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Frankreich
Immer mehr Französinnen schließen sich IS an

Bei allen islamistischen Attentaten und Attentatsversuchen, die Frankreich in den vergangenen vier Jahren erschüttert haben, waren Männer am Zug. Neuerdings mehren sich die Hinweise, dass auch Frauen eine wichtigere Rolle spielen als zunächst angenommen.

Von Bettina Kaps | 26.01.2016
    Rechtsanwältin Samia Maktouf sitzt vor Aktenbergen, die sich in ihrer Kanzlei auf den Champs Elysees stapeln. Die franko-tunesische Juristin vertritt zahlreiche Leidtragende der verschiedenen Terrorattacken von Paris. Sie klagt auch im Fall Mohamed Merah: Der Attentäter aus Toulouse hat im März 2012 drei französische Soldaten und vier Juden erschossen, drei von ihnen waren Kinder.
    In allen Fällen, die sie bearbeitet, hätten Frauen eine wichtige Rolle gespielt. Dies aber sei von den Sicherheitskräften regelmäßig unterschätzt worden sei, kritisiert Samia Maktouf:
    "Die Frauen im Umkreis der Djihadisten sind sehr radikal. Sie agieren als Stützpfeiler der Terroristen. Man muss sich nur die Zahlen ansehen: Wir gehen heute davon aus, dass 35 Prozent aller französischen Dschihadisten Frauen sind. Das ist enorm."
    Im vergangenen Dezember sollen insgesamt 600 Franzosen in den Kriegsgebieten der Terrororganisation IS aktiv gewesen sein, davon 220 Frauen. Viele von ihnen haben Frankreich offenbar erst nach dem Sommer verlassen. Samia Maktouf hat frühzeitig auf Verhöre bestimmter Frauen aus dem islamistischen Umfeld gedrängt – ohne Erfolg:
    "Ich wollte erfahren, welche Rolle Souad gespielt hat, die ältere Schwester des Attentäters Mohamed Merah. Leider haben die Richter das nicht als vorrangig eingestuft. Inzwischen hat Souad Merah Frankreich verlassen und lebt vermutlich in Syrien, wo sie offenbar andere Französinnen rekrutiert."
    Die Juristin ist überzeugt, dass Souad Merah ihren Bruder indoktriniert hat. Auch Abdelhamid Abaaoud, Drahtzieher der Pariser Attentate vom 13. November, sei von einer Frau unterstützt worden. Seine Cousine Hasna habe ihm nicht nur den Unterschlupf besorgt, wo er sich versteckt und neue Attentate vorbereitet habe. Die 26-Jährige ist gemeinsam mit dem Attentäter bei der Erstürmung der Wohnung durch die Polizei ums Leben gekommen. Maktouf pocht auf einen roten Aktendeckel, sagt, sie habe Beweise für die Beihilfe der jungen Frau, dürfe diese aber nicht publik machen, bevor das Verfahren eröffnet wird.
    Béatrice Brugère ist Vorsitzende der Richtergewerkschaft FO, zuvor war sie Richterin für Terrorbekämpfung. Die Juristin bestätigt:
    "In den Gerichtsverfahren erscheinen die radikalisierten Frauen bislang nur im Hintergrund, was nicht heißt, dass sie weniger aktiv sind als die Männer. Sie motivieren und unterstützen, aber das lässt sich nicht so leicht als Gesetzesverstoß charakterisieren wie ein direkter Angriff."
    Bisher hätten sich die Dschihadistinnen aus Frankreich offenbar nicht aktiv an Kampfhandlungen beteiligt. Ihre Aufgabe sei es vielmehr, die Ideologie der Terrororganisation IS zu verbreiten und in die Kriegsgebiete auszureisen, um dort zu heiraten oder sich ihren dort kämpfenden Männern anzuschließen, ist sich Brugère sicher.
    Nur wenige französische Staatsbürgerinnen sind bisher aus Syrien zurückgekehrt. Eine von ihnen ist Sophie Kasiski. Die 34-jährige Erzieherin aus Paris, eine Konvertitin, ist vor einem Jahr in die IS-Hochburg Rakka gereist. Zwei Monate später gelang ihr die Flucht. In einem Buch und in Interviews beschreibt sie die fürchterliche Atmosphäre in einem Frauenhaus, wo sie zusammen mit anderen westlichen Frauen untergebracht war:
    "Dort stand ein Fernseher, wo in Dauerschleife die Propagandavideos des IS liefen. Mit Enthauptungen und allen Gräueltaten, die der IS begeht. Die Kinder waren es gewohnt, diese Bilder zu sehen. Ihre Mütter beklatschten die Aufnahmen oder lachten darüber. Die Kinder waren zwischen zwei und sechs Jahre alt."
    Dounia Bouzar, Leiterin eines Zentrums zur Prävention und Entradikalisierung, hat erfahren, dass einige Frauen ihre Männer sogar anstacheln, bis zum Letzten zu gehen:
    "Sie drängen ihre Männer, sich für Selbstmordattentate zu melden, eine sagte: Dreimal musste ich ihn auffordern, bis er sich endlich für den Märtyrertod gemeldet hat. Andernfalls hätte ich die Scheidung verlangt."
    Die Rechtsanwältin der Opfer, Samia Maktouf, hofft, dass Polizei und Justiz diese Berichte endlich zur Kenntnis nehmen und von nun an auch die vielen Frauen im Umkreis der Terroristen gründlich beobachten werden.