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Frank Böttcher: "Belegexemplar"
Höhen und Tiefen des Kleinverlegerdaseins

In der Nachwendezeit gründete Frank Böttcher seinen Lukas Verlag für Kunst- und Geistesgeschichte in Berlin. Es gab schwierige Zeiten - aber kein Beruf sei großartiger, so der Verleger. In seinem Buch zum 25-jährigen Jubiläum gibt er Einblicke in die Tops und Flops der Bücherproduktion.

Von Ralph Gerstenberg | 02.11.2020
Der Verleger Frank Böttcher vom Lukas Verlag
Bücher machen ohne Verfallsdatum - die Devise des Verlegers Frank Böttcher vom Lukas Verlag (Lukas Verlag)
"Da oben, da fängt es wirklich chronologisch an, und bis auf wenige Ausnahmen sind es immer zwei Exemplare, die eiserne Reserve, die nicht rausgehen darf."
Im Jubiläumsjahr hat es Frank Böttcher geschafft, das Bücherregal in den Räumen seines Lukas Verlages neu zu sortieren.
"Das sind so geschätzt 550. Und ich würde sagen, so 450 sind noch lieferbar davon." - Autor: "So viele noch lieferbar?" - "Doch, doch wir sind ein ganz schlechter Ramscher. Und ich habe ja auch als Verlagsmotto etwas großspurig gesagt: Bücher ohne Verfallsdatum."
Das gut geordnete Regal zeugt nun vom breiten Spektrum kunst- und geisteswissenschaftlicher Publikationen des Verlages. Da steht ein Buch über die "Zisterzienser und ihre Weinberge in Brandenburg" neben den Erinnerungen der Holocaust-Überlebenden Éva Fahidi, eine Studie über die Gospelphase von Bob Dylan neben einem "Wörterbuch der DDR Soldatensprache", ein Band über "Mosaiken im postsowjetischen Raum" neben einer Monografie des Bildhauers Theodor Kalide. Im Herbst 1995 fing Frank Böttcher an, seine "Bücher ohne Verfallsdatum" herauszubringen. Sein Verlag, den er als "im Kern akademisch" bezeichnet, ist eine typische Nachwendegründung und hat seinen Sitz nach wie vor in der Kollwitzstraße in Berlin-Prenzlauer Berg.
"’90 bin ich hier eingezogen in das Haus, im Sommer, oben im Seitenflügel, bin dann ’95/’96 nach vorne gezogen, ins Vorderhaus. Dann wurde die Parterre-Wohnung frei, die musste umgewidmet werden zum Gewerberaum … Das isses, mehr isses nicht, es sind 63 Quadratmeter."
Die Grundlagen fürs Büchermachen hat der 1960 in Lutherstadt Wittenberg geborene Diplomlehrer und promovierte Kunstwissenschaftler Anfang der neunziger Jahre als Mitarbeiter bei einem Kreuzberger Kleinverlag erlernt. Einen Startkredit für seine Idee, sich als Verleger selbständig zu machen, hat Böttcher bei seiner Sparkasse beantragt.
"Ich weiß, ich hab mir extra noch die Haare geschnitten damals, um seriös auszusehen. Ja, die haben abgewunken."
Autoren aus dem Freundeskreis
Das Geld für einen Laserdrucker, einen Scanner und einen brauchbaren Rechner bekam er schließlich von seinen Eltern. Der Verlag, der nach seinem Sohn Lukas benannt ist, befand sich in den Anfangsjahren in der eigenen Mietwohnung, und seine Autoren rekrutierte der Neuverleger im Freundeskreis.
"Leute, die mein Alter oder ein oder zwei Jahre jünger waren, also Anfang dreißig, und aus dem Osten kamen und in den Westen starteten. Das war das eine. Und das andere: Ich hatte gute Freunde in Westberlin, der eine war FAZ-Autor, der brachte aus seinem Bekanntenkreis auch einiges rein, zum Beispiel Rahel Jaeggi, die ihre Magisterarbeit über Hannah Arendt bei mir veröffentlicht hatte, heute ist sie Professorin an der Humboldt Uni und veröffentlicht nicht mehr bei mir, sondern bei Suhrkamp. Also das lief stark über diese Freunde. Und ja, das war der Kern."
In seinem Buch "Belegexemplar" schaut Frank Böttcher nun zurück auf "Fünfundzwanzig Jahre Lukas Verlag". Neben der Präsentation einiger Tops und Flops seiner Bücherproduktion gibt er darin offenherzig Einblicke in die Höhen und Tiefen seines Kleinverlegerdaseins. So heißt es unter anderem:
"Wie großartig der Job der Verlegerei ist, das kann man in jeder Ausgabe des Börsenblatts nachlesen … Sehr viel seltener ist in all den Artikeln, in denen eine eigentlich von Krisen gebeutelte Branche sich selbst Mut zuspricht, davon die Rede, wie hart dieser Beruf auch sein kann … Denn die Involvierten rackern sich ja angeblich aus heiliger Berufung, aus edlem Dienst an etwas Höherem ab: an der Literatur!, dem Geist!, der Sprache!, der Demokratie!, der Gestaltung! Aber dieser Mythos ist Unsinn. Richtig ist: Jeder von uns betreibt bei Strafe der Insolvenz besessen sein Geschäft, und ohne innere Begeisterung ist die Schinderei nun einmal nicht zu bewältigen."
