Instabile Staatsfinanzen in Frankreich
Gefahr für die Eurozone?

Frankreich hat ein massives Schuldenproblem. Dennoch gelingt dem Land kein Sparkurs, auch wegen politischer Blockade. Droht Europa nun eine neue Finanzkrise?

    Die Statue der Marianne vor dem Gebäude der Nationalversammlung in Paris, auf dessen Dach die französische Flagge weht
    Frankreich ist bisher kein Sparprogramm gelungen, das seine Schulden verringern könnte. (imago / NurPhoto / Artur Widak)
    „Fünftausend Euro zusätzliche Schulden pro Sekunde – das ist die letzte Haltestelle vor dem Abgrund und dem Absturz“: Mit diesen Worten hatte François Bayrou die Schuldensituation Frankreichs im Juli 2025 beschrieben. Der damalige Premier warnte vor einer „tödlichen Gefahr“ für das Land und einer ähnlichen Entwicklung wie in Griechenland zu Zeiten der Euro-Schuldenkrise.
    Nach verlorener Vertrauensabstimmung über den vorgeschlagenen Sparhaushalt und anschließendem Rücktritt steht nun der neue Premier Sébastien Lecornu vor der ererbten Aufgabe, Frankreichs enormen Schuldenberg abzubauen. Und das angesichts eines in drei politische Lager gespaltenen Parlaments und heftigen Widerstands in der Bevölkerung.
    Die zweitgrößte Volkswirtschaft Europas steckt in der Krise – und in der EU gibt es Sorgen vor Ansteckungsgefahren. Armin Laschet (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, sieht die französische Wirtschafts- und Finanzlage als „dramatisch“ an. „Man wird alles tun, damit der Euroraum hierunter nicht leidet, aber in der Tat ist diese Gefahr da,“ sagt er.
    „Völliger Unsinn“ oder „explosive“ Situation? Wirtschaftsexperten zeigen sich unterschiedlich alarmiert.

    Übersicht

    Der französische Schuldenberg
    Sorge vor einer neuen Eurokrise
    Die Investoren verlieren das Vertrauen
    Keine Lösung in Sicht
    Der französische Schuldenberg
    Frankreich hatte im Jahr 2024 rund 3,3 Billionen Euro Schulden – damit liegt es in absoluten Zahlen an der Spitze der EU. Tendenz: weiter steigend. Die europäischen Stabilitätskriterien sind eindeutig: Der Schuldenstand eines Mitgliedsstaats sollte maximal 60 Prozent seines Bruttoinlandsprodukts (BIP) betragen. Das Haushaltsdefizit – also der Betrag, den ein Staat in einem Jahr mehr ausgibt als er einnimmt – sollte drei Prozent des BIP nicht überschreiten.
    Frankreich bricht diese Regeln seit Jahren. Im ersten Quartal lag die Schuldenquote bei 114 Prozent der Wirtschaftsleistung. Nach Griechenland und Italien ist das EU-weit die dritthöchste Verschuldung. Das Haushaltsdefizit betrug zuletzt 5,8 Prozent.
    Zum Vergleich: Deutschland ist mit gut 62 Prozent verschuldet und wies im vergangenen Jahr ein Defizit von 2,8 Prozent auf. Allerdings dürften nach Einschätzung von Ökonomen auch im rezessionsgeplagten Deutschland die Staatsschulden langfristig deutlich steigen, allein durch die milliardenschweren Sondervermögen – kreditfinanzierte Nebenhaushalte.
    Statistik der Schuldenquote der EU-Staaten in einem Balkendiagramm
    Statistik der Schuldenquote der EU-Staaten (statista)

