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"Frau Merkel hat wirtschaftliche Interessen in Russland"

Der Russlandexperte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, Alexander Rahr, glaubt, dass Angela Merkel gegenüber Vladimir Putin auch kritische Worte finden wird. Gleichzeitig werde die Kanzlerin aber die strategische Partnerschaft mit Russland unterstreichen. Merkel werde die zahlreichen neuen deutsch-russischen Wirtschaftsprojekte nicht gefährden, meinte Rahr.

Moderation: Dirk-Oliver Heckmann |
    Dirk-Oliver Heckmann: Bundeskanzlerin Merkel, sie reitet derzeit auf einer Welle der Sympathie: erst wurde sie für ihre Rolle bei der Suche nach einem Kompromiss bei den EU-Finanzen gefeiert; auch für ihre Visite in Washington bekam Merkel Bestnoten. Der Grund: Sie sprach auch unangenehme Themen an, wie das umstrittene amerikanische Gefangenenlager in Guantánamo Bay. Auch im Falle Russlands gäbe es eine Menge kritischer Punkte, die anzusprechen wären. Die Palette reicht von Tschetschenien über die Art und Weise, wie Russland seine Rohstoffe auch als politisches Druckmittel einsetzt, bis hin zum Umgang mit Nichtregierungsorganisationen. Welche dieser Themen sie wie anspricht, das wird hierzulande mit großem Interesse beobachtet. Vor einer guten halben Stunde ist die Kanzlerin in Moskau eingetroffen.

    Alexander Rahr ist Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Herr Rahr, sie hat es in Washington demonstriert: Angela Merkel scheut sich nicht, klare Worte zu finden, die allerdings nicht vor den Kopf stoßen. Würden Sie ihr das auch in Moskau empfehlen?

    Alexander Rahr: Ich glaube, dass Frau Merkel bestimmt das eine oder andere harte Wort gegenüber Putin finden wird. Bloß denke ich, dass dies hinter verschlossenen Türen passieren wird, so wie unter Kohl und Schröder auch. Für sie ist es wichtig, die Kontinuität der strategischen Partnerschaft zu wahren. Das heißt, viele Wirtschaftsprojekte, die in den letzten Jahren mit Russland begonnen worden sind, nicht zu gefährden. Dazu gehört nicht nur die Energieallianz, sondern vieles mehr. Und die deutsche Wirtschaft, denke ich, wird das ihrige tun, um Frau Merkel wirklich weiter nach Russland zu treiben.

    Heckmann: Der ehemalige Bundeskanzler Schröder hat Putin ja als "lupenreinen Demokraten" bezeichnet, das würde Merkel, derzeit jedenfalls, nicht so über die Lippen kommen, hat man den Eindruck. Was ändert sich in den Beziehungen zwischen Deutschland-Russland mit der neuen Regierung in Berlin?

    Rahr: Also erst mal muss man sagen, dass Frau Merkel natürlich Russland kennt. Sie muss Russland nicht neu entdecken, wie das Schröder '98 machen musste oder Kohl, als er Kanzler wurde. Frau Merkel hat in der DDR gelebt und hat in Russland studiert. Sie wird, denke ich, Russland sehr nüchtern auffassen; sie kennt die Transformationsprobleme dieses Landes und sie wird sich auch von Putin nicht unbedingt einbinden lassen in die russische Seele. Das hilft allerdings, wie ich glaube, wirklich eine pragmatische Sprache zu finden.

    Und wie gesagt, Frau Merkel hat wirtschaftliche Interessen in Russland. Sie arbeitet auch eng mit der deutschen Wirtschaftslobby zusammen, die die Kanzlerin braucht, um neue Türen in Russland zu öffnen. Und diesen Weg wird sie gehen. Und ich glaube nicht, dass Frau Merkel die Anwaltsrolle, die Deutschland für Russland in der EU, in der NATO, in der G8 übernommen hat, auch aufs Spiel setzen wird. Sie wird kritische Worte finden, aber sie wird gleichzeitig die strategische Partnerschaft unterstreichen.

    Heckmann: Sie haben das Stichwort "strategische Partnerschaft" gerade selber ausgesprochen - auch Angela Merkel sagte in einem Interview am Wochenende, dass der Begriff "Partnerschaft" besser passe als "Freundschaft", in den Beziehungen zu Russland, denn mit Russland teile man weniger Werte - noch jedenfalls - als mit den USA. Ist das eine angemessene Bewertung?

    Rahr: Das ist ihre persönliche Meinung und sie wird in dieser Meinung natürlich auch von ihrer Partei unterstützt und von der deutschen Opposition. In der Tat ist der ganze Streit, den wir heute zwischen Europäischer Union und Russland - vielmehr in den letzten drei Jahren - bekommen haben, darauf zurückzuführen, dass der Westen, sprich: die Europäische Union, eine Wertegemeinschaft mit Russland aufbauen will, bevor man tatsächlich dann an strategische Fragen oder darüber nachdenkt, ob man vielleicht eine Allianz mit Russland aufbaut in Sicherheitsfragen. Die Russen sehen das anders. Sie sagen: Wir werden nicht in der Lage sein, zurückzukehren zu dem liberalen westlichen Modell der 90er Jahre; wir wollen mit dem Westen eine Partnerschaft der Interessen haben, eine pragmatische Zusammenarbeit in Energiefragen und in anderen Fragen.

    Heckmann: Aber reicht das oder braucht man dafür nicht, um solch eine strategische Partnerschaft zu führen, nicht auch ein Mindeststamm von gemeinsamen Werten?

