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Fotografin Lynsey Addario
Emotionale Kriegsbilder

Die Kriegsfotografin Lynsey Addario hat das Leben von Menschen in den Kriegsgebieten des 21. Jahrhunderts dokumentiert - in Afghanistan, Irak oder Syrien. Ihre Memoiren sind eine dichte und temporeiche Tour de Force durch den finsteren Wanderzirkus der Kriegsberichterstatter.

Von Katja Ridderbusch | 15.02.2016
    US-Truppen in der afghanischen Stadt Nawabad in der Provinz Kundus
    Immer nah dran: Kriegsfotografen (Imago)
    Warum sie freiwillig in den Krieg gehe, an Orte, wo das Risiko hoch ist, getötet zu werden? Fragen, die sich die amerikanische Kriegsfotografin Lynsey Addario selbst stellt – und auch beantwortet.
    It's what I do – Das ist es, was ich tue, sagt Addario im amerikanischen Rundfunk NPR. So lautet auch der lakonische Originaltitel ihrer Memoiren.
    "Jeder Moment ist Ewigkeit" – das ist der Titel der deutschen Ausgabe – erzählt die bisherige Lebensgeschichte der heute 42-jährigen Fotojournalistin. Eine Geschichte von Krieg, Gewalt und Tod, von Freundschaft und Liebe. Stoff für einen Bestseller - und Stoff für Hollywood: Star-Regisseur Steven Spielberg will das Buch verfilmen, und Jennifer Lawrence soll die Hauptrolle spielen.
    Addario beginnt ihre Memoiren mit einer Szene, die zur Achse ihres Lebens werden sollte, die ihre Geschichte einteilt in ein Vorher und ein Nachher.
    Im März 2011 wurde sie zusammen mit drei anderen Journalisten von Schergen des libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi gekidnappt – am Rande einer Stadt, die die meisten Zivilisten bereits verlassen hatten, weil ein Großangriff drohte.
    "Wir Journalisten möchten immer noch weiter berichten, bis zu der unvorhersehbaren letzten Sekunde, in der wir verwundet werden, in Gefangenschaft geraten oder sterben. Wir sind von Natur aus gierig. Wir wollen immer noch ein bisschen mehr als wir bereits haben."
    Fernweh ist ein ständiger Begleiter
    An dieser Stelle macht Addario einen harten Schnitt - und erzählt in den folgenden Kapiteln von ihren Eltern, einem unkonventionellen und lebenslustigen Friseur-Ehepaar in Connecticut. Von der Kamera, die sie als Kind geschenkt bekam und nicht mehr aus den Händen legte. Schon früh packte sie das Fernweh, sie lebte in Argentinien und Indien, später in der Türkei.
    Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ging sie nach Afghanistan, dann in den Irak, reiste zwischendurch in den Sudan und nach Darfur. Sie wurde bei einem Autounfall schwer verletzt, sah Freunde und Kollegen sterben.
    "Wenn deine Bilder nicht gut genug sind, warst du nicht nah genug dran", hat Robert Capa, der legendäre Kriegsfotograf, gesagt. Auch Addario arbeitet sich an dem Capa-Zitat ab:
    "Es geht ja nicht nur darum, körperlich nah dran zu sein, sondern auch emotional. Es ist wichtig, die Mauer zwischen dem Fotografen und seinen Objekten zu durchbrechen."
    Die Autorin beschreibt, wie sie 2008 mit einer Einheit der US-Armee in Afghanistan in einen Hinterhalt der Taliban geriet. Zwei Soldaten wurden verletzt, einer getötet. Mit einer kleinen Geste, dem leichten Anheben der Kamera, bat sie die Männer, die gerade dem Tod entronnen waren, um Erlaubnis – und drückte dann auf den Auslöser, während sich die Verletzten zum Sanitätshubschrauber schleppten und Soldaten den Körper ihres Kameraden in einem Leichensack trugen.
