' mal'n Workshop gemacht, bei 'nem Fotofestival in Palm Springs und danach in Venedig – und nur Fotografen, die die täglichen Probleme haben, sowas zu machen. Und dann hab' ich mit denen diskutiert und hab' festgestellt, dass wirklich keiner von denen darüber nachdenkt, was er macht. Und die sagen dann: "Ja, Ihre Fotos, die bewegen einen so. Wie macht man das?" Ich hab' dann angefangen von Kreativität zu sprechen und genau von dem Punkt, dass jeder was in sich hat. Und da aber nicht dran kommt. Und wenn er nicht da dran kommt, dann ist er verzweifelt und guckt 'rum, was die anderen machen und hängt sich dann an irgend so 'ne Welle an. Und wenn er darauf mitreitet, kann er Erfolg haben, kann er reich sein, kann er bewundert werden, weil das merken die anderen nicht von draußen. Aber der kommt da nie dran und wird nie das Ding fühlen, dass er und das, was er macht, eine Sache sind. Weil das ist ja auch gar nicht die eine Sache. Und das ist phänomenal.
Die wussten gar nicht, wovon ich rede. Zum Beispiel wollten die diesen Kurs "Masterclass" nennen. Ich sag': "Masterclass ist das schlimmste Wort der Welt." Amis zahlen einem 'n Haufen Kohle, ein paar 100.000 Euro oder so, dass man so tut, als wüsste man was.
Windhunde in der 5th Avenue
Fischer: Und wie kommt man dahin, dass Fotograf und Foto eins werden?
Lindbergh: Das ist ganz einfach, das kriegt man durch meditieren. Weil man sich immer besser kennt und besser kennt und besser kennt und dann irgendwann ganz unmerklich geht das plötzlich zusammen. Und das ist ein tolles Gefühl. Man hat nie ein Problem, mit nichts.
Fischer: Sie, Peter Lindbergh, haben in den 80er-Jahren die Mode- und Modelfotografie verändert. Woher kam eigentlich der Antrieb dazu?
Lindbergh: Die Lust war eigentlich, dass ich mit den Frauen, die damals so fotografiert wurden, nix anfangen konnte. Und wir konnten in Paris da so ein bißchen unschuldig vor uns hinstricken, avantgardistischere Sachen machen. Aber Amerika war noch total im Repräsentationsstress. Und das fand ich immer furchtbar, finde ich heute noch furchtbar, wenn Leute sich mit Zeug behängen um zu sagen: "Guck mal, I am somebody." Das war ganz stark in 80er-Jahren, und die Covers von der amerikanischen "Vogue", die waren zwar irgendwie toll, aber man kann das ja nicht von der Zeit lösen. Das war mit Turban, Diamanten, total retuschiert ausgewaschen. Das ist ja ein Statement, wenn man sowas macht: "Ich bin zugehängt mit Statussymbolen", "mein Chauffeur wartet, ich muss jetzt gehen", "ah, mein Windhund ist noch nicht da". Das ganze Zeug. "Und jetzt gehen wir noch bei mir Tee trinken in der neunten Etage in der 5th Avenue", oder so. Das war irgendwie nicht meine Welt, da wollte ich nicht reinkommen.
Und dann hab' ich immer gesagt: "Nee, nee, interessiert mich nicht." Bis sie mich am Kragen gepackt und gesagt haben: "Hör mal, mein Lieber. Weißt Du wer wir sind? Amerikanische 'Vogue', das beste Modeheft der Welt", sagten die, aber ich mochte die Frauen trotzdem nicht. Und dann haben sie zu mir gesagt: "Dann zeig' doch mal was." Und dann hab' ich ganz unschuldig diese Fotos gemacht, mit den weißen Hemden, praktisch ohne Make-up, wir hatten großen Spaß. Und bin zurück gekommen mit den Fotos und dann haben die mich angeguckt: "Mhh, sehr schön. Was sollen wir damit machen?" Und dann kam Anna, 8 Monate später, Anna Wintour, und hat die Fotos gesehen, mir 20 Seiten gegeben und ein Cover. Vier, fünf Jahre später haben sie das Buch gemacht "On the Edge – 100 Jahre American Vogue", und jede Dekade war durch ein Foto dargestellt. Und da haben sie eins von den Fotos aus dem Papierkorb geholt, und haben es genannt: "Das wichtigste Foto der 80er Jahre". Das war eins mit den weißen Hemden, das war schon mal gut.
