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"Frau Kraft ist eine kluge Frau"

Laut Peter Hintze beansprucht die CDU in NRW bei Zustandekommen einer Großen Koalition den Posten des Ministerpräsidenten zu recht. Seine Partei habe die meisten Stimmen erhalten, das wisse auch die SPD-Kandidatin Hannelore Kraft.

Peter Hintze im Gespräch mit Jasper Barenberg |
    Jasper Barenberg: Eine neue Regierung an Rhein und Ruhr, in Düsseldorf liegt noch immer in weiter Ferne. SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft hat sich zwei Wochen lang Schicht für Schicht am diffusen Wahlergebnis vom 9. Mai abgearbeitet. Eine Ampelkoalition mit den Liberalen und auch Rot-Rot-Grün sind als Optionen inzwischen abgesagt. Was bleibt ist für viele Genossen zumindest die schlechteste aller Lösungen: eine Große Koalition, und das mit einer CDU, die an Jürgen Rüttgers als Ministerpräsident festhalten will. Diese Woche soll es erste Gespräche darüber geben. Am Telefon begrüße ich jetzt Peter Hintze, parlamentarischer Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, zugleich aber und heute von noch größerem Interesse für uns Vorsitzender der nordrhein-westfälischen Landesgruppe der Unions-Bundestagsfraktion. Schönen guten Morgen, Herr Hintze.

    Peter Hintze: Guten Morgen, Herr Barenberg.

    Barenberg: Herr Hintze, rechnen Sie damit, dass Jürgen Rüttgers demnächst mit Hilfe der SPD zum Ministerpräsidenten wiedergewählt wird?

    Hintze: Dafür bestehen jedenfalls gute Aussichten, wenn die SPD die anstehenden Gespräche mit der CDU ernst meint und nicht nur Scheinverhandlungen führt. Ich hoffe sehr im Interesse des Landes - wir brauchen stabile Verhältnisse und Vertrauen - dass wir zu ernsthaften Gesprächen und auch zu einem Ergebnis kommen.

    Barenberg: Wie hoch sind denn aus Ihrer Sicht die Hürden für eine Koalition?

    Hintze: Na ja, nach einem Wahlkampf, bei dem eine Partei in der Regierung die Verantwortung hatte und eine Partei in der Opposition war und diese jetzt zusammenkommen müssen, ist das natürlich nicht ganz einfach. Das ist logisch. Da gibt es unterschiedliche personelle Vorstellungen, da gibt es unterschiedliche Vorstellungen in der Sache. Man hat ja auch gegeneinander Wahlkampf geführt. Trotzdem hat ja die Situation 2005 im Bund gezeigt, als die Wähler uns ein ähnliches Ergebnis präsentiert haben, dass das Zusammengehen der beiden Großen in dieser Ausnahmesituation 2005 bis 2009 im Bund richtig war, und ich denke, auch 2010 ist das Zusammengehen der beiden Großen in Nordrhein-Westfalen richtig, weil zum einen die Wähler uns dieses Ergebnis präsentiert haben und weil wir zum Zweiten eine große gemeinsame Aufgabe haben, nämlich für stabile Verhältnisse im großen Industrieland Nordrhein-Westfalen zu sorgen, und ich denke, dass die Schnittmenge zwischen CDU und SPD groß genug ist, um ernsthaft eine solche Koalition zu prüfen.

    Barenberg: Über die Schnittmengen würde ich gleich noch etwas genauer reden. Zuvor aber noch mal zurück zur Machtfrage gewissermaßen. Muss sich Hannelore Kraft denn mit dem Gedanken jetzt abfinden, dass sie in dieser Legislaturperiode jetzt jedenfalls nicht Ministerpräsidentin wird?

