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Frankreich
Houellebecqs Spiel mit Ängsten

Der französische Schriftsteller Michel Houellebecq sorgt mit einem neuen Buch abermals für Furore: In "Soumission" wird ein Muslim Präsident in Frankreich und führt die Schleierpflicht ein. Kritiker werfen dem Autoren vor, Ressentiments gegenüber Muslimen zu schüren.

Von Ursula Welter | 06.01.2015
    Michel Houellebecq, hier beim Filmfest in Venedig.
    Ein reaktionärer Provokateur? Michel Houellebecq, hier beim Filmfest in Venedig. (imago/Xinhua)
    Raubkopien im internet haben das jüngste Werk von Michel Houellebecq bereits in aller Munde gebracht. Seine Bezüge zu realen Themen, zu "Wahrscheinlichkeiten", wie sich der Autor selbst ausrückt, haben das Buch "Soumission", zu deutsch "Unterwerfung" zu einem politischen Thema in Frankreich gemacht.
    Ein muslimischer Präsident, Mohammed Ben Abbes, kommt 2022 an die Macht. Die konservative und sozialistische Partei haben ihn unterstützt, um den Aufstieg von Marine le Pen zur Präsidentin Frankreichs zu verhindern. Der neue Präsident hebt die Religionsfreiheit auf, führt Schleierpflicht und die Polygamie ein, soweit die Fiktion.
    Und wie stets polarisiert der für seine Provokationen bekannte Houellebecq mit seinem jüngsten Werk die Meinungslandschaft. Von "prophetischer Gabe", "intellektueller Leistung", von "Widerstand gegen herrschende 'political-correctness'", sprechen die einen. Die Befürworter.
    Houellebecq geht es um "Wahrscheinlichkeiten"
    Die anderen halten dem Autor vor, mit Klischees über den Islam die Argumente der extremen Rechten zu bedienen: "Das sagt aus: Voilà, die Muslime übernehmen die Macht, sie übernehmen die Kontrolle der Universitäten, des Bildungswesens, die Frauen werden zurück an den Herd geschickt, werden verschleiert und in ganz Frankreich wird der Koran gelehrt", wirft der Chefredakteur der linken Zeitung Libération, Laurent Joffrin, dem Schriftsteller vor. Damit bediene Houellebecq die Phantasien der extremen Rechten.
    Als Provokation will Houellebecq sein Buch nicht verstanden wissen. Es gehe ihm um "Wahrscheinlichkeiten", erklärte er in diversen Interviews, die in Frankreich, Deutschland und im angelsächsischen Raum erschienen sind. Genau das werfen ihm seine Kritiker vor: Zu viel Nähe zur Realität, zur politischen Debatte.
    Houellebecq räumt ein, mit den Ängsten der Franzosen zu spielen, die nicht zuletzt vom Verlust der Identität, der westlichen Werte handeln. Man müsse sich aber fragen, sagt der Autor, was angsteinflößender sei: Muslime oder jene, die um ihre Identität kämpften?
    Hohe Auflage, und der Präsident liest mit
    Houellebecq beschreibt in seinem Roman, wie sich die französische Gesellschaft an die neuen Verhältnisse anpasst, sagt Jérôme Béglé, Literaturkritiker des konservativen Magazins Le Point. Auch deshalb handele es sich hier ganz und gar nicht um einen Angriff auf die muslimische Religion, es gehe eher um Kritik an der Bequemlichkeit in einer Demokratie.
    Der Literaturkritiker Sylvain Bourmeau, der die ersten Interviews mit Michel Houellebecq zu dessen neuestem Buch führte, hält "Unterwerfung" für literarisch nicht gelungen: "Soumission", so der französische Original-Titel, gehöre nicht zu den stärksten Werken von Michel Houellebecq, sagt Bouermeau.
    Der Verlag Flammarion bringt ab morgen 150.000 Exemplare in Frankreich auf den Markt, der Start für die italienische und die deutsche Fassung ist in zehn Tagen geplant, weitere Übersetzungen sind vorgesehen. Frankreichs Staatspräsident François Hollande sagte im Sender "France Inter", er werde das Buch lesen, schon weil es zu politischen Debatten geführt habe. Hollande warnte seine Landsleute aber, sie sollten sich von Ängsten nicht treiben lassen.