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Frankreich-Expertin Claire Demesmay
"Macron muss grundlegende Veränderungen ankündigen"

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron will nach seiner nationalen Bürgerdebatte Reformpläne vorstellen. Als wahrscheinlich gilt, dass er eine Schließung der Elite-Hochschule ENA ankündigt. Das wäre ein starkes Symbol, sagte Frankreich-Kennerin Claire Demesmay im Dlf. Es seien allerdings weitere Schritte nötig.

Claire Demesmay im Gespräch mit Bastian Rudde |
Ein Demonstrant der Gelb-Westen-Bewegung mit der französischen Fahne vor einer Mauer. Impression von den Gelbwesten-Protesten gegen Präsident Macron auf den Champs Elysées.
Die Kritik der Gelbwesten-Bewegung richtet sich gegen den Präsidenten - aber auch gegen andere Symbole der Eliten wie die Hochschule ENA (dpa )
Bastian Rudde: Hast du Geld und willst du, dass deine Kinder Karriere machen, dann schick sie auf die ENA. So läuft es in Frankreich, zugegeben, etwas plakativ gesprochen. ENA, das steht für École Nationale d’Administration, es ist die nationale Verwaltungshochschule in Straßburg, die viele spätere Spitzenpolitiker besucht haben, unter anderem Frankreichs Präsident Macron.
Heute Abend im Élysée-Palast will Macron nun offenbar verkünden, dass er die ENA schließen lassen will, Teil eines Maßnahmenpaketes, das eine Antwort sein soll auf die Gelbwesten-Proteste, die unter anderem ja eben jene Elitenbildung kritisieren. Darüber kann ich jetzt sprechen mit Claire Demesmay, Frankreichexpertin der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Guten Tag!
Claire Demesmay: Guten Tag, Herr Rudde!
Rudde: Endgültig bestätigt sind die Pläne zwar noch nicht, aber trotzdem schon mal die Frage: Was könnte Macron eine Schließung der ENA bringen?
Demesmay: Na ja, Sie haben es gesagt, die ENA ist ein Synonym in Frankreich für Elite, für die Elitebildung, und zwar nicht nur im Staatsdienst, nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft. Seit 2000 stammen ungefähr 20 Prozent aller Minister aus der ENA. Also das ist ein Symbol. Wenn Macron jetzt die ENA schließt, dann würde es nicht nur zeigen, dass er die Sorgen der Bevölkerung ernstnimmt, dass er die Kritik der Gelbwesten ernstnimmt. Das würde auch seine politische Autorität stärken, das würde seinen Mut zeigen, denn er wäre nicht der einzige, der eine Reform der ENA möchte. Viele Präsidenten oder einige Präsidenten vor ihm haben schon versucht, die ENA zu reformieren und sind zum Teil gescheitert. Also das würde zeigen, er ist derjenige, der diesen Schritt schafft, und ich denke, das würde ihm auch da helfen, einen neuen Impuls zu geben für seine Präsidentschaft.
"Für Macron jetzt wichtig, wieder Vertrauen zu schaffen"
Rudde: Stichwort Elitenbildung und Stichwort soziale Ungerechtigkeit: Wie sehr muss Macron, losgelöst von der ENA, einen Kulturbruch wagen, um Vertrauen von unten zurückzugewinnen?
Demesmay: Also Vertrauen ist in der Tat das richtige Wort. Umfragen zeigen seit Jahren, seit Jahrzehnten, dass das Vertrauen der Franzosen in die meisten politischen Institutionen des Landes sehr niedrig ist. Vor ein paar Wochen ist eine Umfrage so erschienen, und man konnte sehen, dass nicht mal ein Viertel der Bevölkerung – es sind Umfragen, man muss natürlich vorsichtig sein, aber trotzdem –, nicht mal ein Viertel der Befragten haben gesagt, dass sie Vertrauen in die Nationalversammlung haben, in Präsidenten in der Regierung. Das sind natürlich Horrorzahlen, und deswegen ist es für Macron jetzt wichtig, Vertrauen wieder zu schaffen. Das wird nicht reichen natürlich dafür, die ENA zu schließen. Das ist nur eine Maßnahme unter einigen.
Rudde: Mal eine ganz kurze Chronologie sozusagen: Seit fast einem halben Jahr gibt es die Gelbwesten-Proteste. Im Dezember dann erste Zugeständnisse von Macron, wie mehr Mindestlohn, dann auf seine Initiative Bürgerdialoge, in denen die Menschen ihre politischen Anliegen formulieren können. Heute Abend nun darauf die große Antwort. Wie sollte die denn konkret lauten, auch mit Blick zum Beispiel auf mehr Rente, weniger Einkommenssteuer oder auf eine Vermögenssteuer zum Beispiel?
Demesmay: Das sind diese Bürgerkonvente oder was man in Frankreich die Grand Debat, also die große nationale Debatte, war ein wichtiger Moment für Frankreich, für die französische Gesellschaft. Es haben sich ganz viele Leute daran… also ganz viele haben daran teilgenommen. Es gab, ich glaube, ungefähr zwei Millionen schriftliche Beiträge, 10.000 Bürgerversammlungen. Also das heißt, diese Debatte hat auch Hoffnungen erweckt, und jetzt muss Macron auch schon grundlegende Veränderungen ankündigen.
"Was erwartet wird, ist mehr Kaufkraft"
Rudde: Wie genau kann er diese Hoffnungen denn erfüllen?
Demesmay: Er kann sie zum Teil erfüllen. Also was erwartet wird, das werden wir heute Abend sehen, aber ist mehr Kaufkraft. Das war immer schon das große Thema, das war das zentrale Thema im Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl. Da kann er eine Steuersenkung ankündigen, er kann eine Entlastung insbesondere für Rentner ankündigen. Das ist fast sicher. Aber auch soziale Maßnahmen, um den Sozialstaat Frankreich zu stärken. Es sind viele Forderungen von den Gelbwesten, die in diese Richtung gehen, und da geht es zum Beispiel um die Schülerzahl in den Grundschulen zu begrenzen oder keine Krankenhäuser mehr zu schließen in den nächsten Jahren. Also das wäre auch eine wichtige Maßnahme.
Aber generell ist die Frage da, wie kann man die Bürgerinnen und Bürger besser einbeziehen in die politischen Entscheidungen des Landes, wie kann man ihnen das Gefühl geben, dass sie auch verstanden werden, oder wie kann man sie besser verstehen, um dieses "Die-da-oben"-Symptom zu überwinden, und das wird natürlich Zeit nehmen. Die Pressekonferenz von Macron wird da nicht reichen. Das kann nur ein Schritt sein, der noch weitere Schritte braucht.
Rudde: Das heißt, Ihre Vermutung, die Gelbwesten-Proteste werden heute nach dem Termin aufhören, ja oder nein?
Demesmay: Ich denke nicht. Ich denke nicht, dass sie auf einmal aufhören werden, weil das jetzt eine Bewegung ist, die in der Gesellschaft verankert ist, die eine eigene Dynamik hat, und ich denke, es gibt jetzt die Zeit der Ankündigungen, der guten Worte, der Pläne, aber dann muss das auch alles umgesetzt werden. Weil das natürlich viel Zeit braucht, viel Zeit kostet, wird das noch eine Weile dauern mit der Bewegung der Gelbwesten – meine Interpretation.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.