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Francos Erbe

In seinem Roman "Das Leben in Rot" holt Isaac Rosa das nach, was 1975 versäumt wurde: die Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Er zeigt die Verflechtungen zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht sowie einen Polizeiapparat, der sich seiner Geschichte immer noch nicht gestellt hat.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 23.11.2009
    Isaac Rosa, 1974 in Sevilla geboren, hat weder den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939) noch die nachfolgende Franko-Diktatur (1939-1975) miterlebt, kennt folglich diese Ära nur aus Erzählungen, Büchern, Filmen und Fernsehserien. Nichtsdestotrotz setzt er sich in Romanen wie
    "Otra Maldita Novela sobre la Guerra civil" (Noch ein verfluchter Roman über den Bürgerkrieg) und "Das Leben in Rot" mit den Spätfolgen dieses Regimes auseinander, wobei sich Isaac Rosa besonders für das Was und Wie des Erzählten und Erinnerten interessiert. Für den Roman "Das Leben in Rot" – er wurde 2008 von Andrés Linares verfilmt - erhielt Isaac Rosa mehrere Auszeichnungen, darunter den angesehenen Rómulo Gallegos Literaturpreis. In seiner Dankesrede erklärte er 2005 in Caracas:

    "Das Leben in Rot" ist kein Roman über den Franquismus, vielmehr ein Roman über die Belastung der Gegenwart durch die Vergangenheit, über die Form, wie sich der Diskurs über die Vergangenheit herausbildet für seine Verwendung in der Gegenwart. Ich habe absichtlich die reflexive Form 'sich herausbilden' benutzt, als ob der Diskurs sich selbst generierte. So scheint es manchmal, da wir nicht glauben, an dieser Konstruktion beteiligt zu sein. Wer sonst konstruiert diesen Diskurs, diese Erinnerung, deren bloße Benutzer wir sind?"

    Das klingt trocken und abgehoben und ist eher zu verstehen, wenn man sich die heftigen Debatten vergegenwärtigt wie sie in Spanien seit ein paar Jahren über den Umgang mit einer Vergangenheit geführt werden, die unzulässig verharmlost und nie richtig aufgearbeitet wurde. Nach Francos Tod war der Übergang zur Demokratie - die sogenannte "transición" - nur möglich dank eines Schweigeabkommens mit der Linken. Die sah 1975 von einer öffentlichen Vergangenheitsbewältigung ab und begünstigte so eine kollektive Amnesie, die Isaac Rosa wie folgt beschreibt:

    "Ich rede (...) von den Friedhofsmauern, in denen immer noch Einschusslöcher zu sehen sind, von unzähligen Gräbern an Ortsausgängen, die bis heute nicht aufgearbeitet wurden und von den Nachbarn noch immer auf den Zentimeter genau verortet werden können, um die sich viele lokale Legenden ranken, die mit leiser Stimme weitererzählt werden, von Massenmorden, die einer Straße, einem Platz, einem Monument bis heute ein schwieriges Erbe und zweifelhaften Ruhm beschert haben, und das wird immer so weitergehen, weil es sich ja nicht lohnt, in den alten Geschichten zu wühlen, die Zeit heilt die Wunden, wir sind eine andere Generation, nur Ewiggestrige interessieren sich dafür, etwas aufzuarbeiten, was niemand mehr interessiert, das nur dann von Interesse ist, sagen wir mal, wenn es gut literarisch verarbeitet ist."

    Isaac Rosa situiert den Roman in den letzten Jahren der Francodiktatur, in denen linke Studenten anfangen, gegen das Franco Regime zu protestieren, was ein repressiver Polizeiapparat mit allen Mitteln zu verhindern versucht. Nicht nur an den Universitäten ist das soziale Klima vergiftet, Angst und Misstrauen gedeihen in einer Gesellschaft von Spitzeln und Denunzianten, wo jeder jederzeit Verdacht erregen kann, beispielsweise die Protagonisten des Romans. Hat der Literaturprofessor Julio Denis, der sich jahrzehntelang aus der Politik herausgehalten hat, nicht doch gemeinsame Sache gemacht mit Andrés Sánchez, einem der Rädelsführer der Proteste, als er sich am Vorabend einer Großdemonstration kurz mit ihm traf?

