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Frankreich
Radikalisierung Jugendlicher verhindern

Mehr als 1.000 junge Männer und Frauen aus Frankreich sollen sich radikalen Islamisten angeschlossen haben, so vermutet es die Regierung. In Sarcelles, einer Vorstadt im Norden von Paris, wurde ein Programm entwickelt, um Jugendliche davon abzuhalten, sich zu radikalisieren.

Von Suzanne Krause | 19.01.2016
    Pünktlich trifft Patrick Kanner im Ratshaus von Sarcelles ein. Das residiert in einer liebevoll restaurierten Fachwerk-Villa, mitten im Grünen. Dabei gilt Sarcelles landesweit als Synonym für den Sozialwohnungs-Plattenbau. Der Minister für Stadtpolitik, Jugend und Sport wird von einem Parteikollegen empfangen: Auch Bürgermeister François Pupponi ist Sozialist. Die von seiner Kommune gestartete Initiative, mit der Jugendliche vor dem Abdriften in die Radikalität bewahrt werden sollen, unterstützt Kanner voll und mit Staatsgeldern.
    "Es gibt keine allgemeingültige Antwort auf die Radikalisierungs-Gefahr. Wir müssen vielmehr kollektive Antworten entwickeln. Dabei hat natürlich der Staat seiner Verantwortung gerecht zu werden, aber ebenso müssen sich die Gemeinden und der Vereinssektor einbringen."
    Hohe Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen
    Sarcelles will mit gutem Beispiel vorangehen. Aus gutem Grund: Die Quote der arbeitslosen Jugendlichen beträgt im landesweiten Durchschnitt 25,2 Prozent. In Sarcelles sind es 37 Prozent. Das bietet islamistischen Hasspredigern Nährboden. Bürgermeister François Pupponi sieht es pragmatisch.
    "Lange Zeit haben wir eine Politik betrieben, um Jugendliche vor dem Abdriften in die Kriminalität zu bewahren. Heute brauchen wir eine Präventivpolitik gegen die islamistische Radikalisierung. Wir spüren hier, dass Dschihadisten-Netzwerke immer mehr die Stadtviertel infiltrieren. Aber es ist keinesfalls zu spät, dagegen vorzugehen. Und deshalb werden wir in Sarcelles nun handeln."
    Genaue Zahlen, wie viele Jugendliche konkret gefährdet sind, liegen noch nicht vor. Erst einmal muss die im Aufbau befindliche Arbeitsplattform eruieren, wie sich eine potenzielle Gefährdung überhaupt erkennen lässt. Ziel ist es, jedem Jugendlichen, der den Dschihadisten in die Fänge zu gehen droht, eine maßgeschneiderte Antwort auf seine Probleme zu bieten, sagt Farid Bounouar, im Rathaus zuständig für die Präventivpolitik.
    "Wir wollen Jugendliche begleiten, bei denen eine Gefährdung erkannt wurde. Zu unserem interdisziplinären Team gehören auch Psychiater und Psychologen. Sie kümmern sich um Jugendliche, die in der Indoktrinierungsphase stecken. Diejenigen, die schon radikalisiert sind, werden der Justiz überstellt."
    Einige der Programm-Mitarbeiter haben kürzlich einer Präventiv-Initiative in Bayern, in Augsburg, einen Besuch abgestattet. Und gerade weilt Mona Sahlin in Sarcelles. Sahlin koordiniert in Schweden die nationale Präventionsarbeit gegen gewalttätigen Extremismus. Ihr Land setze hauptsächlich auf kommunale, lokale Aktionen, sagt die Sozialdemokratin. Und sie lobt Frankreich für seine landesweite Politik. Mona Sahlin strebt Partnerschaften an zwischen schwedischen und französischen Städten, die gegen Radikalisierung vorgehen.
    "Bei diesem Thema müssten wir uns europaweit besser vernetzen. Angesichts der Art und Weise, mit der Terrorgruppen heute in Europa vorgehen, lässt sich allein auf binationaler Ebene nicht viel bewirken. Meine große Sorge ist, dass die Europäische Union bei diesem Thema so abwesend ist."
    Begeisterung für die Werte Frankreichs zu wecken
    Beim Präventivprogramm in Sarcelles engagiert sich auch Mohamed Sifaoui - um die Demokratie zu verteidigen. Der Franko-Algerier arbeitet als Journalist, Autor und Filmemacher seit Jahrzehnten zum Thema Islamismus. Im vergangenen Mai gründete er den Verein Onze Janvier - 11. Januar. Eine Reminiszenz an den Geist des Trauermarschs, bei dem nach den Attentaten im Januar knapp drei Millionen Franzosen mitmarschierten. Seither geht Mohamed Sifaoui regelmäßig in Schulen, um Kinder und Jugendliche für die Werte Frankreichs zu begeistern.
    "Mir ist es immer wieder gelungen, selbst mit Sieben-, Achtjährigen in Dialog zu treten. Und wenn die Kinder dann ganz offen darüber reden, wie sie die Attentate sehen, kann mancher Erwachsene nur vor Scham erröten. Ihre Reaktionen geben mir viel Hoffnung für die Zukunft."