Donnerstag, 28. März 2024

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Fotojournalist Massoud Hossaini
"Die Taliban haben mir alles genommen"

Der Fotojournalist und Pulitzer-Preisträger Massoud Hossaini konnte fast zwei Jahrzehnte frei aus Afghanistan berichten - bis zur Machtübernahme der Islamisten. Nun muss er seine Heimat erneut verlassen. Der Westen habe sich von der Medienarbeit der Taliban täuschen lassen, sagte Hossaini im Dlf.

Massoud Hossaini im Gespräch mit Christoph Sterz | 23.08.2021
Der Fotograf Massoud Hossaini zeigt auf ein Foto, für das er mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet wurde.
Der Fotograf Massoud Hossaini bei der Verleihung des Pulitzer-Preises 2012 (AFP/ Saul Loeb)
Ein Mädchen steht schreiend zwischen blutenden Menschen und teils leblosen Körpern; kurz zuvor hatte ein Selbstmordattentäter in einer Gruppe von Menschen eine Bombe gezündet. Für dieses Foto wurde Massoud Hossaini 2012 mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet, einem der weltweit renommiertesten Preise für Journalismus. Hossaini hatte zu diesem Zeitpunkt schon seit Jahren sowohl die politischen Ereignisse als auch den Alltag der Menschen in Afghanistan dokumentiert. Dabei reiste er in abgelegene Dörfer und war teilweise als embedded journalist mit US-Truppen unterwegs.

Auswirkungen der afghanischen Politik

Die wechselvolle Geschichte und die Machtverschiebungen in Afghanistan haben das Leben von Massoud Hossaini geprägt. Geboren wurde er 1981 in der afghanischen Hauptstadt Kabul, während der sowjetischen Besatzung des Landes. Weil Hossainis Vater gegen die kommunistische Regierung stand, die von der Sowjetarmee unterstützt wurde, musste die Familie das Land schon wenige Monate nach der Geburt verlassen und in den Iran fliehen. Hier wuchs Hossaini auf.
Nach seinem Schulabschluss im Jahr 1996 schloss er sich der iranischen Reformbewegung als politischer Aktivist an – und er begann, die Ereignisse um ihn herum mit seiner Kamera festzuhalten. So fotografierte er etwa afghanische Flüchtlinge in Mashhad, der zweitgrößten Stadt des Iran.

Mit dem letzten Linienflug weg von der Heimat

Mit den Anschlägen des 11. September 2001 und dessen Folgen veränderte sich der Fokus für Massoud Hossaini. Nach dem Einmarsch der USA und anderer westlicher Truppen in Afghanistan kehrte er Anfang 2002 in seine Heimat zurück. Bald bekam er professionelle Aufträge als Fotojournalist und begann 2007 seine Tätigkeit für den Bilddienst der Nachrichtenagentur Agence France-Presse (AFP) sowie für Associated Press (AP).
Mit dem Vormarsch der Taliban 2021 verändert sich die Lage für Journalistinnen und Journalisten grundlegend und Hossaini musste Afghanistan erneut verlassen. Kurz vor der Eroberung Kabuls Mitte August verließ er die Hauptstadt mit dem letzten Linienflug von Turkish Airlines in Richtung Europa.

"Wieder bei Null angekommen"

Aus seiner Sicht haben die Taliban durch die Verbreitung von Desinformation den Westen getäuscht, außerdem nutzten sie nun die Bilder vom Chaos am Flughafen in Kabul, so Hossaini: "Sie lenken damit von einer Wirklichkeit ab, außerhalb vom Flughafen, außerhalb von Kabul – einer Wirklichkeit, über die die internationale Gemeinschaft unbedingt mehr erfahren müsste."
Zunächst wurde Massoud Hossaini in den Niederlanden ein befristetes Visum ausgestellt, eine Perspektive hat er nach eigener Aussage nicht: "Ich muss wieder ganz von vorne anfangen. Dabei war ich jemand in Afghanistan, und Afghanistan war alles für mich. Und jetzt habe ich nichts mehr. Ich bin wieder bei Null angekommen."
Kinder in einem Flüchtlingscamp in Kabul.
Fast 20 Jahre lang hat der Fotograf Massoud Hossaini den Alltag in seinem Heimatland Afghanistan dokumentiert. 2011 entstand dieses Foto von Kindern in einem Flüchtlingslager in Kabul (AFP/ Massoud Hossaini)

