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Fragen nach der politischen Schnittmenge für eine tragfähige Koalition

Der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestages, Wolfgang Bosbach, hat CDU und SPD in Nordrhein-Westfalen zur Kompromissbereitschaft aufgerufen. Bei den anstehenden Verhandlungen zur Großen Koalition könne keine Partei ihre Forderungen zu 100 Prozent durchsetzen, sagte der CDU-Politiker.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Wer geglaubt hatte, dass an Rhein und Ruhr alles auf Rot-Rot-Grün hinausläuft, nachdem die Liberalen ihr Gesprächsangebot für eine Ampel endgültig zurückgezogen hatten, der sieht sich getäuscht, ebenso wie jene, die glaubten, SPD und Grüne würden beide Augen zudrücken, wenn es um das Staats- und Geschichtsverständnis der Linken in NRW geht. Nach fünfstündigen Beratungen gab SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft bekannt, dass die Gespräche gescheitert seien. Nun werde man mit der CDU von Ministerpräsident Jürgen Rüttgers über die Bildung einer Großen Koalition sprechen.

    Am Telefon begrüße ich Wolfgang Bosbach, den Vorsitzenden des Innenausschusses. Er sitzt für die NRW-CDU im Deutschen Bundestag. Guten Tag, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Tag, Herr Heckmann!

    Heckmann: Die CDU hat Hannelore Kraft im Wahlkampf immer unterstellt, dass sie sich auf jeden Fall auf Die Linke einlassen werde, egal wie hoch der Preis auch sein würde – eine Unterstellung, die sich als falsch herausgestellt hat.

    Bosbach: Frau Kraft hat ja Gespräche mit der Linkspartei geführt, um auszuloten, ob es eine Koalitionsmöglichkeit gibt. Auf eine solche Idee wäre die CDU niemals gekommen, weil für die Union die Linkspartei niemals Gesprächs-, Verhandlungs-, geschweige denn Koalitionspartner sein könnte. Offensichtlich ist Frau Kraft heute desillusioniert.

    Heckmann: CDU und SPD loten jetzt die Chancen für eine Große Koalition in Düsseldorf aus. Hannelore Kraft fordert dazu aber einen eindeutigen Politikwechsel. Ist die CDU dazu bereit, denn muss die CDU nicht auch einsehen, dass ihre Politik abgewählt ist?

    Bosbach: Richtig ist, dass Schwarz-Gelb abgewählt worden ist. Wir haben keine Mehrheit. Das gilt allerdings auch für Rot-Grün. Die SPD tut im Moment so, als hätte sie bei der Wahl gewaltig an Stimmen gewonnen. Dabei hat sie auch an Zustimmung verloren, wenn auch nicht so stark wie die Union.

    Wenn man eine Koalition anstrebt, dann muss man kompromissbereit und kompromissfähig sein. Das gilt natürlich auch für die CDU. Keine Partei kann erwarten, dass ihre politischen Vorstellungen von der jeweils anderen Seite zu 100 Prozent übernommen werden. Aber man muss bei jeder einzelnen Sachfrage, bei jedem einzelnen Kompromiss, der angestrebt wird, immer genau überlegen: komme ich meinem politischen Ziel wenigstens ein Stück näher, wenn ich es nicht schon komplett erreichen kann, oder laufe ich in die entgegengesetzte Richtung, mache ich das Gegenteil von dem, was ich eigentlich für politisch richtig halte. So wird man jetzt Politikfeld für Politikfeld abarbeiten müssen, um festzustellen: ist die politische Schnittmenge für eine tragfähige Koalition groß genug oder nicht. Auf keinen Fall kann die Methode angewandt werden, egal was wir vereinbaren, Hauptsache wir bleiben in der Regierung.

    Heckmann: Wie kompromissbereit ist die CDU in der Frage des Amtes des Ministerpräsidenten? Anders gefragt: Ist die CDU bereit, auf dieses Amt zu verzichten, wie die SPD ja immer wieder gefordert hat?

