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"Frau Merkel hat ja bisher auch noch keine Wahl gewonnen"

Hans-Hermann Tiedje, früherer Wahlkampfberater des Merkel-Mentors Helmut Kohl, bescheinigt der CDU eine größere Nähe zum Machtverlust, als die Öffentlichkeit es wahrhaben wolle. Jetzt sei die Stunde der CDU-Chefin Merkel: denn es gäbe Leute, die "schon das Messer wetzen würden", sollten die Umfragewerte der Partei weiter sinken.

Hans-Hermann Tiedje im Gespräch mit Friedbert Meurer |
    Friedbert Meurer: Am Wochenende ist die innerparteiliche Kritik an der Parteivorsitzenden und Kanzlerin Angela Merkel unüberhörbar laut geworden. Das liegt nicht nur, aber auch, an den mageren Umfragezahlen von nur noch 32 Prozent für die Union bei der Sonntagsfrage. Die Kanzlerin soll mehr als Parteivorsitzende kämpfen, weniger auf die SPD hören. Sie soll die Konservativen mehr bedienen und so weiter. Das sind einige der Kritikpunkte. In Scharen laufen die Unionswähler im Moment offensichtlich zur FDP über, was auch erklären würde, warum die beiden Generalsekretäre Pofalla (CDU) und Niebel (FDP) sich bei einer Veranstaltung so in die Haare bekamen.
    Die Wunschkoalitionspartner CDU und FDP in Gestalt der Generalsekretäre fetzen sich hier. Im Hintergrund machte sich lustig darüber mit Schwarz-Gelb-Rufen Hubertus Heil, der Generalsekretär der SPD, und die verspürt im Moment Rückenwind. – Hans-Hermann Tiedje ist Publizist, war Chefredakteur der "Bildzeitung" und Wahlkampfberater des früheren Kanzlers Helmut Kohl. Guten Morgen, Herr Tiedje!

    Hans-Hermann Tiedje: Guten Morgen, Herr Meurer.

    Meurer: Liegen die Nerven in der CDU etwas blank?

    Tiedje: Ich glaube, ja. Ich glaube, das ist ganz richtig beschrieben, und ich hoffe, dass wir nicht so ein Gespräch führen wie das, was ich mir gerade anhören musste. Ich kannte das noch gar nicht. Die Nerven liegen ziemlich blank und dafür gibt es auch gute Gründe.

    Meurer: Welche Gründe sind das, Herr Tiedje?

    Tiedje: Sie müssen sich vorstellen, die allgemeine Betrachtungslage in Deutschland ist ja so, dass es entweder schwarz-gelb gibt oder eine Große Koalition. Aber wenn es für schwarz-gelb nicht reicht, muss es ja nicht unbedingt eine Große Koalition geben. Wenn die FDP richtig mit dem Staubsauger Unionswähler abholt und bei 15, 16, 17, 18 Prozent ist, könnte es auch durchaus eine Ampel geben. Das heißt, die Union ist dem Machtverlust, dem realen Machtverlust viel näher, als es die Öffentlichkeit wahr haben will. Lassen Sie mich das noch sagen: Ich glaube nicht, dass Westerwelle nach elf Jahren in der Opposition sagt, okay, dann sollen die weiter eine Große Koalition machen, sofern es mit der CDU nicht reicht, halte ich die Ampel für möglich bis wahrscheinlich und das erklärt die Nervosität.

    Meurer: Wie kommt das, dass die Kanzlerin in der Öffentlichkeit hohes Ansehen genießt, auch wenn das jetzt um ein paar Prozentpunkte gefallen ist, aber die CDU davon nicht profitiert?