    Hintze: Es gibt in der Demokratie ein paar Spielregeln und es ist gut, wenn sich alle daran halten. Die CDU hat die meisten Erststimmen, die CDU hat die meisten Zweitstimmen und die CDU hat die meisten Wahlkreise gewonnen, also in all den drei Kriterien Platz 1. Jede Partei bestimmt über ihr Personal selber und dass der Platz 1 immer an den Ministerpräsidenten fällt, ist gute demokratische Praxis. Die SPD hat eine lange demokratische Tradition und ich glaube, darüber sind sie sich im Klaren, dass diese Grundregel der Demokratie überall, auch in Nordrhein-Westfalen gilt. Welche Konsequenzen daraus die Spitzenkandidatin der SPD für ihre eigene Aufgabe in einer solchen möglichen Konstellation zieht, das liegt voll in der Hand der SPD. Ich glaube, Frau Kraft ist eine kluge Frau, das weiß sie auch und sie wird sich dann für sich selbst positionieren. Das bestimmen ja nicht wir. Aber dass das Wahlergebnis, auch wenn es knapp war, immerhin den Platz 1 eindeutig bestimmt hat, ist es wie bei den Olympischen Spielen. Wenn einer mit einer Zehntel Sekunde Vorsprung gewinnt, dann ist er halt Erster.

    Barenberg: Noch nie, Herr Hintze, haben die Wähler die CDU in Nordrhein-Westfalen so abgestraft wie vor zwei Wochen. Welche Legitimität hat denn ein Ministerpräsident Rüttgers in einer solchen Situation? Welche Legitimität kann er für sich beanspruchen?

    Hintze: Ich glaube, es ist zur Gesamtbetrachtung schon interessant. Das stimmt: Wir haben selber einen schweren Einbruch erlebt. Aber es ist ja so, das hat unser Einbruch vielleicht ein bisschen überdeckt, dass unsere zukünftigen Gesprächspartner, die SPD, ihr schlechtestes Ergebnis seit über einem halben Jahrhundert eingefahren haben, auch ein dramatisches Ergebnis. Unseres war relativ gesehen noch schlechter, aber im Ergebnis sind wir wieder auf dem ersten Platz gelandet. Und wenn Sie sich mal die Geschichte der Landtagswahlen und der Wahlen in der Bundesrepublik Deutschland anschauen, dann hat dann am Ende des Tages doch immer die Frage eine Rolle gespielt, wer ist Platz 1 und wer ist Platz 2, auch wenn der Verlust für uns schmerzlich und relativ und absolut diesmal höher war als der Verlust unseres Konkurrenten. Aber wir müssen ja aus dem Ergebnis etwas machen und ich glaube, dass die Menschen im Lande erwarten, dass wir uns jetzt den Fragen stellen, und bei der Koalitionsbildung ist für mich die zentrale Frage, ob man sich auf ein gemeinsames Ziel einigen kann. Ein solches gemeinsames Ziel könnte natürlich sein zu sagen, wie können wir das größte Industrieland in Deutschland im Prozess der Globalisierung sicher positionieren, was muss dazu geschehen. Wir haben einen sehr hohen Anteil an gewerblicher Wirtschaft in Nordrhein-Westfalen. Wir erleben überall in Europa, wie die gewerbliche Wirtschaft rausgeht nach Asien und sonst wohin. Wir haben bei uns in Deutschland noch diesen sehr hohen Anteil und in Nordrhein-Westfalen besonders, und ich denke, hier kann ein gemeinsames Interesse sein: Wir arbeiten daran, dass dieses Land stark und innovativ bleibt, dass es viele Arbeitsplätze behält und damit den Menschen Arbeit und soziale Sicherheit bietet. Das könnte ein gemeinsames Interesse sein. Ich hoffe, dass von beiden Seiten das Interesse besteht, das auszuloten.

    Barenberg: Herr Hintze, aber für die meisten politischen Inhalte, die Sie bisher verfolgt haben als CDU in Nordrhein-Westfalen, sind Sie ja vom Wähler abgestraft worden. Sie sind vom Wähler abgewählt worden. Hat insofern Hannelore Kraft recht, dass Sie vor allem sich bewegen müssen, wie es politisch weitergeht?

    Hintze: Ich bin nicht so ganz sicher, ob Ihre Analyse so zutrifft. Wir haben zum Beispiel doch in den letzten Jahren die Unterrichtssituation an den Schulen deutlich verbessern können. Wir haben mehr Lehrer, wir haben mehr Unterricht, wir haben bessere individuelle Förderung. Da werden doch die Leute nicht sagen, das wollen wir zurückdrehen. Ich glaube auch nicht, dass die SPD das zurückdrehen will.

