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Frankreich: Politik der Abschiebequoten

Gegen die restriktive Einwanderungspolitik von Staatspräsident Sarkozy regt sich heftiger Widerstand: Ausländer zündeten unlängst aus Protest ihr eigenes Abschiebelager bei Paris an. Und Franzosen übernehmen Patenschaften für Familien, die von Abschiebung bedroht sind. Burkhard Birke porträtiert einen französischen "sans papiers".

07.07.2008
    "Jedes Mal wenn ich einen Polizisten sehe, bekomme ich Angst, als hätte ich etwas verbrochen, als ob ich jemanden umgebracht hätte - weswegen ich mich verstecken muss."

    So wie Alejandro geht es vielen Illegalen derzeit in Frankreich. Ein junges Ehepaar wurde neulich bei einem Termin zur Prüfung ihres Antrags auf legalen Aufenthaltsstatus bei der Präfektur kurzerhand 48 Stunden in Gewahrsam genommen. Erlaubt war nur ein Telefonat, damit die beiden kleinen Kinder zu Hause von Bekannten betreut werden konnten. Den "sans papiers", den schätzungsweise 300.000 bis 400.000 Ausländern ohne Papiere im Land, hat man den Kampf angesagt.

    "Die Zahlen sprechen für sich. Wir haben Ergebnisse: Nie sind so viele Illegale freiwillig oder gezwungenermaßen in ihre Heimatländer zurückgekehrt,"

    verkündete Immigrationsminister Brice Hortefeux dieser Tage voller Stolz.
    8349 freiwillige Rückkehrer und knapp 30.000 Abschiebungen weist die Statistik für die letzten elf Monate aus: In der Tat ein rasanter Anstieg: in diesem Jahr allein von 80 Prozent. Die vorgegebene Quote von 25.000 Abschiebungen wird übererfüllt. Gestiegen sind vor allem aber auch die Angst und die Wut der Betroffenen und der Hilfsorganisationen. Sie kritisieren eine Politik der Abschiebequoten und die unmenschlichen Zustände in den Abschiebegefängnissen.

    Alle Illegalen sollten Papiere bekommen, forderten diese Demonstranten unlängst in Paris Vincennes: Das Abschiebegefängnis war tags zuvor in Flammen aufgegangen. Hoffnungslos überfüllt steckten wütende Abschiebehäftlinge das Gebäude nach dem plötzlichen Herztod eines Tunesiers in Brand. Der Arzt war viel zu spät gekommen.

    Die Abschiebegefängnisse dicht machen, Massenlegalisierung fordern Organisationen wie die Bewegung gegen Rassismus und für die Völkerverständigung. Mit einer Quotenregelung zur Steuerung der Arbeitsimmigration bräuchte man zehn Jahre das Problem zu regeln, meint ihr Präsident Mouloud Aounit:

    "Das würde bedeuten: Zehn Jahre lang würde man die Menschen in ständige Angst versetzen!"

    Die Regierung indes hat sich gegen Massenlegalisierung ausgesprochen, will europaweit die Arbeitsimmigration fördern, das Asylrecht harmonisieren und die Grenzkontrollen verschärfen.

    Wozu Arbeitsimmigration? Die Arbeiter seien doch schon da, behauptet Mouloud Aounit:

    "80 Prozent der Illegalen arbeiten, also könnte die Regierung doch Entgegenkommen zeigen und sie legalisieren!"

    Selbst für diejenigen, die legal ins Land gekommen sind und Arbeit finden, ist es schwer. Alejandro kam als Fremdsprachenassistent auf Einladung der französischen Regierung. Zwei Jahre lang arbeitete er für 700 Euro netto im Monat, fand anschließend sogar Jobangebote, vor allem aber Hindernisse:

    "Zum einen das Geld, das die Arbeitgeber zahlen müssen, zum anderen die Bürokratie. Da blieb mir nur die Möglichkeit einer Scheinehe oder illegal zu bleiben."

    725 Euro für Monatslöhne bis 1525 Euro, das Doppelte bei höheren Gehälter muss der Arbeitgeber pro Jahr an Steuern zahlen, wenn er einen Nicht-EU-Ausländer beschäftigt. Bis zu sechs Monate dauert die Bearbeitung eines Antrags!

    Aussichtslos für Alejandro!

    Wie ein Objekt fühlt er sich behandelt: Erst brauchen wir Dich und dann kannst Du gehen!

    "Diese Festlegung auf Abschiebequoten, das ist so als wären wir Vieh. Da geht die Menschlichkeit verloren! Die Menschen kommen aus politischen Gründen, als Bürgerkriegsopfer hierher, und natürlich auch aus wirtschaftlichen Gründen. Das ist doch auch wichtig! Die Welt sollte doch nicht in reich und arm unterteilt sein. Die Europäer hatten auch Probleme und damals haben wir sie in Lateinamerika aufgenommen!"

    Alejandro hat sich entschieden, nicht mehr ständig in Angst zu leben. In wenigen Tagen wird er freiwillig nach Südamerika zurückfliegen.