    Rahr: Die Sache wird dadurch erschwert, aus westlicher Sicht, dass Putin fest im Sattel sitzt. Welcher Politiker im Westen kann heute von sich sagen, dass er weiterhin 70 Prozent der Unterstützung der Bevölkerung hat? Russland tickt heute anders als der Westen. Das hat damit zu tun, dass Russland in den 90er Jahren eine gewisse Entwicklung durchgemacht, die man, glaube ich, im Westen nicht immer versteht. Und jetzt muss man zueinander kommen. Ich glaube, die "strategische Partnerschaft" - in Anführungszeichen - wird es schon geben, wird weitergeführt werden. Bloß muss man natürlich neben den pragmatischen Themen auch noch einen gewissen Dialog über die Zivilgesellschaft führen können.

    Heckmann: Das russische Parlament hat jetzt kürzlich erst ein Gesetz erlassen zur Kontrolle von Nichtregierungsorganisationen. Ist das denn aus Ihrer Sicht mit demokratischen Prinzipien vereinbar und sollte man das so durchgehen lassen?

    Rahr: Was können wir dagegen tun? Im Grunde genommen hat der Westen ja auch protestiert, und man muss ja auch zu Putins Schutz sagen, dass Teile des Gesetzes revidiert worden sind und besonders harte Passagen sind rausgestrichen wurden. Putin hat das Gesetz, so wie das einige Duma-Abgeordnete vorgeschlagen haben, auch nicht unterschrieben. Es gibt auch andere Probleme in Hinsicht der Demokratie in Russland - Frau Merkel wird sie bestimmt ansprechen. Aber ich glaube nicht, dass sie was erreichen wird können. Weil, wie gesagt, Russland auf seinem Weg der Staatsstärkung große Erfolge aufzuzeigen hat. Russland will Energie-Supermacht werden. Es hat wirklich eine andere Zeitspanne begonnen in Russland, die so ganz anders ist als das, was wir in den 90er Jahren dort gesehen haben.

    Heckmann: Kurz zum Schluss, Herr Rahr, wie verlässlich ist Moskau überhaupt als Partner? Ich denke da nur mal an den Gas-Streit mit der Ukraine.

    Rahr: Nun, Russland hat ja der Europäischen Union, seinen Verbündeten, wirtschaftlich Verbündeten im Westen den Gashahn nicht zugedreht. Die Ukraine hat Gas entwendet. Aber nichtsdestotrotz hat der Gas-Streit natürlich hier Alarmglocken läuten lassen; er hat gezeigt, dass wenn zwei sich streiten im Osten wir, die Europäische Union, möglicherweise in die Röhre schauen können. Also es wird Gesprächsbedarf geben, auch in Bezug auf Gas, auf die Energieallianz. Und dieses Thema wird, denke ich, auch angesprochen werden.

    Heckmann: Wie könnte man denn sicherstellen, dass wir hier im Westen nicht in die Röhre schauen, wie Sie gerade sagten?

    Rahr: Nun, in den letzten 30 Jahren ist ja alles perfekt gelaufen, mehr oder weniger. Der Gas-Streit mit der Ukraine hat ja auch sehr viel mit den Beziehungen zwischen Russland und den GUS-Staaten zu tun. Weißrussland ist im einheitlichen Wirtschaftsverband mit Russland geblieben; Armenien auch; die Ukraine will in die NATO und die EU und wurde von Russland sozusagen für diesen Schritt bestraft. Ich glaube, dass Politik natürlich in der großen Wirtschaft nichts zu suchen hat, aber man kann nicht von Russland auch erwarten, dass die Russen weiterhin die Ukraine alimentieren, wenn sie Teil der NATO und der EU werden möchte.

    Heckmann: Ich habe gerade schon ein paar Stichworte genannt, wie Merkel ihren Besuch in Moskau eingeleitet hat. Haben Sie den Eindruck, dass man in Moskau sich zurückgestuft fühlt gegenüber jetzt auch den Beziehungen zu den USA beispielsweise?

    Rahr: Also das ist eine sehr interessante und wichtige Frage. Und es hängt viel davon ab, wie Merkel das tut. Merkel wird versuchen, Putin zurück in die westliche Antiterrorallianz zu bringen, aus der Russland während der Irak-Krise ausgeschert ist. Sie wird Putin möglicherweise deutlich machen, dass eine Zusammenarbeit mit den USA, mit der Europäischen Union Russland viel mehr nützt als eine separate Beziehung mit dem Schurkenstaat Iran. Inwieweit ihr das gelingt, werden wir heute sehen. Aber das wird sicherlich ein sehr wichtiger Schritt sein, den sie durchführen möchte. Und wenn es ihr gelingt, Putin wirklich über die Iran-Schiene an den Westen zu binden, dann wird das ein diplomatischer Coup sein.

    Heckmann: Wie kann das gelingen?

    Rahr: Indem sie möglicherweise Russland dann auch Möglichkeiten gibt, die Zusammenarbeit mit dem Westen zu intensivieren. Das Problem in der Irak-Krise war ja das, dass die Amerikaner und der Westen von Russland eine bestimmte Position erwartet haben, nämlich Unterstützung des Krieges gegen Saddam Hussein, aber Russland dann am Ölgeschäft nicht beteiligen wollen. Wir müssen, denke ich, den Russen hier Wege ebnen, damit sie auch mit dem Westen dann zusammenarbeiten und nicht immer wieder sagen: Wir verlieren den iranischen Markt und deshalb hängen wir an dem Teheraner Regime fest. Ich glaube, da gibt es gewisse Möglichkeiten, gerade auf der Wirtschaftsebene vieles zu verbessern.