    Barenberg: Nein, aber die SPD, Herr Hintze, wird ja von dem gegliederten Schulwesen wegkommen wollen. Werden Sie da zustimmen?

    Hintze: Das Allermisslichste ist, wenn man Koalitionsverhandlungen darüber beginnt, oder Sondierungsgespräche, dass man sich im Radio jeweils mitteilt, das muss sein oder das muss nicht sein. Deswegen kann ich Ihnen den Gefallen nicht tun, obwohl der von mir geschätzte Deutschlandfunk es wahrscheinlich super fände, wenn wir alle wesentlichen Positionen, die dann am Donnerstag auf der Tagesordnung stehen, oder in den folgenden Tagen, heute schon besprechen.

    Barenberg: Aber ein Hinweis auf die Themen, bei denen Sie zu Zugeständnissen bereit wären, wäre vielleicht nett.

    Hintze: Ja, das fänden Sie schon gut, das ist mir schon klar. Ich möchte ja, dass wir die Koalitionsverhandlungen so anlegen, dass wir uns erst einmal einigen können, haben wir ein gemeinsames Ziel, und dass wir dann den größten gemeinsamen Nenner zur Erreichung dieses Zieles bestimmen. Wenn man Koalitionsverhandlungen so anlegt, nach dem Motto, was kann ich dem anderen sehr stark zumuten – Sie haben ja von mir keine einzige Forderung an die SPD in diesem Zusammenhang gehört -, dann wird man in ein Gespräch, was Vertrauen stiftet und was auch eine Grundlage für eine vernünftige Regierungsarbeit ist, nicht hinbekommen. Das haben wir 2005 im Bund nicht gemacht und das werden wir 2010 nicht machen. 2005 bis 2009 ist das im Bund aus meiner Sicht gut gegangen, immer eine Ausnahmesituation. Große Koalitionen sind Ausnahmesituationen. Aber wir haben 2010 jetzt die Chance, das auch so zu machen, und nicht, indem wir irgendwelche Linien bestimmen, die der andere einhalten muss oder nicht. Das, finde ich, ist ein Rat an uns selber und ich hoffe auch, dass die SPD den einhält, und dann kommt man zusammen und sieht, dass man aus diesem Wählerergebnis etwas Tragfähiges macht. Das ist ja der Auftrag. Ich glaube, dass die Leute wollen, dass es mit dem Land weitergeht. Warum das Wahlergebnis so gekommen ist, wie es gekommen ist, wäre ja noch der einen oder anderen Nachfrage wert. Ich weiß gar nicht, ob es um die jeweiligen Einzelheiten geht, die Sie eben angesprochen haben, oder ob da nicht ganz andere Motive eine Rolle gespielt haben. Wir müssen ja zum Beispiel zur Kenntnis nehmen, wir, also die CDU, dass jetzt sehr, sehr viele unserer Wähler vom letzten Mal dieses Mal zu Hause geblieben sind. Sie sind ja nicht gekommen und haben die SPD gewählt. Wie wir eben schon erwähnt haben, hat die SPD ja auch ihr schlechtestes Ergebnis seit über einem halben Jahrhundert erzielt. Die haben auch ein Problem, wir haben das noch größere, weil bei uns viel mehr zu Hause geblieben sind, zugegeben, aber zu sagen, es hat sich eine große Mehrheit, wenn man sich mal die Bevölkerung insgesamt ansieht, hier so gegen uns entschieden, dann ist das doch nicht ganz zutreffend.

    Barenberg: Ob aus all dem etwas Positives für die Zukunft von Nordrhein-Westfalen wird, wir werden es abwarten, wir werden es beobachten. Für den Moment vielen Dank an Peter Hintze, den parlamentarischen Staatssekretär im Wirtschaftsministerium und den Vorsitzenden der nordrhein-westfälischen Landesgruppe. Danke schön!