    Tiedje: Das kommt daher, dass Frau Merkel sich offenbar als Moderatorin versteht bei der Führung der Koalition und eine Reihe von Dingen sagt, die mehrheitsfähig sind insgesamt, aber nicht mehrheitsfähig sind innerhalb der Union. Die beiden letzten Vorgänge sind ja geläufig, diese Geschichte mit dem Papst. Ich persönlich fand das gut, dass sie ihre Meinung kundgetan hat, aber ich bin sicher, dass ein Teil des CDU wählenden Milieus das nicht gut fand – ich meine hier das katholische Milieu. Und das andere ist der Fall Steinbach. Das Ergebnis mag so sein wie es ist, aber wahrscheinlich hat ein großer Teil der Partei erwartet, dass sie einfach sagt, die polnische Regierung soll sich aus diesen Diskussionen raushalten. Das hat sie nicht getan. Also Beifall von links und Liberalen und Verstörung bei der eigentlichen Wählerschaft, bei der eigentlichen Klientel.

    Meurer: Sind sich CDU und Angela Merkel insgesamt noch etwas fremd, obwohl sie jetzt schon zehn Jahre Parteivorsitzende ist?

    Tiedje: Ja, das glaube ich schon. Ich bin ganz sicher. Wenn Sie das vergleichen mit Helmut Kohl; der kommt ja aus dem Schoß und aus der Mitte der Partei. Adenauer war einer der Gründer. Er war Mr. Marktwirtschaft. Die sind sich fremd. Sie ist ja durch sehr glückliche Umstände an die Macht gekommen und man sieht das an Kleinigkeiten, an Diskussionen, auch an Begriffen. Ich will mal ein aktuelles Beispiel nennen. Hier wird ja eine wilde Diskussion geführt über Enteignung und Verstaatlichung ja oder nein. Auch Leute wie ich haben mit Enteignung große Probleme. Ich will nicht, dass enteignet wird. Aber wahrscheinlich ist es nur ein Sprachproblem. Wenn die Regierung sagen würde, nehmen Sie den Fall Hypo Real Estate, wir wollen eine maßgebliche Staatsbeteiligung, was ja im Grunde nichts anderes ist, dann springt auch niemand hoch. Beim Begriff Enteignung springt ein Teil der Leute hoch. Ich glaube, dass Frau Merkel gefühlsmäßig an der Stelle gar nicht richtig mitgekriegt hat, was ausgelöst wird, wenn solche Diskussionen geführt werden, und zwar in ihrer Klientel. Dass Frau Schavan oder solche Minister Beifall kriegen, das ist klar. Das bringt Respekt, aber damit gewinnt man keine Wahlen, und das merkt sie jetzt, sieben Monate vor der Bundestagswahl, dass es jetzt zur Sache geht.

    Meurer: Nun hat Angela Merkel eben eine völlig andere Biographie als Helmut Kohl.

    Tiedje: Richtig!

    Meurer: Was könnte sie denn, ich sage mal, von den Machttechniken eines Helmut Kohl lernen?

    Tiedje: Ich glaube, dass sie von den Machttechniken Helmut Kohls sehr viel gelernt hat, zum Beispiel zuzuwarten, länger als das ein normaler Mensch täte, bis Positionen klar sind, und dann Führung zu zeigen in einer Situation, wo eigentlich schon klar ist, in welche Richtung es geht. Sie hat auch eine gewisse Gelassenheit.

    Meurer: Genau das ist ja Helmut Kohl auch vorgeworfen worden, dass er das aussitze, die Konflikte.

    Tiedje: Ja, klar. Genau das meine ich, dieser Vorwurf des Aussitzens. Bei Kohl hieß es Aussitzen; ich weiß nicht; für Frau Merkels Politikstil ist noch kein Begriff gefunden worden. Ich wüsste keinen. Aber im Grunde ist es etwas ganz Ähnliches, Zuwarten bis zum vermeintlich richtigen Moment. Jetzt ist eben das Problem, dass wir knapp ein halbes Jahr vor der Bundestagswahl in einer Situation sind, dass die SPD auf niedrigem Niveau sich in der Spitze spaltet. Sie spielt zwei Rollen. Steinmeier spielt den Staatsmann, den Politiker, und Müntefering macht Opposition. Und wenn einer sagt, wir müssen Opel unbedingt retten, dann hat man es schwer, dagegen anzuargumentieren. Ich glaube, dass Kleinigkeiten auch über die Wahl entscheiden. Lassen Sie mich das mal ein bisschen salopp sagen. Das hört sich ein bisschen komisch an. Wenn über Hunderte von Milliarden geredet wird, mit denen der Staat an Garantien und Hilfen wem auch immer zur Seite tritt, dann können ja drei bis fünf Milliarden für Opel eigentlich nicht entscheidend sein, aber es wird eben eine Grundsatzdiskussion geführt an einer Stelle, wo die Frau Merkel eigentlich nichts gewinnen kann, es sei denn, sie würde einfach sagen, ich rette Opel. Sie ist jetzt gefordert. Jetzt ist ihre Stunde. Wie ist ihr Programm? Und da bin ich gespannt.