Fischer: Das zeugt ja von Eigensinn. Wie haben Sie entdeckt, was Sie wollen, und dass Sie etwas anderes mit den Fotos wollen, anstatt nur einen Auftrag auszuführen?
Lindbergh: Ich hab' früher immer gesagt, die bezahlen einem so viel Geld, dass man denen zuhören muss. Und dann hab' ich festgestellt, dass es genau das Gegenteil ist. Wenn die Leute einem 100.000 Dollar bezahlen, dann wollen die nicht, dass man das macht, was die wollen. Das wird zwar so präsentiert, aber letzten Endes wollen die, dass man sagt: "Das ist langweilig, guck' mal, das ist toll." Dann sagt der: "Nee, und wie willst'e dahin? Wir mögen nicht so gerne sowas." Dann sagt man: "Wir machen das schon." Das wollen die, und dafür bezahlen die einem viel Geld. Da muss man schon seinen Fuß aufstampfen, wenn man soviel Geld kriegt für irgendwas – und die kriegen schweinisch viel Geld, die Fotografen, total ungerechtfertigt, muss ich mal sagen, find' ich.
Täter sind auch Opfer
Fischer: Vor ein paar Jahren haben Sie, Peter Lindbergh, etwas ganz anderes gemacht als Fashion-Fotografie, Sie haben Insassen von Todeszellen in Florida fotografiert. Was wollten Sie da entdecken, was hat Sie dazu bewegt?
Lindbergh: Der Grund dafür ist ein bisschen pathetisch. Weil man redet immer von Tätern und von Opfern. Und was keiner denkt, ist, dass Täter genauso Opfer sind wie die Opfer von denen. Ich hab' da mal angefangen zu recherchieren - wie kann man so werden? Und alle Fälle waren genau gleich. Ein Mädchen ist jetzt hingerichtet worden, vielleicht, das hab' ich nicht verfolgt nachher, die ist von ihrem Vater und von ihrem Großvater, seit die vier Jahre alt war, vergewaltigt worden, also "abused" worden, bis 17. Da ist man nicht die gleiche Person, wie wir sind. Und das war immer so, es war immer irgend sowas. Da war keiner – oh, happy, super, Abitur, bißchen Fußball gespielt und dann plötzlich irgendwas gemacht.
Fischer: Viele Kollegen von Ihnen, Peter Lindbergh, fotografieren vor allem Elend, Krieg, Misere, während Sie das Schöne abbilden, Mode, Frauen, auch schöne Männer. Können Sie verstehen, dass man den Beruf des Fotografen auch ganz anders auslegen kann, als Sie es tun?
Lindbergh: Ja, natürlich. Und wenn sie dann gute, schöne Fotos machen – Don McCullin, Engländer, Kriegsfotograf, der machte irre Fotos und ist von anderen Fotografen kritisiert worden. Das waren wahnsinns Fotos, nicht ästhetisiert, aber die waren irgendwie toll. Und die anderen haben ihn kritisiert und ihm angehängt, dass er Sachen arrangiert. Wo er gesagt hat, Ihr spinnt doch. Das wär' schon furchtbar.
Fischer: Aber diese Art Fotografie wäre Ihre Sache nicht, oder?
Lindbergh: Hmm, eigentlich nicht. Die haben mich gefragt, Kosovo damals, und ich hab' gesagt: "Nee." Und dann sagten die, wieso? Interessiert Sie das nicht, die Misere auf der Welt? Ich hab' gesagt, das ist was ganz anderes. Da sind die Art von Fotografen, Nachtwey und so, die sind da und die riskieren ihr Leben. Und dann komm' ich da an mit zwei Fernsehteams im Rücken, fünf Interviewern und einem Superpanzer, damit man nicht abgeschossen wird, und das find ich tragisch. Annie Leibovitz hat das gemacht und war da sehr stolz drauf. Also ich weiß nicht, sich da darstellen als der gute Mensch, der auch mal was Gutes macht, das find ich irgendwie 'n bißchen pathetisch. Da sind genug Leute, die das machen, aus den richtigen Gründen vielleicht.
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