Rettung durch Günther Jauch
Der Insolvenz gefährlich nahe kam der Lukas Verlag im zehnten Jahr seines Bestehens. Damals sei er zu mutig geworden, sagt Frank Böttcher rückblickend, und habe zu viele Herzensprojekte realisiert - ein Buch über Kindheit in der DDR und Aufsätze des Rockmusikkritikers Siegfried Schmidt-Joos -, die sich als "Rohrkrepierer" erwiesen hätten.
"Und dann hatte ich 55.000 Euro Verbindlichkeiten. Und dann bin ich wirklich über die Dörfer gegangen, hab meine Frau gebeten, hab Freunde gebeten, mir Geld zu borgen, und hab meinen Mitarbeiter erstmal entlassen, das Büro ein bisschen untervermietet und gesagt: Okay, ich muss jetzt jahrelang ganz alleine das irgendwie abarbeiten."
Doch wenn die Not am höchsten, ist die Rettung am nächsten, heißt es. Und die Rettung für Frank Böttcher kam ein Dreivierteljahr später in persona von Günther Jauch, der in der ZDF-Sendung "Lesen!" bei Elke Heidenreich ein Buch über Emmi Bonhoeffer, die Witwe des NS-Widerstandkämpfers Klaus Bonhoeffer, vorstellte, das im Lukas Verlag erschienen ist.
"Ihm lag an dem Buch, das war zu spüren, und sagte: Leute, das ist ein tolles Buch und ich finde das wirklich wichtig. Und dann waren wir am selben Abend auf Amazon Rang 2 oder irgendwas und die Woche drauf auf der Spiegel-Bestseller-Liste auf Rang 5. Und dann musste, weil das auf der Spiegel-Bestseller-Liste landete, das natürlich auch Denis Scheck in die Hand nehmen, und der hat es auch nicht in die Tonne geworfen, und dann kamen alle natürlich an, die wir vorher nicht erreicht haben."
Ein Buch der guten Gefühle
Nach mehr als 20.000 verkauften Exemplaren war Frank Böttcher schuldenfrei und sein Verlag wieder am Start. Neben Publikationen zum NS-System, regionalhistorischen Büchern und Bänden über Kunst und Architektur bilden bis heute auch Veröffentlichungen zur DDR-Geschichte einen Schwerpunkt des Verlages. Das habe natürlich auch biografische Gründe, erklärt Böttcher. Als junger Mann gehörte er einer kleinen Szene an, die illegal durch die Sowjetunion trampte. Davon erzählt das 2011 im Lukas Verlag erschienene Buch "Unerkannt durch Freundesland". Ein Buch der guten Gefühle, erinnert sich Frank Böttcher.
"Das das Bild auch im Westen, was Jugend und Alltag und Reisen in der DDR war, verändert hat, also nicht nur grau, nur furchtbar, sondern dass irgendwie auch was ging, dass es da Leute gab, die nicht unbedingt oppositionell waren, manche schon, aber die so einen Freiheitsimpuls hatten und diesen ausgelebt haben. Und das ist eingespielt worden in die Erinnerungskultur. Das haben wir mit dem Buch geschafft."
Im "verprenzelten Prenzlauer Berg"
Ein bisschen wie aus der Zeit gefallen wirken der gerade sechzig gewordene Verleger mit der würdevoll ergrauten Hippiemähne und sein kleiner, nunmehr fünfundzwanzig Jahre alter Lukas Verlag im "verprenzelten Prenzlauer Berg" - wie Böttcher in seinem Jubiläumsbuch "Belegexemplar" sein inzwischen gentrifiziertes Umfeld bezeichnet. Nichts ist hier zeitgeistig oder schnelllebig. "Bücher ohne Verfallsdatum" wollen Frank Böttcher und sein Mitarbeiter hier weiterhin machen. Nicht mehr und nicht weniger. Der größte Erfolg seines Verlages ist, dass es ihn immer noch gibt, resümiert Böttcher - nicht ganz ohne Koketterie, wie er zugibt.
"Andererseits hat er genügend Katastrophen erlebt und es gab mehrere Wegmarken, wo das nicht ausgemacht war. Das habe ich irgendwie geschafft. Würde ich’s wieder machen? Ich würd’s wieder machen. Klar."
Frank Böttcher: "Belegexemplar.
Fünfundzwanzig Jahre Lukas Verlag"
Lukas Verlag, Berlin. 204 Seiten, 15 Euro.