Das Interview mit Massoud Hossaini in voller Länge:
Christoph Sterz: Sie haben die letzten 20 Jahre in Afghanistan gelebt, Bilder gemacht in gefährlichen Situationen, den Angriff auf eine Hochschule in Kabul überlebt und sind schon oft persönlich angefeindet worden von den Taliban. Aber Sie sind bisher immer geblieben in Ihrer Heimat. Wie ist das gekommen, dass Sie diesmal Ihr Land verlassen mussten?
Massoud Hossaini: Gemeinsam mit einer Kollegin habe ich im Norden Afghanistans recherchiert, und zwar diese Geschichte: Nachdem die Taliban dort ein Dort erobert haben, fragen sie die Dorfältesten nach einer Liste mit Namen der unverheirateten Mädchen. Und zwar, um diese Mädchen mit ihren Kämpfern zwangszuverheiraten. Das würden sie nicht in den großen Städten tun, denn dort sind zu viele Menschen, die darüber im Internet auf Social Media berichten würden. Auf dem Land geht es den Taliban darum, so in die Gesellschaft einzudringen – und, wie bei einem Völkermord, das bisherige Leben auszulöschen. Sie sind davon ausgegangen, dass Journalisten – auch ausländische Journalistinnen – dort niemals recherchieren würden. Wir aber haben genau das getan und mit Frauen gesprochen, die uns bei laufender Kamera von den Listen und von ihrer Flucht erzählt haben. Daraufhin wurde mein Profil in sozialen Netzwerken geteilt und mir Rache angedroht. Als das passiert ist – und mir dann auch noch klar geworden ist, dass wir keine handlungsfähige Regierung mehr haben, habe ich entschieden, dass ich Afghanistan sofort verlassen muss.
Das Interview mit Massoud Hossaini im englischen Original (11:06)
(Deutschlandfunk, @mediasres, 23.08.2021)
Sterz: Aber noch gibt es etliche Journalisten in Afghanistan. Haben Sie noch Kontakt zu ihnen?
Hossaini: Ja, mit Menschen in Kabul und in anderen Provinzen. Jeden Morgen bin ich mit ihnen in Kontakt – und sie erzählen mir, was die Taliban gerade in ihrer Region anrichten. Wenn ich dann die Berichte internationaler Medien danebenlege, merke ich, wie wenige Geschichten aktuell tatsächlich in den Medien erzählt werden. Denn die Taliban verhindern zum Beispiel, dass Fotos oder Videos gemacht werden. Leider hat sich der Westen täuschen lassen von einer Pressekonferenz in Kabul vergangene Woche. Dort, im Pressezentrum der Regierung, erklärten die Taliban, sie wären einverstanden mit Pressefreiheit, mit der Arbeit von Journalistinnen und mit der von Medien. Dass die Taliban genau eine Woche zuvor noch den bisherigen Leiter genau dieses Pressezentrums ermordet haben – darüber haben dann die wenigsten westlichen Medien berichtet.