    Meurer: Die Kritik, die man jetzt in den letzten Tagen hört, mal provokativ gefragt, riecht das schon ein bisschen nach Putsch in der CDU?

    Tiedje: So weit würde ich nicht gehen, Herr Meurer, aber Ihre Frage hat einen wahren Kern. Es ist ein großes Unbehagen, ein großes Missbehagen. Frau Merkel hat ja bisher auch noch keine Wahl gewonnen. Das darf man nicht vergessen. Sie hat in Mecklenburg-Vorpommern nie kandidiert, also außerparteilich. Bei der Bundestagswahl hatte sie knapp 35 Prozent, was ja kein Wahlsieg war. Also sie muss gewinnen, und jetzt liegt sie zwischen 32 und 37 Prozent in den Umfragen. Da gibt es natürlich Leute, die, wenn sie Richtung 30 fallen würde, schon das Messer wetzen würden. Da bin ich ganz sicher. Das ist eigentlich nicht das Ziel der Unionsparteien, irgendwo knapp über 30 Prozent zu landen.

    Meurer: Angela Merkel hat ja versucht, mit einer modernen Familienpolitik beispielsweise oder mit der Umweltpolitik bei modernen, jüngeren Leuten Punkte zu sammeln, vor allen Dingen in den Großstädten. Ist diese Strategie gescheitert, weil unter dem Strich das Wählerstimmen gekostet hat für die Union?

    Tiedje: Gescheitert würde ich nicht sagen. Sie sehen ja, es ist erstaunlich, die Großstadtpartei war ja eigentlich immer die Sozialdemokratie und viele der großen Städte Deutschlands werden von der Union mit teilweise hohen Stimmenzahlen regiert zwischen Frankfurt und Hamburg. Da kann man nicht sagen "gescheitert". Aber ich glaube eben nicht, dass die Union die Bundestagswahl mit Familien- und Umweltpolitik gewinnt, weil Wahlen gewinnt man auf seinen Kernkompetenzfeldern, und das sind nicht die Kernkompetenzfelder der Unionsparteien. Lassen Sie mich noch folgendes sagen: Die SPD bei 25 Prozent ist ja eigentlich keine Volkspartei mehr, wenn man ehrlich ist. Aber die Union wäre nach meiner Einschätzung das auch nicht mehr. Wenn jetzt zum Beispiel die freien Wähler entgegen ihrem eigenen Wunsch bundesweit kandidieren würden, dann würde die Union auch unter 30 Prozent landen. Es ist das Gefühl in dieser Partei – ich kenne ja auch viele von den Mitgliedern, auch einige aus der Führung -, dass sie sagen, pass auf, jetzt muss es zur Sache gehen. Und wie hat Oettinger gesagt? Jetzt muss geführt werden und jetzt ist Schluss mit Großer Koalition. Das ist das, was die Partei erwartet, und ich glaube auch, dass Frau Merkel in Kürze darauf reagieren wird.

    Meurer: Das war Hans-Hermann Tiedje, Publizist, ehedem Wahlkampfberater von Helmut Kohl, bei uns hier im Deutschlandfunk. Herr Tiedje, schönen Dank und auf Wiederhören.

    Tiedje: Guten Morgen! Schönen Dank.