    Sorge vor einer neuen Eurokrise

    Sorgen, dass es eine neue Eurokrise geben könnte, betrachtet der Wirtschaftswissenschaftler Claus Regling aktuell als „völligen Unsinn“. Regling wurde als geschäftsführender Direktor des Euro-Rettungsschirms EFSF und später des Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM bekannt. Ihm zufolge haben die französischen Wirtschaftsdaten „überhaupt nichts zu tun mit Griechenland, Portugal, Irland 2010“.
    Für diese Länder – speziell für Griechenland – wurden damals Rettungspakete in Höhe von über 600 Milliarden Euro geschnürt. Griechenland hatte viel zu hohe Schulden und überdies bei den Statistiken getrickst. Seine Volkswirtschaft war nicht wettbewerbsfähig.
    Frankreich sei davon „Lichtjahre entfernt“, betont auch der französische Wirtschaftswissenschaftler Nicolas Véron. Anders als etwa Spanien und Italien während der Euro-Schuldenkrise verfüge das Land über eine breit aufgestellte Volkswirtschaft und gesunde Banken.
    Auch die Lage an den Finanzmärkten hat sich verändert: Frankreich muss heutzutage rund 0,8 Prozentpunkte mehr Zinsen für zehnjährige Staatsanleihen zahlen als Deutschland. In der Krisenzeit lag der Unterschied bei Griechenland, Irland, Spanien und Portugal zwischen zehn und 20 Prozent im Vergleich zu Deutschland, unterstreicht Regling. Auch wenn die Neuverschuldung hoch sei, könne das Land seine Schulden weiterhin bedienen.
    Und: Im Gegensatz zur deutschen Volkswirtschaft ist die französische in den letzten Jahren sogar gewachsen. Frankreich ist demnach nicht das „neue Griechenland“.

    Die Investoren verlieren das Vertrauen

    Eine akute Gefahr für den Euro sieht auch die Wirtschaftsweise Veronika Grimm noch nicht. Dennoch bezeichnet sie die Situation als „explosiv“ und warnt vor den langfristigen Risiken einer hohen Staatsverschuldung. In Frankreich sei besonders problematisch, dass die Investoren das Vertrauen verlieren, die Renditen auf die Staatsanleihen steigen und damit auch die Zinslast. Die Schuldenlast sei inzwischen so hoch, dass nötige Investitionen über neue Kredite kaum noch zu stemmen seien – zum Beispiel zusätzliche Ausgaben für die Verteidigung. Aktuell zahlt Frankreich mehr für seine Schulden als Griechenland.
    Clemens Fuest, Präsident des Ifo-Instituts, warnt vor einer möglichen Staatsfinanzkrise in Frankreich. Der Zusammenbruch der Regierung und die Ablehnung von Bayrous Sparplänen verschärften die Unsicherheit über den finanzpolitischen Kurs. Dies könne auch die ohnehin schwache Wirtschaftsentwicklung in Europa belasten, so Fuest gegenüber „Politico“.

    Keine Lösung in Sicht

    Der wachsende Schuldenberg Frankreichs ist nach Ansicht vieler Beobachter vor allem ein politisches Problem. In der Nationalversammlung stehen sich drei etwa gleich große Blöcke unversöhnlich gegenüber: das linke, das rechtsnationale und das Mitte-Lager um Präsident Emmanuel Macron. Jeweils ohne eigene absolute Mehrheit. Diese Verhältnisse entstanden durch Neuwahlen im Sommer 2024, die Macron nach der verlorenen Europawahl ausgerufen hatte.
    Die politische Situation macht es schwer, das Schuldenproblem zu lösen, meint die Ökonomin Veronika Grimm, denn: Die extremen Parteien am rechten und linken Rand hätten jeweils kein Interesse daran, Sparmaßnahmen zu ergreifen und den Bürgern Einschnitte zuzumuten, etwa bei der Rente. Macron hatte bereits 2023 gegen massiven Widerstand die Anhebung des Renteneintrittsalter von 62 auf 64 Jahre durchgedrückt und das mit einem drohenden Defizit des Systems begründet.
    Die aktuell besonders hohen Schulden stammen Grimm zufolge vor allem aus der Corona-Zeit. Der französische Staat habe unter anderem mit Subventionen versucht, die Inflation gering zu halten – da auch Löhne und Renten an sie gekoppelt seien. Allerdings habe man den Haushalt dann nicht konsolidiert.
    Die Wirtschaftsweise kritisiert aber auch die EU-Kommission dafür, zu nachsichtig mit der Einhaltung der Stabilitätskriterien umgegangen zu sei. Im Sommer 2024 hat die Kommission allerdings ein Defizitverfahren gegen Frankreich eingeleitet.