    Bosbach: Die SPD soll uns doch mal ein einziges Beispiel nennen aus 60 Jahren Bundesrepublik Deutschland, wo sie, die SPD, die stärkste Partei beziehungsweise stärkste Fraktion geworden ist, im Bund oder in den Ländern, und anschließend darauf verzichtet hat, den Regierungschef zu stellen. Mir ist kein einziger Fall bekannt. Es steht natürlich nicht in der Verfassung, aber das ist doch ein ungeschriebenes politisches Gesetz, dass bei der wichtigsten Personalentscheidung dann die Partei am Zuge ist, die die meisten Stimmen bekommen hat, und das ist in Nordrhein-Westfalen nun mal die CDU gewesen.

    Heckmann: Die Anzahl der Sitze im Landtag ist gleich.

    Bosbach: Da haben Sie Recht. Deswegen habe ich ja auch von der Partei gesprochen, von der Zustimmung bei den Wählern. Wir haben 6.200 Stimmen mehr als die SPD. 1 zu 0 ist auch gewonnen.

    Heckmann: Was, Herr Bosbach, bedeutet das Aus für Rot-Rot-Grün für die Fantasien auf Bundesebene? Der SPD im Bund wurde ja in den vergangenen Tagen immer wieder nachgesagt, dass sie eigentlich gegen ein solches rot-rot-grünes Bündnis in Nordrhein-Westfalen ist, um eine mögliche Koalition im Bund später nicht zu gefährden.

    Bosbach: Ja, aber im Moment haben wir nicht die Sorgen, wie sieht jetzt eine Koalition in der neuen Wahlperiode des Bundes aus, sondern wie geht es im Bundesrat weiter. Eins ist klar: Eine Regierungskonstellation in Nordrhein-Westfalen ohne die SPD kann es nicht geben. Sie ist zwar nicht die stärkste Partei geworden, aber sie hat verschiedene Optionen. Zwei Optionen sind ihr jetzt entfallen, das ist die Ampel-Koalition, weil die FDP aus guten Gründen Nein sagt, und eine Koalition mit der Linkspartei. Bleibt für die SPD jetzt die Große Koalition. Unterstellen wir beide einmal in dem Gespräch, es kommt zu dieser Koalition, dann haben wir veränderte Mehrheiten im Bundesrat. Damit sitzt die SPD immer virtuell am Kabinettstisch in Berlin mit, denn die schwarz-gelbe Regierung dort muss immer überlegen, was bedeutet diese Entscheidung für die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat und können wir jedenfalls bei zustimmungspflichtigen Gesetzen dort eine Mehrheit bekommen, und deswegen wird bei einer Großen Koalition in Düsseldorf das Regieren in Berlin für die jetzige Bundesregierung nicht einfacher.

    Heckmann: Über den Bundesrat sitzt die SPD praktisch mit am Kabinettstisch, Sie haben es gesagt. Manch einer sehnt sich in Berlin schon nach einer Rückkehr der Großen Koalition. Wäre es vor diesem Hintergrund nicht sinnvoll, auf die FDP in der Regierung zu verzichten?

    Bosbach: Nein, ich habe diese Träume nicht, diese Sehnsüchte. Große Koalitionen waren in den letzten 60 Jahren immer die Ausnahme und sie sollten es auch bleiben. Es ist richtig, dass die Große Koalition auf Bundesebene in der letzten Wahlperiode im Großen und Ganzen gute Arbeit geleistet hat. Insbesondere bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sie schnell und richtig gehandelt und sich daher bewährt. Aber man sollte die Große Koalition auch nicht verklären. Es gab eine ganze Reihe zum Teil fundamentaler Meinungsverschiedenheiten zwischen den Koalitionären und ich bin immer noch, auch heute noch der Überzeugung, dass die Schnittmenge zwischen der Union und der FDP größer ist als zwischen der Union und der SPD.

    Heckmann: Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Er gehört der CDU an. Herr Bosbach, ich danke Ihnen für das Gespräch und noch einen schönen Tag.