    "Ich glaube, das war einer der Momente, in denen ich nah genug dran war. Und ich war nah genug dran, weil ich Zeit investiert, weil ich wochenlang mit dieser Einheit gelebt hatte. Die Soldaten waren mit meiner Anwesenheit vertraut. Das wäre vielleicht anders gewesen, wenn ich erst ein paar Tage vorher aufgetaucht wäre."
    Entführung in Libyen verändert ihr Leben
    Addarios Kriegsbilder wurden in der New York Times, in National Geographic und im TIME Magazine veröffentlicht. Sie erhielt zahlreiche Auszeichnungen, darunter auch den Pulitzer-Preis.
    Erst im letzten Drittel ihres Buches kehrt die Autorin zu der Schlüsselszene vom Anfang zurück. Sie beschreibt, wie sie und ihre drei Kollegen 2011 von libyschen Soldaten gefangen genommen, gedemütigt, geschlagen, bedroht wurden.
    Nach fünf Tagen wurden die Reporter freigelassen. Für Addario war das Kidnapping Anlass, mit ihrem Mann Paul, einem britischen Journalisten, endlich eine Familie zu gründen. Sohn Lukas ist heute vier Jahre alt.
    Die glückliche Wende war nicht unbedingt abzusehen, denn:
    "Ich hatte bis dahin kein Privatleben. Ich habe es versucht, aber es war eine Katastrophe. Ich hatte Beziehungen, aber ich wollte mich nicht wirklich darauf einlassen. Ich bin immer wieder zurückgekehrt an die Front, da habe ich mich am wohlsten gefühlt."
    Addario beschreibt, was alle Kriegsreporter zu allen Zeiten erfahren: die Schwierigkeit, sich in der Normalität zurechtzufinden. Die Diskrepanz zwischen dem extremen, dem herausgehobenen Leben im Kriegsgebiet und der Banalität des Alltags. Als eine Freundin ihr schreibt, dass sie gerade im Park die Zeitung gelesen habe, reagiert sie so:
    "Ich konnte mich nicht erinnern, wann ich zum letzten Mal einen Morgen so verbracht hatte: einen Morgen, an dem ich nicht aufwachte und auf das Dach hinauslief, um nachzuschauen, wo an diesem Tag der Bombenrauch aufstieg, oder einer verzweifelten Frau zusah, die in zugebundenen Plastiksäcken nach den Überresten ihres Sohnes suchte."
    Addario arbeitet noch immer als Kriegsfotografin, zuletzt im Libanon und in Syrien. Aber ihre Familie habe sie vorsichtiger werden lassen, schreibt sie. Deshalb konzentriert sie sich heute stärker darauf, Leben und Leiden der Zivilisten zu dokumentieren. Und sie versucht, sich von direkten Kampfhandlungen fern zu halten – wohl wissend, dass asymmetrische Kriege keine klaren Fronten kennen.
    Manchmal habe sie Zweifel, ob sie als Fotografin noch immer nah genug dran sei, sagt sie, nicht ohne einen Schuss Selbstironie.
    "Ich glaube, ich bin keine sehr gute Kriegsfotografin. Weil ich oft vergesse zu fotografieren, weil ich immer zuerst darauf aus bin, dass ich am Leben bleibe, bevor ich irgendetwas anderes tue."
    "Jeder Moment ist Ewigkeit": Lynsey Addarios Memoiren sind eine dichte, temporeiche, manchmal atemlose, aber nie langweilige Tour de Force durch den finsteren Wanderzirkus der Kriegsberichterstatter. Die stärksten Momente des Buches sind jene, in denen die Autorin inne hält – bei der Beschreibung einer Szene am Rande, den Details im Hintergrund, den Farben, den Gesten, den Faltenwürfen der Burkas. Wie auf einem Foto mit hoher Tiefenschärfe.
    Lynsey Addario: Jeder Moment ist Ewigkeit. Als Fotojournalistin in den Krisengebieten der Welt. Aus dem Amerikanischen von Stephan Gebauer.
    Ullstein, Berlin, 2016. 352 Seiten, 25 Euro