Desinformation der Taliban per Social Media

Sterz: Sie sagen, den Taliban ist es gelungen, die Welt zu blenden. Und dazu gehört dann auch, Menschen wie Sie zu stoppen; Journalisten, die Bilder vor Ort machen?
Hossaini: Genau das ist ihre Strategie. Und sie haben jetzt so viel Macht, dass sie das machen können. Sie selbst stiften das Chaos, das wir gerade erleben, und erklären dann: Seht her, was der Westen angerichtet hat, gemeinsam mit einem Präsidenten, den der Westen unterstützt hat. Die Situation am Flughafen von Kabul haben die Taliban orchestriert – und instrumentalisieren jetzt die Medien dafür, darüber zu berichten. Die Taliban lenken damit von einer Wirklichkeit ab, außerhalb vom Flughafen, außerhalb von Kabul – einer Wirklichkeit, über die die internationale Gemeinschaft unbedingt mehr erfahren müsste.
Ein Soldat der ISAF-Truppen in Afghanistan marschiert mit einem Maschiniengewehr durch Kabul während er von Männern am Straßenrand beobachtet wird
Ein Soldat der ISAF-Truppen in Afghanistan im Jahr 2008 (AFP/ Massoud Hossaini)
Sterz: Sie sagen, die Taliban haben den Propaganda-Krieg gewonnen. Was genau meinen Sie damit?
Hossaini: Als ich in den vergangenen Monaten über den Eroberungsfeldzug der Taliban berichtet habe, gab es auf Social Media jedes Mal Berichte darüber, dass eine Stadt bereits gefallen ist, noch bevor das tatsächlich der Fall war. Das habe ich in Herat erlebt und auch in Kabul. In Herat gab es drei Nächte in Folge solche Meldungen, obwohl die Taliban dort noch gar nicht die Macht übernommen hatten. Das waren Gerüchte, über die die Menschen gesprochen haben. Dasselbe dann in Kabul – aber alles nur Propaganda! Das bedeutet, den Taliban ist es bereits zu diesem Zeitpunkt gelungen, auch die westlichen Medien zu erreichen – und sie zu täuschen. Sie haben Social Media genutzt, um Städte zu erobern und den Krieg zu gewinnen.

"Die Taliban haben mir alles genommen"

Sterz: Das ist interessant: In Deutschland herrscht immer noch ein Bild vor, die Taliban wären Steinzeitmenschen, die beispielsweise Social Media nicht zu nutzen wissen. Das ist also ein falsches Bild?
Hossaini: Deshalb sage ich, dass der Westen getäuscht wird. Die Taliban sind sehr umtriebig auf Facebook, Twitter und Telegram. Sie legen Fake-Seiten an, auf die selbst so jemand wie der Widerstandskämpfer Ahmad Massoud reingefallen ist, der Sohn des afghanischen Widerstandshelden Ahmad Massoud. Sie verbreiten auf diesen Seiten Falschmeldungen, und die Leute nehmen das dann für bare Münze.
Menschen laufen mit ihren Tieren durch eine verschneite Landschaft im Bamiyan-Tal, Afghanistan
Aufnahme aus dem Bamiyan-Tal in Afghanistan (AFP/ Massoud Hossaini)
Sterz: Sie sind seit einer Woche in Sicherheit in den Niederlanden. Aber geht es Ihnen auch gut? Was ist Ihr Plan? Warten Sie ab, wie sich die Lage in Afghanistan entwickelt und hoffen, dass sie sich vielleicht doch wieder bessert?
Hossaini: Für mich persönlich ist das der traurige Teil dieses ganzen Dramas: Ich habe erst mal keinen Plan. Ich weiß nicht, wie lange mein Reisepass noch anerkannt wird. In Afghanistan gibt es keine Regierung mehr, die Taliban haben mir alles genommen: mein Land, mein Zuhause, meine Freunde, meine Arbeit, alles, was ich die letzten 20 Jahre hatte. Und auch die jungen Fotografinnen und Fotografen, die ich in dieser Zeit ausgebildet habe, müssen das Land verlassen. Mein niederländisches Visum endet in wenigen Tagen. Und ich weiß nicht, ob es verlängert wird – oder ob ich woanders hinmuss und wohin und was ich machen kann. Für mich ist das gerade die große Frage. Ich muss wieder ganz von vorne anfangen. Dabei war ich jemand in Afghanistan, und Afghanistan war alles für mich. Und jetzt habe ich nichts mehr. Ich bin wieder bei Null angekommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.