    Julio Denis, Literaturprofessor mit Spezialgebiet Barockliteratur sowie Andrés Sánchez, kommunistischer Kämpfer und Verbindungsmann zwischen der spanischen KP und den Studenten, werden verhaftet, verhört, womöglich gefoltert. Anschließend wird der Professor um Amt und Würde gebracht und nach Frankreich abgeschoben. Der Studentenführer Andrés Sánchez "verschwindet" und außer seiner Großmutter interessierte sich damals niemand für seinen Verbleib.

    Sprachkritisch und doch spielerisch untersucht Isaac Rosa die entscheidenden Momente im Leben des karriereorientierten Professors und des aufbegehrenden Studentenführers. Dabei macht er es sich nicht leicht; bezweifelt jedoch den Wahrheitsgehalt offizieller Lesarten und Legenden und versucht, ihre Biografien auf dem Hintergrund einer brutalen Diktatur zu erhellen. Isaac Rosa hütet sich vor Schwarzmalerei, experimentiert mit dem Erzählen und offeriert dem Leser mit maliziösem Augenzwinkern und aberwitzigem Humor gleich mehrere Versionen derselben Geschichte: Die Franco Diktatur mal als historischer Roman, mal als wütender Aufschrei radikaler Leser, mal als Pastiche des spanischen Heldenepos "El Cantar del mio Cid" (Der Gesang von meinem Cid). Schritt für Schritt arbeitet er sich zum Wesen der Diktatur vor, zum nüchternen Polizeibericht über qualvolle Verhörmethoden und grausame Folterpraktiken. Die beginnen mit Drohungen und Einschüchterungen, die Isaac Rosa wie folgt beschreibt:

    "Du hast sicher gedacht", sagte der Mann "als du in der Universität Flugblätter verteilt hast und zu den Versammlungen gegangen bist, dass du die Klappe halten wirst, falls du eines Tages geschnappt werden solltest, du hältst dich wohl für einen Kämpfer, der keine Folter fürchtet, aber du wirst sehen, dass du dich täuschst. Bisher wurde dir lediglich ein Schlag verpasst, sogar ein leichter, wenn du aber nicht reden willst, dann werden die fester werden und gegebenenfalls gehen wir dann doch noch in einen anderen Saal und probieren ein paar andere Methoden aus. Du bist aber doch ein intelligentes Bürschchen, nicht wahr?" Fragte er mich. Ich war so klein mit Hut, gleichzeitig aber so wütend, obgleich die Angst noch viel stärker war als die Wut. Mein Schweigen hatte nichts mit heldenhaftem Widerstand zu tun, sondern nur mit reinem Unwissen."

    Isaac Rosa holt in seinem Roman das nach, was 1975 versäumt wurde: die rigorose Aufarbeitung der Franco-Diktatur. Er zeigt die Verflechtungen und Verfilzungen zwischen politischer und wirtschaftlicher Macht, das geistige Mittelmaß an Universitäten und Verlagen sowie einen Polizeiapparat, der sich seiner Geschichte immer noch nicht gestellt hat.
    "Bis zum heutigen Tag lassen sich der bereits vier Jahrzehnte währende Einfluss der franquistischen Sicherheitskräfte beobachten, deren Ausbildungsmethode habe mehrere Generationen von Ordnungshütern geprägt; durch den halbherzigen Übergang zur Demokratie sei es nicht nur versäumt worden, die Funktionäre zur Verantwortung zu ziehen, die an der Unterdrückung beteiligt gewesen seien, sondern hätten diese Leute sogar ihre Posten behalten dürfen (...). Besagte Leser werden nicht müde, dem Autor Hunderte angeblich realer Anzeigen zukommen zu lassen, die vor allem Fälle mit minderjährigen Straftätern betreffen, die zusammengeschlagen oder in Folterkellern gedemütigt worden seien, Immigranten, die aus dem Land ausgewiesen wurden (dem war auch ein Bericht einer kuriosen Organisation beigelegt, die sich Amnesty International schimpft). Sobald friedliche Mitbürger Anschuldigungen gegen die Brutalität eines Polizisten erheben, bekommen sie diese Brutalität umgehend im Kommissariat am eigenen Leib zu spüren."

    Bleibt nur zu hoffen, dass Isaac Rosas 2008 erschienener Roman "El Pais del Miedo" (Das Land der Angst) bald übersetzt wird, untersucht er da doch die diffusen Ängste einer urbanen Gesellschaft und ihre überzogenen Sicherheitsmaßnahmen.


    Isaac Rosa: "Das Leben in Rot". Aus dem Spanischen von Ralph Amann,
    Frankfurter Verlagsanstalt , 347 Seiten, 22,90 Euro.